Konferenz an der Akademie der Künste - Gegen die Logik des Boykotts

Di 26.03.24 | 11:10 Uhr | Von Barbara Behrendt
Archivbild: Meron Mendel am 01.06.2023.(Quelle: dpa/Christian Charisius)
Audio: Interview mit Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Akademie der Künste | Bild: dpa/Christian Charisius

Die "Europäischen Allianz der Akademien" konferiert unter dem Titel "Das Klima, in dem wir leben. Eine Allianz gegen Rechtsextremismus." Meron Mendel kritisiert bei der Eröffnung Claudia Roth und Klauseln in der Kunst. Von Barbara Behrendt

"Wie weit darf, wie weit muss die Freiheit der Kunst gehen?" Es gibt kaum eine andere Frage, in der so viele Grabenkämpfe stecken wie in dieser, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrem digitalen Grußwort stellt. Alle Debatten der Gegenwart sind darin enthalten: Auftrittsverbote russischer Künstler:innen, antisemitische Kunst und Rassismus bei der documenta – und gecancelte Ausstellungen vermeintlicher BDS-naher Künstler:innen und Störaktionen jüdischer Veranstaltungen.

Es ist naheliegend, dass die Akademie der Künste zum Auftakt ihrer Konferenz "Das Klima, in dem wir leben. Eine Allianz gegen Rechtsextremismus" auch Meron Mendel sprechen lässt. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hat sich als Berater bei den Antisemitismus-Debatten der documenta 15 als klug, abwägend, klar in der Sache verdient gemacht hat. Und in den eskalierten Debatten seit dem 7. Oktober ist er zur unverzichtbaren Stimme geworden.

Die "Europäische Allianz der Akademien" hat sich 2020 gegründet, auf Initiative der Berliner Akademie der Künste hin. Inzwischen hat diese Allianz in Europa über 70 Mitglieder und sich ins Manifest geschrieben, für die Freiheit der Künste in ganz Europa einzutreten, für Demokratie und gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt. Ein wichtiges und hehres Ziel angesichts der vielen Bedrohungen für die Demokratie.

Die Diskussion sei geprägt von Arroganz und Ignoranz

Mendel geht zunächst mit den Künstler:innen selbst ins Gericht. Die Diskussion über den Nahen Osten sei geprägt von Arroganz und Ignoranz. Als Beispiel nennt er den Brief von 8.000 Künstler:innen vom 19. Oktober, wenige Tage nach dem Hamas-Terror: "Man findet das Wort Hamas nicht, das Wort Massaker findet man auch nicht. 8.000 Künstlerinnen und Künstler, die renommiertesten der renommierten, konnten das nach zwölf Tagen komplett vergessen."

Dann geht er auf die Bedrohung der Kunstfreiheit ein. Er benennt die antisemitischen Störaktionen von Aktivist:innen, zieht jedoch auch die Amtsträgerinnen zur Verantwortung, die etwa die Ausstellung der jüdischen Künstlerin Candice Breitz in Saarbrücken gecancelt haben oder jene von Raphaël Malik über muslimisches Leben in Berlin. "Beide Seiten bedienen die Logik des Boykotts. Beide Seiten bedrohen die Kunstfreiheit in diesem Land. Es ist ein zynisches Spiel auf Kosten israelischer und palästinensischer Künstlerinnen und Künstler. Sie werden für etwas verantwortlich gemacht, wofür sie keine Verantwortung haben."

Mehr Kontroverse, nicht weniger

Natürlich, sagt Mendel, müssen sich Künstler:innen kontrovers äußern – was denn sonst? Mehr Kontoverse sei die Devise, nicht weniger. Und so kritisiert er auch die gescheiterte Antidiskriminierungsklausel des Berliner Kultursenators Joe Chialo und überhaupt alle staatlichen Vorgaben für die Kunst, wie auch die von Claudia Roth, die im Grußwort gesagt hatte: "Antisemitismus und Rassismus sind keine Kunst."

Im Prinzip ist das natürlich richtig, so Mendel – nur: Wer bestimmt, was antisemitische und rassistische Kunst ist? "Und wie stellen wir uns das vor? Da sitzt in der Kulturverwaltung einer Stadt eine Person und die entscheidet: Das ist antisemitisch oder das ist nicht antisemitisch? Und wenn es um Vielfalt geht: Wo beginnt die Vielfalt, wo endet die Vielfalt? Vielfalt beim Publikum oder beim Sprecher? Vielfalt im Alter, der Herkunft, der Sprache? Diese guten Absichten schlagen völlig in die falsche Richtung."

Klauseln sind eine Gefahr für die Demokratie

Spätestens hier wird klar, dass Klauseln nicht nur die Kunstfreiheit einschränken und die Kunstkritik, also die Debatte um Kunst, abschaffen, sondern auch für die Demokratie zum Problem werden – je nachdem, welche Partei über antisemitische Kunst zu befinden hat. Eine Allianz gegen Rechtsextremismus – das bedeutet auch, die Kunstfreiheit zu schützen und nicht auszuhöhlen.

Doch wie soll man den Diskriminierungen im Kulturbetrieb Herr werden? Für Mendel ist die Antwort klar: "Dass das nicht vom Staat übernommen wird, bedeutet nicht, dass wir keine Verantwortung haben. Kritik gehört zur Kunstfreiheit. Jede Person oder Gruppe hat das Recht, gegen Kulturveranstaltungen oder Kunstwerke zu protestieren, die sie als anstößig empfinden. (…) Es ist klar, dass Kunst keine neuen Klauseln und Zensurbehörden von außen braucht. Nicht Boykott und Gegenboykott. Wir brauchen mehr Gespräch, mehr Dialog und wenn nötig: auch Streit. Aber konstruktiver Streit."

Verpasste Chance für Dialog und Allianz

Ärgerlich nur, dass aufgrund zu vieler Reden und Musik für ein "Gespräch" an diesem Abend nur wenige Minuten bleiben. Dabei hätte man gern viel mehr von den Erfahrungen der polnischen, ungarischen und slowenischen Kulturmenschen gehört, die im Anschluss an die Reden aufs Podium geladen waren – etwa von der Krakauer Museumsleiterin Maria Anna Potocka zum Rückbau der Einschränkungen, die die PiS-Regierung durchgesetzt hat. Eine verpasste Chance für Dialog und Allianz.

Sendung: rbb Kultur, 25.03.2024, 09:45 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

Nächster Artikel