Interview | Viadrina-Präsident zu Ukraine-Zentrum - "Die deutsche Gesellschaft bedarf einer intensiveren Kenntnis der Ukraine"

So 10.03.24 | 12:37 Uhr
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Blick aus einem Hochhaus auf das Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina, aufgenommen am 09.02.2023. (Quelle: dpa-Bildfunk/Patrick Pleul )
Audio: Antenne Brandenburg | 28.02.2024 | Bärbel Kiele | Bild: dpa-Bildfunk/Patrick Pleul

Die Europa-Universität in Frankfurt (Oder) hat den Zuschlag zur Schaffung eines Ukraine-Zentrums erhalten. Im Interview erklärt Viadrina-Präsident Eduard Mühle, welche Bedeutung das hat und wie die Zusammenarbeit in Kriegszeiten funktioniert.

rbb|24: Herr Mühle, ist der Forschungsverbund eher eine Einrichtung, verbunden mit einer symbolhaften Geste unter dem Motto "Solidarität mit der Ukraine" oder gibt es tatsächlich eine Notwendigkeit?

Eduard Mühle: Ich würde sagen, es ist eine Notwendigkeit. Die deutsche Gesellschaft bedarf einer intensiveren Kenntnis der Ukraine. Und das erfordert wissenschaftsfundierte Kenntnis und die generieren Wissenschaft und Forschung. Dann muss sie auch an die jüngere Generation vermittelt werden. Dafür ist die Lehre da, und das genau ermöglicht dieser Verbund, zusätzlich zu dem, was wir schon machen.

Wenn die Bundesregierung sagt, wir stehen an der Seite der Ukraine und wir wollen die Forschung zur und mit der Ukraine auch weiter unterstützen, sind dann 2,5 Millionen Euro vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) viel oder wenig?

Es ist für uns schon ein beachtlicher Betrag, denn wir sind durchaus auch schon unterwegs und besitzen einige Ressourcen (Forschungsprogramme, Kooperation mit und zur Ukraine, Anm. d. Red.). Die werden jetzt zusätzlich gestärkt. Und wir können damit schon eine Menge machen. Also ich würde es jetzt nicht klein reden wollen.

Im Gesamtkontext anderer Zusammenhänge sind 2,5 Millionen Euro vielleicht nicht viel, wenn man an die Milliarden denkt, die für militärische Zwecke ja im wahrsten Sinne des Wortes verballert werden. Aber 2,5 Millionen Euro sind viel Geld, und die müssen wir als Viadrina und mit unseren Kooperationspartnern erstmal sinnvoll zielgerichtet einsetzen und verwenden. Und das werden wir tun. Wir werden damit schon eine ganze Menge erreichen.

Sie haben erwähnt, es könnten knapp 400 Personen von dem jetzt auferlegten 4-Jahresprogramm profitieren. Wie berechnet sich das?

Diese Zahl kommt zustande, indem ich zusammengezählt habe: Was haben wir an Stipendienmöglichkeiten beantragt und jetzt bewilligt bekommen? Das sind neun dreijährige Promotionsstipendium, 20 Kurzaufenthalte, 40 Mittelfristaufenthalte, Gastdozenturen, Forschungsstipendien. Insgesamt, wenn man sich das so vor Augen führt, sind es knapp 400 Personen, die wir mit den Mitteln des DAAD jetzt in den nächsten vier Jahren nach Frankfurt einladen können.

Mit welchen Unis und wissenschaftlichen Einrichtungen in der Ukraine arbeiten Sie derzeit zusammen - und unter welchen Umständen ist das möglich?

Wir haben vertragliche Beziehung mit sieben Universitäten, Hochschulen - von Lemberg über Kiew, Cherkasy bis nach Charkiw. Und wir können da ganz konkret zusammenarbeiten, auch mit Unterstützung des DAAD: zum Beispiel über die Unterstützung digitaler Lehre, über die Unterstützung von Studierenden, die in der Ukraine mit Surplus-Stipendien in die Lage versetzt werden, ihre Arbeiten abzuschließen. Da wird ihnen auch geholfen, da gibt es Kooperationen, indem man gemeinsam daran arbeitet "Wie schreibt man Abschlussarbeiten". Wir können ukrainische Studierende in einem gewissen Rahmen mit Stipendien hierher nach Frankfurt einladen. Wir können gemeinsame Online-Kurse, Lehrangebote entwickeln. Da ist schon einiges möglich.

Zur Person

Eduard Mühle, aufgenommen am 05.04.2023 auf der Pressekonferenz zu seinem Amtsantritt als neuer Präsident der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). (Quelle: dpa-Bildfunk/Bernd Settnik)
dpa-Bildfunk/Bernd Settnik

Eduard Mühle (geb. 1957 in Bad Rothenfelde) ist seit 2005 Professor für Geschichte Ostmitteleuropas und Osteuropas an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und seit dem 1. August 2023 emeritiert. Seit dem 1. April 2023 ist er für sechs Jahre gewählter Präsident der Europa-Universität Viadrina.

Aber natürlich hindert das Kriegsgeschehen eine intensivere Kooperation. Wir haben unlängst im Januar eine Online-Konferenz mit ukrainischen Universitäten durchgeführt, zu der die Universität Warschau und die Viadrina eingeladen waren, um gemeinsam auszuloten und zu diskutieren: "Wie kann die Kooperation weiter intensiviert werden?"

Nun dauert der Krieg schon seit über zwei Jahren an. Was kann denn Wissenschaft in diesem Konflikt überhaupt erreichen oder vermitteln?

Was wir versuchen können zu vermitteln, ist ein Verständnis und Hintergrundinformationen, dass man versteht, wie es zu diesem Konflikt gekommen ist und, dass man versteht, was es bedeutet, mit ihm umzugehen und wie wichtig es ist, die Ukraine in diesem Konflikt zu unterstützen; und zwar massiv zu unterstützen.

Gibt es aus der wissenschaftlichen Perspektive schon konkrete Ableitungen oder Handlungsempfehlungen für diejenigen, die darüber zu entscheiden haben?

Ja, es ist die Frage, worauf das zielt, welche Handlungen angeleitet werden sollen. Also man kann sicher jetzt nicht aus der konkreten Forschung, die wir betreiben, die wir weiterentwickeln wollen, irgendwelche Vorschläge, Handlungsmaßgaben jetzt für das militärische Geschehen ableiten. Aber für den politischen Umgang mit der Krise, kann man daraus schon einige Schlüsse ziehen, aus dem, was die historische Kenntnis, die soziologische, politologische Einschätzung der Entwicklung bietet.

Momentan ist es schwierig mit Forschungsaufenthalten in der Ukraine. Gleichzeitig suggerieren sie, dass das irgendwann möglich ist. Glauben Sie daran?

Ich hoffe sehr, dass ich da mal wieder hinkomme. Ich bedauere es sehr, dass ich als Präsident der Viadrina nicht die Möglichkeit habe, jetzt die Kollegen und Kolleginnen in den ukrainischen Universitäten zu besuchen. Das wäre mir sehr wichtig. Aber es geht aus technisch-praktischen Gründen eben nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine hierher kommen, was sie tun. Sie waren im November hier in einem großen Saal versammelt, bei unserer Eröffnung des VCPU (Viadrina Center of Polish and Ukrainian Studies, Anm. d. Red.). Und wir können nur hoffen, dass wir eher früher als später diese Möglichkeit wieder haben werden. Im Moment ist leider nicht absehbar, wann sie eintreten wird.

Vom schlechtesten Szenario gehen Sie aber nicht aus, dass die Ukraine vielleicht in der Form gar nicht weiter existiert?

Man kann das nicht völlig ausschließen. Da haben Sie recht. Wenn man schaut, wie zögerlich Europa sich verhält. Und wenn man bedenkt, dass möglicherweise ein anderer Präsident in den USA demnächst regieren wird, kann man da schon große Sorgen entwickeln. Und auch für diesen Fall, der hoffentlich nicht eintreten wird, aber den man nicht ausschließen kann, wird die Viadrina und wird auch dieser Kompetenzverbund eine Rolle spielen. Denn was passiert denn, wenn tatsächlich die Ukraine besiegt würde, von Putin? Dann würden wir doch eine große Zahl von Immigranten, Flüchtlingen haben, die nach Deutschland und nach Europa kämen. Und auch dann müssten natürlich Vorkehrungen getroffen werden, wie man damit umgeht, was man daraus macht, auch dann in Hinblick auf eine hoffentlich bald eintretende, bessere Zukunft. Die Menschen müssen dann weiter auch ausgebildet werden, auch weiter forschen. Und da würde die Viadrina sicher auch eine wichtige Rolle spielen.

Das Interview für rbb|24 führte Stefan Kunze.

30 Kommentare

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  1. 30.

    "Mein Anspruch ist an eine Uni anders als an eine Kommentarfunktion." Falscher Addressat, die Viadrina ist keine vollwertige Uni sondern der Verein names "Europauniversität Viadrina". Die echte Universität Viadrina ist nach Breslau (jetzt Wroclaw) verlagert worden, als die Universität zu Berlin (heute HU) gegründet wurde und genau dort befindet sich die Universität Viadrina (bzw. deren Nachfolger) weiterhin. Nur weil ein Verein hier den altehrwürdigen Namen der ältesten brandenburger Universität usurpiert, wird es nicht die Universität Viadrina. Nach meinem langhährigen EIndurck dient dieser Verein hauptsächlich als Zwischenparkstation für (zumeinst westliches) Personal auf der Suche nach einer neuen lukrativen Stelle. Die Studentenzahlen nehmen ja auch immer mehr ab und die Kooperation mit polnischen Partnerunis (echten Unis) wird auch immer schlechter. Die Könung ist die Verzierung des alten Regierungsgebäudes mit dem pseudoalten Uni-Schriftzug, obwohl es niemals eine Unigebäude war.

  2. 29.

    Kam sicher auf den Lehrer an. Ich hatte darunter auch schon ältere Lehrer, deren Unterricht nicht nur der SED nach dem Munde redete. Scheint also von der idividuellen Erfahrung in der Schule abzuhängen.

  3. 28.

    Ich informiere mich. Sogar darüber was die Viadrina beitragen kann. Nachdem hier gar nichts? Mein Anspruch ist an eine Uni anders als an eine Kommentarfunktion.

  4. 27.

    Glauben sie mir, die Russen haben genug eigene Sorgen, da müssen sie sich nicht noch andere aufladen. Übrigens falls sie es noch nicht wussten, Russland ist das größte und rohstoffreichste Land der Erde im Gegensatz zu den USA, falls sie verstehen was ich meine.

  5. 26.

    Damit der illegale Waffenhandel weiter floriert? Nein danke. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass mit gelieferten Waffen und Munition im großen Stil gehandelt wurde in der Ukraine. Und es gibt keine Gewähr, dass es weitergeht. Nicht umsonst hat die EU eine Kommission zu illegalem Waffenhandel in der Ukraine ins leben gerufen, also gibt es einen gewichtigen Grund.

  6. 25.

    "„Die deutsche Gesellschaft bedarf einer intensiveren Kenntnis der Ukraine“
    Warum? Die Antwort fehlt."
    Lesen Sie sich die Kommentare durch, verfolgen Sie die öffentliche Diskussion und Sie wissen warum. Offensichtlich mangelt es an Kenntnis so weit wie die Ansichten auseinander gehen. Wenn Montagabend russische und Reichskriegsflaggen gemeinsam mit Friedenstauben durch die Städte getragen werden, scheint es doch einiges an Aufklärung zu bedürfen.
    "Eine Aufzählung der eigenen Leistungen würde reichen."
    Informieren Sie sich an der Quelle wenn Sie mehr Details wissen wollen.
    Wollen Sie aber eigentlich nicht, sonst wären Sie von ganz allein darauf gekommen. Medienkompetenz!
    "„Warum es zu diesem Konflikt gekommen ist“ - Ist das unabhängig möglich"
    Und wenn dem nicht so wäre, sollte man es auch sein lassen?
    Eigenartige Vorstellung.

  7. 24.

    Die Ursache für diesen räuberischen Überfall der Ukraine liegen alleine bei Putin, der es nicht vermocht hat seine imperialistischen Gelüste in Geriff zu behalten.
    Übrigens, bei Erfolg macht er weiter!

  8. 23.

    Ich glaube nicht und das habe ich ja auch schon zum Ausdruck gebracht, dass es der Viadrina um Aufklärung der Kriegsursachen geht. Es gibt ausreichend Material dazu und jeder kann sich selbst seinen Reim darauf machen.
    Viele Bürger haben die Kriegspropaganda längst durchschaut.

  9. 22.

    BIs auf Woidke und PIstorius versuchen Scholz, Klingbeil und co. Putin den Weg durch Waffenverweigerungen für die Ukraine zu ebnen.

  10. 21.

    BIs auf Woidke und PIstorius versuchen Scholz, Klingbeil und co. Putin den Weg durch Waffenverweigerungen für die Ukraine zu ebnen.

  11. 20.

    „Die deutsche Gesellschaft bedarf einer intensiveren Kenntnis der Ukraine“
    Warum? Die Antwort fehlt.
    „Warum es zu diesem Konflikt gekommen ist“ - Ist das unabhängig möglich, angesichts der Beeinflussungen? Hätte man das verhindern können?
    „da würde die Viadrina sicher auch eine wichtige Rolle spielen“ - Wie wurde „wichtig“ ermittelt? Weil es im Text nicht erkennbar ist, was die Viadrina da leistet...Eine Aufzählung der eigenen Leistungen würde reichen.

  12. 19.

    Prinzipiell kann man alles mögliche fordern. Nur wenn man eine sehr eingeengte Definition von Leistung vorrangig in materiellen Werten hat, erübrigt sich eine Diskussion über die Leistung von Geisteswissenschaften.
    Gucken Sie mal auf der menschlichen Bedürfnispyramide etwas nach oben.
    Im Prinzip bestätigen Sie meine Aussage mit Ihrer recht flachen Antwort.

  13. 18.

    Den Raubkapitalismus will in Deutschland kaum einer haben, aber für den Raub anderer Länder kann sich hierzulande manch einer"Weltenbumler" begeistern.
    Deutschland hat sehr viele Länder in direkter Nachbarschaft, und seinerzeit haben die Nachbarn ihre Erfahrungen mit Raub ihres Landes durch Deutschland gamacht, und nun sich so "Räuberfreudlich" zu positionieren ist wenig vetrauensstiftend .

  14. 17.

    Eine Leistung der Viadrina zu suchen/einzufordern ist legitim.... Wenn man das eigene (Steuer)Geld mag. Wem es egal ist, der hat bald noch andere Probleme. Das ist mit allem so.

  15. 15.

    So langsam kommt man wirklich ins Zweifeln über die Interessen eines Teiles der brandenburgischen Bevölkerung.
    Da vergibt eine international anerkannte Organisation Gelder nach Brandenburg um einer fachlich insbesondere im Bezug auf Osteuropa anerkannten Universität ein Tätigkeitsfeld zu ermöglichen und außer zweifeln und meckern fällt vielen Brandenburger wieder mal nix ein.
    Das macht doch sehr bedenklich oder seid ihr alle so satt.
    Erklärt zumindest warum sich eigener Spitzennachwuchs kaum entwickelt. Bei er negativen Stimmung.
    Als zugezogener müsst man sich das ja dreimal überlegen.

  16. 14.

    "Im Osten war eigentlich der Geschichtsunterricht sehr gut."
    Da würde ich aber erhebliche Zweifel anmelden.
    Mir fehlt fast schon im alltäglichen diverses geschichtliches Wissen, was in der Schulzeit nicht oder anders gelehrt wurde und was man sich heute mühsam erarbeiten und validieren muss.
    Der Geschichtsunterricht im Osten war obendrein auch noch sehr einseitig.
    Insbesondere zur Sowjetunion wurden die Konflikte zwischen den Republiken und der Stalinismus komplett ausgeblendet. Das kam erst mit Gorbatschow. Im Sputnik konnte man diese Informationswende sehr gut mitverfolgen. Die DDR Medien haben ja bis 1989 ordentlich gefiltert.
    Im Westen weiß ich es natürlich nicht.
    Vielleicht auch nicht besser.

  17. 13.

    Nun ich denke es geht hier nicht um Luftschlösser, sondern um die Anerkennung von Realitäten. Die Ukraine kann mit ihrer jetzigen Ablehnung von Verhandlungen nichts mehr gewinnen. Der Verlust an Menschen ist inzwischen so unerträglich, dass die weitere Existenz des Landes auf dem Spiel steht. Entweder sie retten jetzt was noch zu retten ist oder sie werden
    tatsächlich unter russische Fremdherrschaft geraten. Was nun die Viadrina anbelangt, so plant man hier offensichtlich einen think tank zu etablieren, der den ukrainischen Revanchismus nähren soll. Meiner Meinung nach keine Option für dauerhaften Frieden.

  18. 12.

    Das sehe ich auch so. Es gibt noch mehr Kriege auf der Welt!
    Der Herr muss ja seine Arbeit rechtfertigen. Das verstehe ich sogar.
    Und die Ukraine war schon mal unter den braunen ein sehr begehrtes Objekt wegen den guten Boeden da.
    Geschichte wiederholt sich halt. Nur in anderer Form!
    Mal sehen, ob das durchkommt

  19. 11.

    Tja, "Luftschlösse" lassen sich immer perfekt bauen, sie sind fern der Realität, und um so absurder sie daherkommen, um so zufriedener deren "Erbauer"!

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