(Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Polizeiruf 110: Schweine - Idee und Umsetzung: Produzent Frank Schmuck & Autor und Regisseur Tomasz E. Rudzik im Gespräch

Gisa Flake (li.) als Alexandra Luschke und Frank Leo Schröder als Karl Rogov (Bild: rbb/Christoph Assmann)
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450 Kilometer Zaun entlang der deutsch-polnischen Grenze – was erzählt der "Polizeiruf 110: Schweine" über die Herausforderungen im Grenzgebiet?

Frank Schmuck: Auf der Suche nach einer Verortung für den Polizeiruf "Schweine", fiel unsere Wahl schnell auf das untere Odertal. Ein Naturparadies im dünn besiedelten Nordosten Brandenburgs, weitgehend intakt und traumhaft schön. Vollkommen zurecht zieht diese Region immer mehr Urlauber an. Der Tourismus ist ein enorm wichtiger Faktor, es gibt kaum Industrie, die Menschen leben überwiegend von der Landwirtschaft oder haben einen Job in der Raffinerie in Schwedt. Man bezeichnet derartige Landstriche auch gern als strukturschwach. Das Verhältnis zu den polnischen Nachbarn ist gut. Seit dem EU-Beitritt Polens pulsiert der kleine Grenzverkehr. Nach jahrzehntelanger Trennung kommt man sich wieder näher. Brücken wurden gebaut, man feiert gemeinsam Feste und alte Ressentiments werden langsam überwunden. Dann kommt die Afrikanische Schweinepest. Zehntausende gekeulte Schweine, leere Ställe und zerstörte Existenzen dies und jenseits der Grenze. Angst macht sich breit, es wächst das Misstrauen gegenüber Fremden, dies sich aus Ignoranz und Unwissenheit nicht an die staatlichen Schutzmaßnahmen halten und dadurch das Virus verbreiten. Aber auch alte Ressentiments ploppen wieder auf, gegenseitige Schuldzuweisungen belasten das Verhältnis mit den Polen. Die Gefahr kommt mal wieder aus dem Osten. Auf deutscher Seite wird schnell ein 450 Kilometer langer Zaun installiert. Er soll infizierte Wildschweine davon abhalten, das Virus aus Polen über die Oder nach Deutschland zu tragen. Er symbolisiert aber auch eine neue Grenze, zumindest in den Köpfen. In "Schweine" versuchen wir diese Situation abzubilden. Erzählen u.a. von einer polnischen Bauernfamilie, deren Ängste, Nöte und Empfindungen sich am Ende kaum von denen ihrer deutschen Nachbarn unterscheiden … Mehr möchte ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten.

(Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Welche Rolle spielte die Afrikanische Schweinepest in der Buchentwicklung, welche aktuellen Bezüge sind in die Geschichte geflossen?

Tomasz E. Rudzik: Die Afrikanische Schweinepest (ASP) war von Anfang an ein zentrales Motiv in der Buchentwicklung. Nicht nur was die kilometerlangen Schutzzäune an der deutsch-polnischen Grenze angeht, um gegen infizierte Wildschweine vorzugehen. In Deutschland und in Polen muss bereits der Verdacht auf ASP beim zuständigen Veterinäramt gemeldet werden, woraufhin umfassende Untersuchungen und Schutzmaßnahmen erfolgen. Dazu gehören bei einem positiven Befund, u.a. die Errichtung von Sperr- und Pufferzonen, sowie die Keulung aller Schweine der betroffenen Betriebe. Dies führt zu erheblichen wirtschaftlichen und emotionalen Belastungen und zahlreiche kleine bis mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe haben die Schweinehaltung bereits aufgegeben. Ich habe mir viele persönliche Schicksale in Polen angehört und diese als Inspiration in die Buchentwicklung einfließen lassen.

(Bild: rbb/Christoph Assmann)
Bild: rbb/Christoph Assmann

Wie haben sich die Dreharbeiten auf beiden Seiten der Oder logistisch gestaltet und wie hat die Schweinepest die Dreharbeiten beeinflusst?

Frank Schmuck: Für die Producerin, Juliane Mieke, und mich war von Anfang an klar, dass wir so viel wie möglich in Polen drehen werden. Wir wollten unsere Geschichte unbedingt an authentischen Orten und in realen Milieus erzählen. Natürlich ergab sich daraus auch die eine oder andere kleine Herausforderung. So wäre es für die Ausstattung definitiv einfacher gewesen, ihr Material in einem deutschen Baumarkt einzukaufen als in einem polnischen. Am Set war man von einem babylonischen Sprachgewirr aus polnisch, deutsch, italienisch und englisch umgeben. Für die Crew begann so mancher Tag mit einer Art Orientierungslauf. Sie musste sich über enge, kaum ausgeschilderte Straßen und verschlungene, kaum befahrbare Waldwege zu den Motiven durchkämpfen, die Oder war häufig nur mit Traktoren zu erreichen. Und auch die Wege zu den erforderlichen Drehgenehmigungen waren nicht weniger verschlungen. Am Ende wurden wir dann auch noch von unserem Thema eingeholt. Wir mussten kurzfristig alle Arbeiten mit lebenden Schweinen nach Deutschland verlegen, da vor Beginn unserer Dreharbeiten in unmittelbarer Nähe ein Fall von Schweinepest aufgetreten war. Das zeigte uns einmal mehr, wie aktuell und relevant unsere Geschichte ist. Und was mir wichtig ist, bei unseren Dreharbeiten kamen selbstverständlich keine lebenden Tiere zu Schaden.

Dr. Albrecht Richtmann (Bernhard Schütz, li) findet seinen Sohn Konstantin Richtmann (Nicolas Handwerker, re) in seinem polnischen Landhaus in einem desolaten Zustand vor. (Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Die polnische Schweinebäuerin Grazyna Jankowska (Anita Poddębniak, re) und ihre Tochter Agata Jankowska (Izabela Baran, li) kämpfen auf ihrem Hof ums wirtschaftliche Überleben. (Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Der polnische Gerichtsmediziner Marian Kaminski (Tomek Nowicki, re) unterrichtet Kriminalhauptkommissarin Alexandra Luschke (Gisa Flake, li) und ihren Kollegen Kriminalhauptkommissar Karl Rogov (Frank Leo Schröder, mitte) über seine ersten Erkenntnisse zur Todesursache eines Jagdtouristen. (Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Im Film geht es um Elite, Rivalität, Grenzen und die Beziehung zwischen Vater und Sohn und Mensch und Tier. Wie haben Sie die verschiedenen Themen miteinander verwoben?

Tomasz E. Rudzik: Einige dunkle Facetten der menschlichen Natur – Hybris, Machtmissbrauch und Erniedrigung – bilden das Herzstück dieser Geschichte. Im Zentrum steht die Jagdgesellschaft um Konstantin Richtmann und Daniel Pillokat. Figuren, die in einer elitären Welt agieren, in der Macht und Prestige als oberste Gebote gelten. Ihre erbitterte Rivalität und der harte Konkurrenzkampf innerhalb der Kanzlei spiegeln ihr Verlangen die eigene Dominanz unter Beweis zu stellen. Konstantin Richtmann steht hierbei im Zentrum eines emotionalen Konflikts, der von dem Bedürfnis nach Anerkennung durch seinen Vater Dr. Albrecht Richtmann geprägt ist. Albrechts Credo "Einen Vater muss man sich verdienen" drückt für mich treffend ihre toxische Beziehung aus. Konstantins Kampf um Anerkennung und die Furcht, durch Daniel ersetzt zu werden, veranlassen ihn dazu Grenzen zu überschreiten und im wahrsten Sinne des Wortes in verbotene Räume einzudringen. Dies führt zu einer Kette von tragischen Ereignissen, die nicht nur das Leben unschuldiger Tiere, sondern auch die Existenz einer polnischen Schweinehalter-Familie in den Abgrund reißt.

Der "Polizeiruf 110: Schweine" kommt bildgewaltig daher, wir durchstreifen die Wälder in Brandenburg und auf polnischer Seite der Oder, sind mit den Figuren auf der Jagd im Nirgendwo. War Ihnen die Bildsprache bei der Umsetzung des Stoffes ein besonderes Anliegen?

Tomasz E. Rudzik: Ja, die Bildsprache war mir bei der Umsetzung dieses Stoffes sehr wichtig. Sie ermöglicht es, die Tiefe und Komplexität des Krimis und des Figurendramas auszuloten. In der Inszenierung habe ich den Wald als eigenständigen Protagonisten betrachtet. Die Wälder in Brandenburg und auf der polnischen Seite der Oder fungieren im Film als malerische, aber auch mystische und bedrohliche Kulisse, welche die "innere Wildnis" und Zerrissenheit der Charaktere veräußerlicht.

(Bild: rbb/Christoph Assmann)
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Immer mehr Menschen in Deutschland haben einen Jagdschein. In "Schweine" spielen die Jagd, aber auch der Jagdtourismus eine besondere Rolle – Wie kam es zu der Idee, wie real ist das Szenario "Die deutsche Elite fährt zur Trophäenjagd ins Nachbarland"?

Frank Schmuck: Es gibt kaum ein Thema, das in Deutschland so emotional und kontrovers diskutiert wird wie die Jagd. Die einen halten sie für notwendig, um die Wildpopulation zu kontrollieren, die anderen empfinden sie als inakzeptabel und nicht mehr zeitgemäß. Insbesondere der zunehmende Jagdtourismus, die Verbindung von Jagd und Freizeitvergnügen wirft dabei zunehmend ethisch-moralische Fragen auf. Darf man aus purem Vergnügen töten? Passt eine Befriedigung derartig animalischer Triebe noch in eine moderne Gesellschaft? Was bedeutet es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, wenn die vielzitierten oberen "2 Prozent" glauben, sich mit ihrem Geld alles erlauben zu können? Neben der gesellschaftlichen Relevanz war das Thema Jagdtourismus eine Folie für unsere Geschichte über rücksichtslose Anwälte, die sich in Polen wie Outlaws benehmen und deren patriarchischem Kanzleichef, der sich in der Rolle eines Kolonialherren gefällt. Das Szenario ist sehr real. In Deutschland haben aktuell knapp 450.000 Menschen einen Jagdschein, mehr als je zu vor. Tendenz steigend. Gleiches gilt auch für den Jagdtourismus. Die Trophäenjagd boomt, für alle, die es sich leisten können. Sie bietet darüber hinaus für Gutbetuchte die Gelegenheit, informelle Treffen abzuhalten und zu netzwerken.

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