Ausstellung Mélange - 30 Jahre Atelierhaus Mengerzeile - Kaum pure Lebensfreude - "eine sehr aktuelle Ausstellung"

So 10.03.24 | 13:36 Uhr | Von Von Antje Bonhage
  2
Mélange - 30 Jahre Atelierhaus Mengerzeile
Bild: Mengerzeile – courtesy of the artists

Dem Treptower Atelierhaus Mengerzeile drohte einst die Umwandlung in Wohnraum. Jetzt feiert es seinen dreißisgten mit einer Ausstellung im Haus Schwarzkopf in Mitte. Auch das hat einen langen Existenzkampf durchgemacht. Von Antje Bonhage

Wer das Haus Schwarzenberg nicht kennt, muss die Galerie Neurotitan womöglich erst suchen: Man gehe bis zum Ende über den Innenhof, dann das mit buntem Graffiti besprühte Treppenhaus hoch, durch den Buchladen, den "Shop" – schließlich steht man in den beiden Räumen der Galerie.

Bilder und Installation – mit kritischem Zeitgeist

Hier hängen Bilder an den weißen Wänden, in der Mitte des ersten Raumes fallen Installationen ins Auge. Zum Beispiel: Vier übereinander gestapelte Getreidesäcke aus Jute mit dem Aufdruck WTO, dem Kürzel der Welthandelsorganisation. Auf den Säcken liegt eine weiße Gips-Skulptur: ein lebloser ausgemergelter Kinderkörper. Immer wieder koste es Menschenleben, wenn Getreideernten vernichtet würden, um Preise am Weltmarkt künstlich hochzuhalten, erläutert Mariele Bergmann den Grundgedanken zu ihrer Arbeit.

Kritischer Zeitgeist schwingt auch in anderen Werken der Künstlerinnen und Künstler aus dem Atelierhaus Mengerzeile mit. Oder sie haben etwas in anderer Hinsicht Bedrohliches. Auf einem Landschaftsgemälde von Michelle Lloeyd braut sich ein dichtes, unheimliches Unwetter zusammen - über einem fensterlosen Haus, das einsam in weiter Landschaft steht. Eine ausgestorbene Welt ohne Zukunft.

Ein Bild von Cameron Rudd zeigt lachende Menschen, in Feierlaune, nachts, vor einem grell-leuchtenden Karussel - hyperrealistisch gemalt. Wie eine Fotografie wirkt das Gemälde beim flüchtigen Hinsehen. Endzeitstimmung auch hier.

Dass kaum eines der Werke pure Lebensfreude zeige, sei ihr erst beim Hängen aufgefallen, sagt Claudia Brieske, eine der Kuratorinnen der Schau, die auch Künstlerin im Atelierhaus Mengerzeile ist. "Aber vielleicht ist es einfach eine sehr aktuelle Ausstellung", so Brieske.

Orte, die es nicht mehr gibt

Sie selbst zeigt eine audiovisuelle Installation. In einem kleinen Seitenraum stehen auf Sockeln zwei Plattenspieler. Klänge und Geräusche aus Istanbul, auf Vinylplatten gepresst. Gerahmte Fotos hängen an der Wand. Auf einem ist ein Stuhl an einer Straßenecke zu sehen – auf einem anderen: dieselbe Stelle ohne Stuhl.

2021 ist Claudia Brieske nach Istanbul gereist. Dort suchte sie Gebäude oder bestimmte Gegenden in der Stadt auf, die sie vorher über satellitengestützte Internetprogramme detailgenau inspiziert hatte. In der Realität musste sie feststellen, dass jene Gebäude oder Gegenstände an angezeigter Stelle längst nicht mehr existieren. Diese "scheinbare Unversehrtheit" inspirierte sie zu ihrer Arbeit.

Künstlerisches Co-Working in einer ehemaligen Klavierfabrik

36 Positionen sind zu sehen in der Ausstellung mit dem Titel "Mélange", zu deutsch: Mischung - anlässlich 30 Jahre Atelierhaus Mengerzeile.

Es sind die Werke von 36 Künstler:innen, Designer:innen, Architekt:innen – auch ein Goldschmid ist dabei. "Wir sind eine bunte Mischung, eine wirkliche Mélange", sagt Claudia Brieske über sich und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Atelierhaus. Und genau diese Mischung wolle das Künstlerkollektiv in der Austellung zum Ausdruck bringen.

Seit seiner Gründung im Jahr 1993 haben insgesamt über 100 Künstlerinnen und Künstler aus Berlin, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands und international in dem selbstverwalteteten Atelierhaus gearbeitet - in der ehemaligen Klavierfabrik an der Mengerzeile in Berlin-Alt-Treptow, auf etwa 2.000 Quadratmeter Fläche, aufgeteilt in gut 20 Arbeitsräume.

Mariele Bergmann ist seit 2017 dabei. Sie schätzt den kollegialen Austausch in der Ateliergemeinschaft, das Reden miteinander – auch über die jeweiligen Arbeiten. Wenn man mal einen "Kolbenfresser" habe, wie sie es nennt und man nicht weiterkomme, helfe es, wenn man mit seiner Arbeit nicht allein im stillen Kämmerlein hocke.

Kampf ums Überleben

Zwischenzeitlich stand das Überleben des Atelierhauses auf dem Spiel. Das Haus sollte in Wohneigentum umgewandelt werden. Fast 40 Kunstschaffende hätten damit schlagartig ihren Arbeitsraum verloren. Ein verbreitetes Schicksal in Berlin, wo immer weniger Künstlerinnen und Künstler sich ihre Ateliers noch leisten können.

Durch jahrelangen, unermüdlichen Einsatz, durch öffentlichen Druck – nicht zuletzt aber auch durch Zusammenarbeit mit dem neuen Eigentümer des Gebäudes konnte schließlich die Existenz des Atelierhauses langfristig gesichert werden. Ein Erfolg - nach einer nervenaufreibenden Zeit, an die sich Mariele Bergmann nur ungern erinnert: "Wir haben mehrere Jahre an intensiveren Arbeitsmöglichkeiten verloren." Denn wenn man ständig damit rechnen müsse, den Ort, an dem man arbeitet, räumen zu müssen, habe man den Kopf nicht zum Arbeiten frei.

Die Galerie Neurotitan als passender Austellungsort

Der Kampf um die eigene Existenz gehört untrennbar mit zur Geschichte des Atelierhauses. Und der Ort, die Galerie Neurotitan, in der die Jubiläumsausstellung gezeigt wird, passt zum Atelierhaus Mengerzeile. Denn auch das Haus Schwarzenberg besteht seit den 90er Jahren und hat einen langen Existenzkampf durchgemacht. Beide Häuser stünden symbolisch für ein Sich-Behaupten in der gentrifizierten Kulturlandschaft Berlins, findet Claudia Brieske. "Insofern ist das auch eine gute Melange zwischen diesen beiden Häusern."

Sendung: rbb Kultur, 09.03.2024, 11:10 Uhr

Gruppenausstellung der Künstlerinnen und Künstler des Atelierhauses Mengerzeile bis 30.3.2024. : Galerie Neurotitan, Haus Schwarzenberg Rosenthaler Str. 39, 10178 Berlin

Beitrag von Von Antje Bonhage

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    "Kaum pure Lebensfreude".... eher dystopisch depressive Endzeitstimmung, verbittert gramvoll. Not. Elend überall, keine Hoffnung (?). Wehe dem Lächeln. Endzeit. Nicht mein Ding. Sorry. Pflanz im Moment täglich 50 Bäume, bringe Nistkästen an, Saatgut ein. Und blicke nach VORN.

  2. 1.

    "Jetzt feiert es seinen dreißisgten mit einer Ausstellung im Haus Schwarzkopf in Mitte."

    Neue Zahl! Habe ich gerade an den Eulenspiegel geschickt! Hahaha...

Nächster Artikel