Statiker zu Haus in Schöneberg - "Bauwerke befinden sich nicht im Zustand der ewigen Jugend"

Do 18.04.24 | 06:09 Uhr
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Archivbild: In der Fassade eines Gebäudes in der Goltzstraße in Schöneberg sind starke Risse aufgetreten. Die Bauaufsicht wurde angefordert. Das Gebäude, das auf Privatgelände steht, sei vom Einsturz bedroht. Fotografiert am 10.04.2024. (Quelle: dpa/Stephanie Pilick)
Bild: dpa/Stephanie Pilick

Wenn ein Haus 50 Jahre lang steht, dann wurde es nicht schlecht gebaut, allerdings müssen Bauwerke regelmäßig überprüft werden. Im Interview erklärt ein Statiker, woran es liegen kann, dass ein Haus mit der Zeit marode wird.

rbb|24: Herr Professor Petryna, welche Gründe gibt es, die dazu führen können, dass ein Haus droht umzufallen?

Yuri Petryna: Das Tragwerk eines Gebäudes besteht eigentlich aus drei wesentlichen Teilen: dem Oberbau, dem Fundament und einem Teil des Bodens, der mitträgt. Diese drei Teile leisten die Standsicherheit eines Bauwerks. Bei einem Bau wird das alles berücksichtigt. Wenn ein Bauwerk schon 50 Jahre steht, dann heißt das, es wurde standsicher gebaut. Aber man darf nicht davon ausgehen, dass die Bauwerke sich in einem Zustand der ewigen Jugend befinden.

Genau wie wir Menschen altern auch Bauwerke. Die Baustoffe können altern. Es gibt Umwelteinflüsse, die das beeinflussen. Das Material kann ermüden. Aber es können auch Veränderungen vorgenommen werden. Und die beeinflussen die Standsicherheit. Welche Ursache in diesem konkreten Fall in Schöneberg entscheidend ist, oder eine Kombination von diesen Ursachen, kann ich natürlich nicht sagen.

Wenn die U-Bahn 50 Jahre lang die gleiche Strecke entlangfährt, kann das einen Effekt auf die Häuser haben, die an dieser Strecke stehen?

Man muss dabei unterscheiden zwischen Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. Standsicherheit betrifft die Sicherheit des Bauwerks. Bei Problemen der Standsicherheit kann das Bauwerk zusammenklappen oder einstürzen. Das ist ein gravierendes Problem. Gebrauchstauglichkeit betrifft in erster Linie die Nutzung des Gebäudes. Das heißt, das Gebäude ist nicht einsturzgefährdet - aber wir, die wir dort leben, arbeiten oder was auch immer - wir sind beeinträchtigt und können nicht normal dort arbeiten. Einsturzgefahr wie im Fall des Hauses in Schöneberg ist ein Standsicherheitsproblem.

Kleine Erschütterungen, wie sie durch eine U-Bahn verursacht werden können, führen normalerweise zu keinem Standsicherheitsproblem. Die beeinflussen eher unser Wohlbefinden im Gebäude. Wir fühlen uns nicht wohl, wenn da ständig Erschütterungen stattfinden.

Zur Person

Yuri Petryna von der TU Berlin FG Statik und Dynamik
Christian Kielmann

Yuri Petryna ist Professor für Statik und Dynamik an der Technischen Universität Berlin. Das Fachgebiet "Statik" beschäftigt sich damit, dass Gebäude standsicher gebaut werden. Zu dem einsturzgefährdeten Haus in Schöneberg kann er, wie er selbst sagt, nur begrenzt Aussagen treffen, da er die Umstände nicht konkret kennt.

Es gab unten in dem Haus in Schöneberg ein Geschäft, und da wurden vor zehn Jahren neue große Schaufenster gebaut. Halten Sie es für möglich, dass das ein Grund für den drohenden Einsturz sein könnte?

Dieses Gebäude muss ja irgendwie Lasten abtragen. Und wenn ein Teil der tragenden Wände zugunsten von Fenstern weggenommen wird, beeinflusst das natürlich das ganze Tragwerk. Das musste allerdings, bevor es gemacht wurde, auch genehmigt werden von einem Statiker. Das ist die Aufgabe, die dem Eigentümer obliegt, das zu erlauben. Das muss eine fachkundige Person beurteilen und sagen, ob es geht oder nicht geht.

In dem rbb-Bericht stand, dass die ersten Probleme schon vor zehn Jahren bekannt wurden. Dass die ersten Risse nicht sofort zum Einsturz führten, muss man eigentlich den Baunormen verdanken. Wir planen immer mit gewissen Sicherheitsreserven. Das führt dazu, dass man dann nur bei sehr groben Fehlern einen Einsturz verursacht oder die Sicherheit gefährdet ist. Aber wenn man Risse sieht, muss man handeln.

Sind Ihnen ähnliche Fälle in Berlin aus den letzten Jahren bekannt? Ist das Ihrer Meinung nach in Schöneberg als Einzelfall zu sehen oder kann das öfter passieren?

Ich bin nicht jeden Tag mit solchen Problemen konfrontiert. Was ziemlich oft vorkommt, nach meinem Kenntnisstand, sind eher Probleme der Gebrauchstauglichkeit in Großstädten. Das heißt, Erschütterungsschutz. Das kommt häufig vor, weil wir unterirdische Infrastruktur haben, wie U-Bahn und Eisenbahn, Tunnel und so weiter.

Dass es zu Standsicherheitsproblemen kommt, ist meinem Kenntnisstand zufolge nicht so oft der Fall. Spektakuläre Fälle kennt man, aber die werden dann auch publik gemacht. Zum Beispiel der Einsturz des Stadtarchivs in Köln.

Wenn wir das eine Haus haben, das möglicherweise einsturzgefährdet ist, können die Nebenhäuser dann davon auch betroffen sein?

Normalerweise baut man so, dass ein Haus die Standsicherheit des anderen nicht beeinflussen sollte. Es sei denn, es wurde sozusagen in einem Zug gebaut. Dass die Wände mit anderen Farben gestrichen sind, bedeutet noch nicht, dass es nicht das gleiche Bauwerk ist. Das kann ich auch pauschal nicht beurteilen. Aber diese Schubrisse, die sichtbar sind, deuten darauf hin, dass da eine Setzung stattgefunden hat. Und diese Setzung kann vielleicht tatsächlich die Ursache im Boden haben.

Oder eben durch die Schaufenster verursacht worden sein. Das heißt, die tragenden Wände zum Teil weggenommen wurden. Die Ursache könnte sein, dass die restlichen Bauteile nicht mehr tragfähig sind. Dann findet auch eine Setzung statt, weil die Konstruktion nachgibt. Aber ohne konkrete Informationen kann man das nicht beurteilen.

Dass man das Gebäude in Schöneberg jetzt gesperrt hat, ist richtig. Erschütterungen, die aus der Umgebung kommen, können einen kleinen Stoß geben und bereits zum Einsturz führen. Dass zum Beispiel auch eine Verkehrsberuhigung stattfindet, ist ebenfalls richtig. Standsicherheitsprobleme sind in der Regel schwer zu beheben. Ob die Menschen tatsächlich in diesem Gebäude weiterleben können, weiß ich nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Philipp Höppner, rbb.

Sendung: rbb24 Abendschau, 17.04.2024, 19:30 Uhr

7 Kommentare

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  1. 7.

    Unser Haus, 1905, bebt bei jedem Bus (nix Plattenspieler), Grundwasser rauf, runter, Grundwasser abpumpen fürs nue Gebäude neban an, Wasser wieder nach, Bauarbeiten, ein Riss, noch ein Riss, Fenster gehen nicht mehr Risse im Rigips DG, von den Rissen in der Fassade ganz zu schweigen, Terrasse Feuchte schaden 2011, 2022 wieder 2024 Beginn Rep - Holzschwamm (Statik)- BA Baufsicht - psss und? Gutachter (der Bauträgerfirma!) sage - alles ok (was wunder) also und tschüss. Wenn es dann kracht, wie in TK mal usw., kann ja der Bürgermeister, dafür sind die doch paar warme Worte spenden per Presse Richtung Notunterkunft, falls Plätze frei - also hier! ist immer alles stabil

  2. 6.

    Oder beim Erweitern der Fenster 'n bisschen Material sparen (Sturz?) - passt schon - wäre auch 'ne Möglichkeit.

  3. 5.

    Noch mehr teure U- Bahnen bauen! Und darauf Häuser mit 12 Etagen. So spart man Platz und Geld.

  4. 4.

    "Und wenn ein Bauwerk schon 50 Jahre steht, dann heißt das, es wurde schon standsicher gebaut."
    Au ja! Mein Block steht schon seit 52 Jahre. Ich liebe 25 cm dicken Stahlbeton. Scheint für die Ewigkeit gebaut zu sein.

  5. 3.

    "das Prekariat muss erst um genau Bestandsanalyse hinweisen und schon ist die Frage wer den Umzug und deren Kosten zu Tragen hat nicht eindeutig geklärt,"

    Wie meinen Sie das? Ich verstehe es nicht, es interessiert mich aber.

  6. 2.

    das Prekariat muss erst um genau Bestandsanalyse hinweisen und schon ist die Frage wer den Umzug und deren Kosten zu Tragen hat nicht eindeutig geklärt, also wieso schießt der Mieterverein mit Kanonenkugeln auf Spatzen. Wie sagt man alle Probleme analysieren bevor man Panik verbreitet und irgendwem den Schwarzen Peter zuschiebt. Pflichtverletzungen/ Wissensstand des Baustadtrats sind also nicht das Thema oder doch?

  7. 1.

    Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview. Ich lebe seit fast 30 Jahren in einem Altbau mit Erker, an dessen Ansatz schon seit Jahren ein langer Riss zu sehen sind (im Innern des Erkers), da wo der Balkon an den Erker grenzt. Ich hatte der Hausverwaltung damals Bescheid gegeben und es kam auch jmand, sich das ansehen, angeblich wäre das nichts. Aber ic bin nun doch skeptisch, ob da nicht womöglich was heruntergespielt wurde? Der Riss zieht sich in leichten Zacken von der Decke bis zum Fußboden. Das Haus ist ca. Baujahr 1906... Muss ich mir nun Sorgen machen?

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