- "Falsche Väter" hebeln Einwanderungsrecht aus

Auf dem Papier hat Jonathan A. 24 Kinder von zumeist unterschiedlichen Frauen aus Afrika. Die meisten sind wohl nicht seine leiblichen Kinder, viele Kosten für sie übernimmt der deutsche Staat. Die Behörden gehen von einer steigenden Zahl solcher Scheinvaterschaften aus. Sie vermuten eine betrügerische Masche durch "falsche Väter", die dazu diene, Menschen ein Bleiberecht zu verschaffen, die darauf eigentlich keinen Anspruch hätten. Am Anfang stehen Vaterschaftsanerkennungen, die weder eine biologische noch eine soziale Basis haben. Danach werden Angehörige über den Familiennachzug nach Deutschland geholt. Eine Gesetzeslücke und mangelnde Kontrollmechanismen ermöglichen diesen Missbrauch. Es entstehen Familiennachzugs- und Sozialleistungsansprüche, die vor allem die Finanzen der Kommunen erheblich belasten.
 
Beitrag von Chris Humbs und Olaf Sundermeyer

Anmoderation: Vater werden, Vater sein – das geht bekanntlich auf verschiedenste Weise. Die bedeutend einfachste allerdings ist es, rechtlich Vater zu werden. Dafür muss man erstmal nichts weiter tun, als die Vaterschaft anzuerkennen. Es ist völlig egal, ob das Kind wirklich das eigene ist. Ob man mit ihm oder der Mutter zusammenlebt. Wichtig ist erstmal, dass da jemand bereit ist, Sorge zu tragen. Eine erstaunlich großzügige Regelung zum Wohle der Kinder gedacht. Aber leider auch: Tausendfach ausgenutzt, wie wir gemeinsam mit den Kollegen von rbb24-Recherche aufgetan haben: Denn Schein-Väter mit teilweise zehn oder zwanzig anerkannten Kindern belasten die Sozialsysteme in Millionenhöhe. Chris Humbs und Olaf Sundermeyer.

Ein Mann posiert in Afrika mit deutschen Autos.

Jonathan A. alias Mr Cash Money

"Und das ist mein Cabrio. Dieses hier fahre ich, um draußen eine schöne Zeit zu haben!"

Vorm Haus steht auch ein Audi mit Dortmunder Kennzeichen. Dort wohnt Jonathan A. eigentlich. Er ist deutscher Staatsbürger. In den sozialen Medien nennt er sich "Mr Cash Money" und wirft mit Geldscheinen um sich.

In Deutschland ist den Behörden der Mann aus Nigeria aufgefallen: Nicht wegen der Autos, sondern weil er in Deutschland 24 Kinder anerkannt hat. Für die zahlt er nicht. Wir erfahren, für sie muss der deutsche Staat aufkommen. Es sind Kinder von verschiedensten Frauen aus afrikanischen Ländern. Weil er Deutscher ist, haben die anerkannten Kinder, deren Mütter und weitere Angehörige ein Bleiberecht in Deutschland. In seinem Fall sind es 94 Personen:

Andreas Keppke, Sicherheitskooperation Ruhr

"Aus den Tabellen, was den Menschen zusteht, an Bürgergeld, an Energiekosten, an Kindergeld, Zuschlägen kann man durchaus sagen, dass alleine dieser Mann die Kosten für den die Sozialkassen von deutlich mehr als 1,5 Millionen Euro im Jahr verursacht."

So rechnet es Andreas Keppke hoch – für den Verbund von Behörden im Ruhrgebiet. Das Team wertete anhand einzelner Fälle den Schaden aus, der durch mutmaßlichen Missbrauch von Vaterschaftsanerkennungen den Sozialkassen entsteht.

Unter seiner Meldeadresse in Dortmund suchen wir Jonathan A. In einer Gegend, die nicht so recht zu Mr Cash Money in den sozialen Medien passt. Vergeblich.

Eine der Mütter seiner Kinder wohnt einige Minuten entfernt, Prisca I. Auch sie stammt aus Nigeria. Sie gibt uns seine Telefonnummer. Wir erreichen ihn. Er sagt, er sei zurzeit wieder in Nigeria.

Jonathan A. erklärt uns zu den 24 Kindern (Gedächtnisprotokoll):

"Das sind alles meine Kinder."

Sie und Jonathan hätten sich in Hamburg zufällig getroffen, erzählt uns Prisca I. Und sie sei schwanger geworden.

Prisca I.

"Ich war eine Prostituierte, als ich Jonathan kennenlernte. Ich wollte damit aufhören."

Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass Jonathan A. in einem Monat staatliche Leistungen in Höhe von über 22.500 € durch die zuständige Familienkasse erhielt.

Ob in anderen Monaten auch Geld auf sein Konto floss, darüber schweigt Jonathan A. Wir schicken ihm einen Fragenkatalog. Inhaltlich antwortet er nicht und erklärt, dass die Fragen unsinnig seien. Wie viel er insgesamt aus staatlichen Kassen erhielt, konnte der Behördenzusammenschluss bislang nicht ermitteln – aus Datenschutzgründen.

Auch von dieser Frau hat Jonathan A. ein Kind anerkannt, Niki A. Sie wisse, dass er sehr viele Kinder habe. Dann erzählt sie uns ganz offen, wie sie nach Deutschland kam. Bekannte hätten sie zuerst nach Italien gelockt:

Niki A.

"Die haben mich dann nach Italien gebracht, zur Prostitution. Und zuvor prostituierte ich mich in Libyen.

Kontraste

"In Libya?"

Niki A

"Ja."

Im italienischen Parma habe sie dann Jonathan A. kennengelernt – auch zufällig. Mit dem Zug sei sie dann nach Dortmund gekommen. Für den Unterhalt seines anerkannten Kindes komme Jonathan A. nicht auf, Geld erhält sie vom Amt.

Ähnliche Geschichten hören wir auch von anderen Müttern. Die Erzählungen bestärken den Verdacht des Missbrauchs der Vaterschaftsanerkennung.

Geht es hierbei ausschließlich um die Beschaffung von Aufenthaltstiteln und staatlicher Leistungen?

Kontraste: "Zahlt er Unterhalt?"

Sandra V.: "Nein."

Kontraste: "Nichts. Wer bezahlt?"

Sandra V: "Die Stadt."

Kontraste: "Die Stadt Dortmund zahlt dafür."

Bei der oberen Ausländerbehörde geht man auch im Fall Jonathan A. von systematischem Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung aus.

Axel Boshamer, Obere Ausländerbehörde, Bezirksregierung Arnsberg

"Bei Scheinvaterschaften geht es darum, dass Menschen, die eigentlich keine Bleibeperspektive haben in Deutschland, in Deutschland bleiben können. Dafür sind diese Menschen bereit, Geld zu bezahlen. Meistens an denjenigen, der die Schein-Vaterschaft übernimmt. Das sind sehr häufig Personen, die entweder arbeitslos sind oder über wenig Vermögen verfügen und die dann eben sich da was zuverdienen. Die Sätze sind ganz unterschiedlich. Das ist eine Verhandlungssache. Ich kenne Fälle … die haben 4.000 Euro gekriegt."

In Dortmund besuchen wir einen weiteren Mann, der den Behörden aufgefallen ist. Er kommt aus Ghana, auch er hat einen deutschen Pass. 20 Kinder wurden von ihm anerkannt.

Kontraste

"Wir würden gerne mit Ihnen über Vaterschaftsanerkennungen sprechen."

Er ist bereit uns ein Interview zu geben – vor der Tür.

Kontraste

"Diese Frauen haben oft auch einige Dinge erlebt. Zum Beispiel.: Sie wurde vielleicht zur Prostitution gezwungen, und wie kommen sie in Kontakt."

Abdoulaye O.

"Wir treffen uns manchmal in afrikanischen Läden oder in der Diskothek, irgendsowas."

Er streitet ab, Geld von den Frauen erhalten zu haben.

Kontraste

"Und warum erkennen sie Kinder an?"

Abdoulaye O.

"Man tut das aus Mitleid."

Fünf eigene, also leibliche Kinder hat er. 15 sind nicht von ihm. Er hat sie aber anerkannt.

Abdoulaye O.

"Man kann hundert Kinder haben, das geht niemanden etwas an."

Man muss nicht der leibliche Vater sein, um Kinder urkundlich anerkennen zu lassen. So die Gesetzeslage – die vor allem dem Wohl der Kinder dienen soll.

Und wir erfahren: Solche Beurkundungen können im Nachhinein nicht von den Behörden aufgehoben werden – selbst, wenn später Missbrauch nachgewiesen wird.

Sind die Kinder erstmal anerkannt, bilden sie den sogenannten Anker für den Familiennachzug.

Andreas Keppke, Sicherheitskooperation Ruhr

"Die haben wir in Rot mal eingezeichnet, die werden allgemein Ankerkinder genannt, weil die dann die weiteren Personen, sprich die Mutter, den eigentlichen Lebensgefährten und weitere Geschwisterkinder mit einem Aufenthaltsstatus versorgen, also sozusagen der Anker für die in Deutschland sind, sodass wir sagen können, dass über diese drei Männer letztendlich 160 Personen einen Aufenthaltsstatus in Deutschland bekommen haben."

Das Bundesinnenministerium bezifferte für 2017 laut Bericht der Sicherheitskooperation bundesweit

Zitat

"…die Anzahl der Missbrauchsfälle auf eine mittlere vierstellige Zahl…".

Bei 5.000 Verdachtsfällen läge die

Zitat

"…jährliche bundesweite Belastung des Steuerzahlers in Höhe von …150.783.000 Euro pro Jahr."

Aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Klar ist, dass eine hohe Dunkelziffer hinzukommt. Denn diejenigen, die beurkunden, hinterfragen die Fälle nur selten.

Zuständig für die Beurkundung sind Notare, besonders ermächtigte Mitarbeiter der Botschaften, der Amtsgerichte, der Standesämter oder der Jugendämter.

Im Fall von Abdoulaye O. war es meist dieselbe Person:

Ein einzelner Angestellter des Jugendamtes empfing Abdoulaye O. immer wieder und beurkundete dessen Vaterschaften in mindestens sieben Fällen. Dazu heißt es von der Stadtverwaltung:

Zitat

"Ob Mehrfach-Vaterschaften vorliegen, kann das Jugendamt bei der Beurkundung nicht erfahren."

Ganz anders im bayerischen Kaufbeuren. Dort wollte Abdoulaye O. auch ein Kind anerkennen lassen. Vor der Beurkundung forderte die Stadtverwaltung Unterlagen anderer Behörden an und wurde misstrauisch. In einer Mail an das Jugendamt Dortmund und in cc an den Oberbürgermeister von Dortmund spricht das Standesamt Kaufbeuren von:

Zitat

"…einer Art "Mafia"… Herr O. hat mit dieser bei Ihnen beurkundeten VA die Vaterschaft zu seinem 15. Kind anerkannt!!!"

Kaufbeuren zeigt, dass man Missbrauchsfälle erkennen kann, wenn man Daten abfragt.

Im Jugendamt Dortmund hingegen soll einige Wochen nach der Mail derselbe Mitarbeiter erneut eine Vaterschaft für Abdoulaye O. beurkundet haben. Ein Interview dazu lehnten das Jugendamt und die Stadtverwaltung Dortmund ab.

Nun wollen Bundesjustizminister Buschmann und Bundesinnenministerin Faeser die Vaterschaftsanerkennungen neu regeln. Wohl zu schamlos wurden Lücken im Gesetz ausgenutzt:

Jonathan A., der angeblich mittelose Vater von 24 Kindern, hat bereits zwei weitere Vaterschaftsanerkennungen beantragt.

weitere Themen der Sendung

Gera. Bild: Bodo Schackow/dpa
Bodo Schackow/dpa

Gera: Eine gefallene Stadt?

Lange haben Politik und Behörden in Gera zugesehen, wie sich die Stadt zum regelmäßigen Aufmarschgebiet und zur Hochburg bekannter Rechtsextremisten entwickeln konnte. Die AfD stellt seit fünf Jahren die stärkste Fraktion im Stadtrat und kennt nun kaum noch Berührungsängste nach ganz rechts außen. Unsere Recherchen zeigen: Es gibt enge Verbindungen zwischen einem bekannten Neonazi und verschiedenen AfD-Politkern. Gemeinsam trifft man sich auf politischen Events oder reist auf Nazi-Aufmärsche. Längst bestimmen die radikalen Rechten auch die politische Kultur der Stadt: Mit wöchentlichen Demonstrationen prägt man das Stadtbild und übt unverhohlen Druck auf Akteure der Zivilgesellschaft und gewählte Volksvertreter aus.

Beitrag von Silvio Duwe, Anne Grandjean, Chris Humbs, Daniel Laufer und Markus Pohl

Ukrainische Soldaten. Bild: ANATOLII STEPANOV/AFP
ANATOLII STEPANOV/AFP

Wie sicher sind wir vor Putin?

Donald Trump macht den Europäern klar: "Ich würde euch nicht beschützen." Der womöglich nächste US-Präsident würde uns unseren Feinden schutzlos ausliefern. Und das zu einer Zeit, in der ein Angriff Russlands auf NATO-Gebiet drohen könnte. Denn Putin fühlt sich bestärkt, zwei Jahre nach seinem Überfall auf die Ukraine muss Selenskyj weiter um Munition betteln. Zuletzt gab er sogar die Stadt Awdijiwka auf. Doch längst geht es nicht mehr nur um die Ukraine, inzwischen wackelt das Sicherheitsgefüge in Europa insgesamt. Die Diskussion über europäische Atombomben ist in vollem Gange, sogar über deutsche.

Beitrag von Kaveh Kooroshy und Carla Spangenberg