Ukrainische Soldaten. Bild: ANATOLII STEPANOV/AFP
ANATOLII STEPANOV/AFP
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- Wie sicher sind wir vor Putin?

Donald Trump macht den Europäern klar: "Ich würde euch nicht beschützen." Der womöglich nächste US-Präsident würde uns unseren Feinden schutzlos ausliefern. Und das zu einer Zeit, in der ein Angriff Russlands auf NATO-Gebiet drohen könnte. Denn Putin fühlt sich bestärkt, zwei Jahre nach seinem Überfall auf die Ukraine muss Selenskyj weiter um Munition betteln. Zuletzt gab er sogar die Stadt Awdijiwka auf. Doch längst geht es nicht mehr nur um die Ukraine, inzwischen wackelt das Sicherheitsgefüge in Europa insgesamt. Die Diskussion über europäische Atombomben ist in vollem Gange, sogar über deutsche.
 
Beitrag von Kaveh Kooroshy und Carla Spangenberg

Anmoderation: Zwei Jahre währt er nun schon – der Angriffskrieg auf die Ukraine. Zehntausende sind getötet worden und momentan - so scheint es - haben die Ukrainer den Russen schlicht nicht mehr genug Munition entgegenzusetzen. Doch ist Putin wirklich so überlegen, wie er sich darstellt? Und: wie gefährlich könnte es am Ende für Europa und auch für uns werden, wenn wir aus Angst vor der angeblichen russischen Militärübermacht zögern. Womit wir dann bei im wären. Er wollte der Zeitenwende-Kanzler sein, aber momentan sitzt er sie ja eher aus, als sie zu gestalten.

Vor wenigen Tagen: Die Stadt Awdijiwka ist gefallen, die ukrainischen Truppen ziehen sich zurück. Präsident Selenskyj spricht von einer äußerst schwierigen Lage.

Zwei Jahre dauert dieser Krieg schon, 200.000 ukrainische Soldaten sind verwundet oder gefallen, so Schätzungen. Zehntausende Zivilisten wurden wohl getötet.

Doch auch Russlands Armee erleidet hohe Verluste: Rund 300.000 Soldaten sind nach Schätzungen westlicher Geheimdienste gefallen oder verletzt worden.

Wie dieser Krieg nun weitergeht, sagt Militärökonom Marcus Keupp, entscheidet auch die Schlacht ums Material.

Marcus M. Keupp, Militärökonom, Militärakademie ETH Zürich

"Es ist immer noch ein Abnutzungskrieg. Also Russland ist einfach sehr gut darin, Material zu opfern: Fünf Kampfpanzer pro Tag, sechs gepanzerte Mannschaft-Transportfahrzeuge pro Tag, 2 bis 3 Artilleriegeschütze pro Tag."

Russland behauptet, die Rüstungsindustrie sei hochgefahren. Hier Bilder aus einem russischen Panzerwerk. Solche Erfolgsmeldungen aus Russland halten Experten wie Keupp aber für Propaganda.

Marcus M. Keupp, Militärökonom, Militärakademie ETH Zürich

"Man muss sich im Klaren sein, dass Russland natürlich sehr gut ist, uns dieses Märchen immer wieder zu verkaufen: Wir haben unendliche Ressourcen, wir können unendlich nachlegen, uns passiert nichts. Nur weil Sie ein Lager voll haben mit sowjetischem Gerät aus den 1980ern, heißt das natürlich nicht, dass es ohne Weiteres einsatzfähig ist."

Militär-Analysten gehen davon aus, dass die russischen Ressourcen schon in zwei bis drei Jahren ausgehen könnten. Die Frage ist, ob die Ukraine so lange durchhält, oder vorher den Krieg verliert.

Marcus M. Keupp, Militärökonom, Militärakademie ETH Zürich

"Russlands Kriegführung ist eigentlich eine Spekulation auf die Zeit, eine Spekulation, nicht darauf, dass die Ressourcen unendlich sind, sondern, dass sie gerade so lange reichen, bis entweder die Ukraine aufgibt oder irgendwelche Appeasement-Politiker am besten sagen, ach komm, ist doch egal, was soll das mit den Waffenlieferungen, oder? Das ist eigentlich das Kalkül Putins."

In Awdijiwka ist dieses Kalkül offenbar aufgegangen:

Russland konnte die Stadt einnehmen, weil der Ukraine wohl die Munition ausging.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

"Fragt nicht, wieso die Ukraine diesen Krieg nicht beendet, fragt, wieso Putin ihn noch weiterführen kann."

Selenskyj spielt damit auch auf die zögerliche Unterstützung des Westens an.

Eine Kritik, die Oppositionspolitiker Norbert Röttgen teilt.

Norbert Röttgen (CDU), Mitglied des Bundestags

"Es ist nicht die Ukraine, die zu wenig kämpft. Aber der Westen tut viel zu wenig. Nicht nur für die Ukraine, sondern auch für unsere eigenen Interessen. Denn wenn Putin Erfolg hat, wenn dieser Krieg Erfolg ist, dann ist das eine Katastrophe. Auch für Deutschland, auch für den Westen. Dann wird der Krieg bleiben, er wird näherkommen. Und dass wir trotzdem nicht angemessen handeln, das ist unglaublich und verantwortungslos."

Olaf Scholz präsentiert sich aller Kritik zum Trotz als Zeitenwende-Kanzler. Im niedersächsischen Unterlüß soll eine Munitionsfabrik erweitert werden. Auch Verteidigungsminister Pistorius ist beim Spatenstich dabei. Doch kommt das Werk nicht zu spät, wollen wir von Pistorius wissen:

Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister

"Na ja, das Problem war zunächst einmal für diejenigen, die die Verantwortung tragen, auch vor Ort festzustellen: Wer braucht wann was? Die Bedarfe an Artillerie-Munition sind gewaltig gestiegen."

Doch längst ist klar: Die Ukraine braucht so viel wie möglich, so schnell wie möglich. Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew bekräftigt:

Oleksij Makejew, ukrainischer Botschafter in Deutschland

"Für die Ukraine ist nichts leider schnell genug. Wir brauchen Munition jeden Tag. Unsere Soldatinnen und Soldaten an der Frontlinie brauchen diese Munition."

Direkt geliefert werden, könnte der Taurus. Der Marschflugkörper kann Nachschublinien weit hinter der Front treffen – ein großer strategischer Vorteil. Doch die Ukraine könnte damit auch Ziele in Russland angreifen – Kritiker sehen eine Eskalationsgefahr. Kanzler Scholz lehnt die Lieferung ab – seit Monaten streitet das politische Berlin.

Kontraste

"Herr Pistorius, die Taurus-Raketen, werden die jetzt geliefert?"

Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister

"Das hat hier mit dem heutigen, der heutigen Veranstaltung hier und der Produktion von Artilleriemunition nichts zu tun."

Der Minister wirkt genervt – denn der Taurus sorgt für Streit, auch innerhalb der Ampel. Heute: Im Bundestag stimmte die FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann gar mit der Opposition.

Der Kanzler verweist darauf, dass Deutschland bereits jetzt der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei.

Und tatsächlich: Deutschlands militärische Zusagen umfassen knapp achtzehn Milliarden Euro. Die größte militärische Unterstützung kommt mit großem Abstand aus den USA.

Doch gerade die Unterstützung der USA wackelt: Sie liefern aktuell keine Waffen mehr. Die Republikaner blockieren im Kongress wichtige Hilfen.

Norbert Röttgen (CDU), Mitglied des Bundestags

"Wir müssen auch zunehmend verstehen: Das ist ein Krieg in Europa. Bislang sind immer noch die USA erneut die europäische Sicherheitsmacht. Das wird sich so oder so ändern. Entweder mit Schockwirkung, wenn Trump gewählt wird oder auch in dem anderen Fall, weil die Mehrheit der Amerikaner nicht bereit ist, unsere Sicherheit zu finanzieren."

Tatsächlich könnte Deutschland – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – mehr tun.

Im Verhältnis zu diesem ist der Anteil der deutschen Ukraine-Hilfen geringer: Deutschland nur auf Platz 10. Ganz oben Estland und weitere baltische und nordische Staaten.

Sollte Putin diesen Krieg gewinnen, drohen weitere. Ein Angriff auf Nato-Staaten könnte folgen, warnt die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik:

Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Ausländische Politik

"Mit Blick auf eine direkte Bedrohung von NATO-Staaten gehen wir zurzeit davon aus, dass es noch fünf bis acht Jahre dauern kann, bis es Russland nach dem Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine wieder so weit sein könnte, dass es eine Bedrohung für NATO-Staaten darstellen kann."

Andere Militärexperten und Verteidigungsminister Pistorius sehen das ähnlich.

Ein Sieg der Ukraine sei auch deshalb im europäischen Interesse, so der Politikwissenschaftler Herfried Münkler:

Herfried Münkler, Politikwissenschaftler

"Wenn Russland das als einen Sieg darstellen kann, dann wird es Nachahmer geben, nicht? Weil dann das Beispiel Putins Ein Vorbild ist, für alle revisionistischen Akteure in aller Welt."

Der Ausgang des Krieges wird die Machtverhältnisse in der Welt neu ordnen – und bestimmen, welchen Platz Europa darin einnimmt. Münkler rät, sich für alle Fälle zu wappnen:

Herfried Münkler, Politikwissenschaftler

"Es kommt darauf an, nun wirklich eine geschlossene, glaubwürdige, europäische Abschreckungskomponente aufzubauen, konventioneller Art, vor allen Dingen und zuerst, aber auch nuklearer Art, um zu verhindern, dass die konventionellen Fähigkeiten durch Nukleardrohungen ausgehebelt werden. Und da muss man sagen, die Zeit drängt."

Mit solchen Atombomben zu einer geeinten europäischen Nuklearmacht? Auch deutsche Atomwaffen werden diskutiert. Vor kurzem war das noch undenkbar.

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Bodo Schackow/dpa

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