Gera. Bild: Bodo Schackow/dpa
Bodo Schackow/dpa
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- Gera: Eine gefallene Stadt?

Lange haben Politik und Behörden in Gera zugesehen, wie sich die Stadt zum regelmäßigen Aufmarschgebiet und zur Hochburg bekannter Rechtsextremisten entwickeln konnte. Die AfD stellt seit fünf Jahren die stärkste Fraktion im Stadtrat und kennt nun kaum noch Berührungsängste nach ganz rechts außen. Unsere Recherchen zeigen: Es gibt enge Verbindungen zwischen einem bekannten Neonazi und verschiedenen AfD-Politkern. Gemeinsam trifft man sich auf politischen Events oder reist auf Nazi-Aufmärsche. Längst bestimmen die radikalen Rechten auch die politische Kultur der Stadt: Mit wöchentlichen Demonstrationen prägt man das Stadtbild und übt unverhohlen Druck auf Akteure der Zivilgesellschaft und gewählte Volksvertreter aus.
 
Beitrag von Silvio Duwe, Anne Grandjean, Chris Humbs, Daniel Laufer und Markus Pohl

Anmoderation: Aber zuerst geht’s bei uns hierhin – nach Gera. Im lieblich-hügeligen Ostthüringen gelegen. Etwas aber fehlt auf dieser Postkartenansicht: Dass es hier auch düster zugeht. Seit Jahren schon setzt sich durch die Straßen der Kleinstadt jeden Montag ein Tross aus Rechtsradikalen und Mitläufern in Gang. Angeführt von einem, der uns bei unseren Recherchen immer wieder begegnet: Christian Klar, ein bekannter Neonazi, der vom Umsturz träumt. Unsere Recherchen zeigen: Er kann sich auf die Unterstützung der stärksten Partei in der Stadt verlassen: die AfD.

"Widerstand!"

Gera in Thüringen – eine Art Spielwiese für Rechtsradikale und ihr Umfeld.

Ob Bengalos und Feuerwerk in der Innenstadt, Umzüge mit Pferden und Militärtransportern, oder Fackelmärsche – seit Jahren können sie hier Montag für Montag Stärke demonstrieren.

Angeführt von ihm: Christian Klar. Derzeit laufen gegen ihn rund 20 Ermittlungsverfahren – unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten.

Seit Jahrzehnten ist er in der rechtsextremen Szene verankert.

Schon mit 19 lief Klar bei einer Demo des "Thüringer Heimatschutzes" mit, aus dem später der NSU hervorging. Erst kürzlich demonstrierte Klar mit einer Flagge der rechtsextremen NPD-Nachfolgepartei "Die Heimat".

Und vor wenigen Tagen teilte er diesen Post, der die "Schönheit" des Nationalsozialismus rühmt. Klars Kommentar: "Da ist irgendwie was dran!"

Auch vergangene Woche führt Klar die Montagsdemonstration an. Wir sind vor Ort, möchten mit ihm sprechen.

Aber er wiegelt lieber die Menge auf.

Christian Klar

"Wir begrüßen ganz herzlich unser ARD-Fernsehteam von Kontraste."

"Lügenpresse"

Christian Klar

"Weil ich würde mich wundern, wenn ich zu einer Veranstaltung gehe und filme und bräuchte zwei Bodyguards, das ist doch … fragt ihr euch nicht selber, warum ihr die braucht?"

"Weil sie Angst haben!"

Christian Klar

"Fragt ihr euch das nicht selber, warum ihr die braucht?"

Den Rechtsradikalen – so scheint es – gehört in Gera die Straße.

Ob Corona, Asylpolitik oder zuletzt die Bauernproteste: Die Themen wechseln, was bleibt ist Klars Ruf nach dem Umsturz:

Christian Klar

"Leider wird es mit diesen Montagsprotesten nicht geregelt sein. Diese Regierung wird nicht von alleine zurücktreten. Die sitzen am Futtertrog und eine Sau verlässt den Trog nie von allein. Erst wenn sie auf die Schlachtbank geht!"

Mit Blick auf Gera spricht der Verfassungsschutz in Thüringen von einem "Hotspot" – er beobachtet das Demonstrationsgeschehen mit Sorge.

Stephan Kramer, Präsident Amt für Verfassungsschutz Thüringen

"Das sieht man eben gerade auch in Gera, dass hier zum Beispiel Reichsbürger, klassische Rechtsextremisten, aber auch Hooligans beziehungsweise sogar die parlamentarischen Vertreter der Neuen Rechten gemeinsam auftreten. Hier hat sozusagen eine Vernetzung stattgefunden, die im Grunde Früchte getragen hat und die man jetzt tatsächlich auch auf der Straße erkennen kann."

Wie konnten Klar und seine Mitstreiter solchen Einfluss gewinnen? Das hat auch mit der örtlichen AfD zu tun, wie Klar in einer privaten Sprachnachricht bestätigt, die Kontraste vorliegt.

Christian Klar

"Jeder Montagsspaziergang kostet zwischen fünf- und sechshundert Euro. Die gesamte Organisation, Banner, Flaggen, die Musiktechnik, die Feuerwerke – und, und, und. Der Geraer AfD-Stadtverband hat uns immer unterstützt. Der Dr. Harald Frank hat den ersten Demonstrationszug, den es gegeben hat in der Größe, wo wir 2.000 Mann waren im Dezember, hat er mit Flyern im 'Neuen Gera' beworben. Sonst wäre es nie zu diesem Erfolg gekommen."

Das "Neue Gera" ist ein kostenloses Anzeigenblatt. Sein Verleger, Harald Frank, ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Stadtrat. Mit 28,8 Prozent bei der letzten Kommunalwahl ist die Partei eine Macht in Gera. Immer wieder treten ihre Mitglieder gemeinsam mit Christian Klar auf.

Christian Klar

"Alles für Deutschland, alles für Deutschland!"

Die Losung der SA – strafbar im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung. Der Mann links von Klar, der mit einstimmt: Jens Amlacher, Stadtratskandidat der AfD.

Und auch dieser AfD-Landtagsabgeordnete demonstriert immer wieder gemeinsam mit Klar: Wolfgang Lauerwald, hier links, zugleich Geraer Stadtrat.

Christian Klar

"Der Geraer Stadtverband der AfD ist meiner Meinung nach der beste Verband, den ich kenne. Das sind alle mittlerweile Freunde."

Bei unseren Recherchen in Gera zeigt sich, wie eng die Kooperation mit dem Neonazi-Milieu ist. Kürzlich stellt die AfD in diesem Gasthaus ihre Kandidaten für die Kommunalwahlen im Mai vor.

Kontraste liegen Videoaufnahmen davon vor.

Wolfgang Lauerwald macht deutlich, welchen Stellenwert die Demos für ihn haben.

Wolfgang Lauerwald (Gedächtnisprotokoll), Landtagsabgeordneter Thüringen, AfD

"Wir müssen massiv auf die Straße gehen. Wir brauchen die Bewegung und das Vorfeld. Jetzt am Sonntag ist wieder eine Fahrt nach Dresden. Beteiligt euch auf der Straße!"

Der Sonntag darauf: Wir folgen dem Bus aus Gera. Sein Ziel: der rechtsextreme Marsch zum Jahrestag der Bombardierung von Dresden durch die Alliierten.

Winkend am Steuer: der AfD-Kandidat Andreas Thomä.

Kontraste

"Entschuldigung. Dürfen wir Sie kurz was fragen?"

Andreas Thomä, AfD-Kandidat Stadtrat Gera, parteilos

"Nein."

Kontraste

"ARD-Fernsehen."

Andreas Thomä

"Dürfen Sie nicht."

Kontraste

"Gar nichts?"

Andreas Thomä

"Nein."

Kontraste

"Sie sind ja von der AfD."

Andreas Thomä

"Nein."

Kontraste

"Sind sie nicht?"

Was stimmt: Thomä ist nicht Mitglied der AfD.

Trotzdem steht er auf der Liste der Partei für die Wahl in den Geraer Stadtrat.

In Dresden zeigt sich: Der AfD-Kandidat Thomä und Christian Klar arbeiten zusammen.

Klar läuft beim Neonazi-Aufmarsch in der ersten Reihe. Er und die Geraer AfD: Sie sind offenbar auf einer Linie.

Das sieht man auch bei der Geraer Gruppe "Miteinanderstadt", in der Christian Klar aktiv ist.

Wer mit dem Bündnis am rechten Rand nicht kooperiert, muss befürchten, öffentlich angefeindet zu werden – wie ein Vorfall kurz vor Weihnachten 2022 zeigt.

Zusammen mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Lauerwald sammelt man damals Spenden für städtische Kinderheime.

Diese Spendensammlung: in den Augen der Geraer SPD-Bundestagsabgeordneten Elisabeth Kaiser Teil einer Strategie.

Elisabeth Kaiser, Bundestagsabgeordnete, SPD

"Das Ziel ist eigentlich, eine Profilierung damit zu erreichen. Und ich hab halt appelliert, auch an das Kinderheim am Ende zu sagen: Wir nehmen die Spenden von solchen Akteuren nicht an und sie lassen sich nicht instrumentalisieren."

Der Heimbetreiber schlägt das gesammelte Geld der Weihnachtsaktion schließlich aus. Die Folge: Diese "Warnung" von Wolfgang Lauerwald.

Wolfgang Lauerwald, Landtagsabgeordneter Thüringen, AfD

"Das kann sich ja in kurzer Zeit alles ändern – die politischen Verhältnisse. Und wenn er aufs falsche Pferd weiterhin setzt, kann ihm das natürlich irgendwann auch auf die Füße fallen."

Auch Christian Klar übt unmissverständlich Druck aus – auf die SPD-Politikerin Kaiser.

Christian Klar

"Alle, die gespendet haben für die Kinderheime, die haben am Mittwoch, am 11.1. um 18 Uhr die Chance, unserer tollen Elisabeth Kaiser in ihrem Demokratieladen ein dickes Dankeschön im Namen der Kinder zu sagen."

Davon angestachelt, stören Demonstrierende eine Veranstaltung in Kaisers Wahlkreisbüro.

Elisabeth Kaiser, Bundestagsabgeordnete, SPD

"Die Polizei war dann auch involviert, die hat uns dann auch sozusagen geschützt, war dann vor Ort. Also das war schon sehr unangenehm."

Einschüchterung, anscheinend ein bewährtes Mittel des rechtsradikalen Milieus Geras. Schon Anfang 2022 kommt es zum Eklat.

Während der Pandemie marschiert ein Mob mit Fackeln quer durch die Stadt.

"Es geht jetzt Richtung Bürgermeister. Wir wollen Herrn Vonarb einen Besuch abstatten, mal sehen."

Am Ende belagern mehr als tausend Menschen das Wohnhaus des Geraer Oberbürgermeisters Julian Vonarb.

Julian Vonarb, Oberbürgermeister Gera, parteilos

"Das war sehr beängstigend und sehr einschüchternd tatsächlich, insbesondere für meine Kinder – die Jüngste ist jetzt gerade aktuell 14 Jahre jung –, die nicht verstanden haben, was da passiert."

Die Demonstrationen führen offenbar auch zu Gewalt – darauf deutet die Polizeistatistik hin.

2019 bis 2021 gibt es in Gera ungefähr gleichbleibend viele Vorfälle politisch motivierter Gewaltkriminalität. Im Jahr 2022 steigt die Zahl plötzlich um ein Vielfaches an.

Die Polizei teilt dazu mit

"Der Anstieg der politisch motivierten Gewaltdelikte steht überwiegend im Zusammenhang mit den Versammlungslagen in Gera."

Kritikern ist der Umgang der Stadtverwaltung mit den rechtsradikalen Demos zu lasch. Man müsse strengere Auflagen machen, fordert der Grünen-Stadtrat Nils Fröhlich.

Nils Fröhlich, Fraktionsvorsitzender Stadtrat Gera, Grüne

"Es gibt schon eine ganze Reihe von anderen Städten, wo das anders gehandhabt wird, wo auch die Ordnungsbehörde ein klares Zeichen setzt und sagt, das reicht so, das geht zu weit, ja? Und gewisse grundlegende Regeln müssen einfach eingehalten werden."

Knickt der Oberbürgermeister unter dem Druck durch Christian Klar und sein Umfeld ein?

Julian Vonarb, Oberbürgermeister Gera, parteilos

"Das ist nicht so! Dem kann ich ganz klar widersprechen. […] Gerade für die großen Kundgebungen, die er auch veranstaltet zum 3. Oktober oder jetzt auch im Dezember oder zum Jahresbeginn, da haben wir über die Versammlungsbehörde den Gürtel ihm gegenüber schon deutlich enger geschnallt, deutlich mehr mit Auflagen gearbeitet."

Doch wie viel enger wurde der "Gürtel" denn wirklich geschnallt? Nur ein Beispiel: Die von Vonarb erwähnte Demo am 3. Oktober.

Auf Kontraste-Anfrage, welche Auflagen es für diese Versammlung gegeben habe, schreibt die Stadtverwaltung: "Keine".

Denn Christian Klar habe sich in Vorgesprächen "stets kooperativ" gezeigt,

Risikofaktoren "wie beispielsweise Fackeln, Pyrotechnik oder Pferde" seien "nicht zum Einsatz" gekommen.

Dieser Livestream eines YouTubers belegt das Gegenteil.

Zu sehen – unter anderem: Pferde … Und Christian Klar, wie er ein Feuerwerk zündet … Und auf einem Militärfahrzeug thronend durch Gera fährt. Es wirkt wie ein Siegeszug.

weitere Themen der Sendung

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ANATOLII STEPANOV/AFP

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