Krieg gegen die Ukraine - Russland entzieht bekanntem Klima-Aktivisten Makichyan die Staatsbürgerschaft

Fr 03.02.23 | 06:20 Uhr | Von Eva Sinitseva
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Die russischen Aktivist:innen Arshak Makichyan und Polina Oleinikova (Quelle: rbb)
Video: rbb fernsehen | 28.07.2022 | Team Kowalski | Bild: rbb

Arshak Makichyan war lange das russische Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung. Als er spektakulär gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine protestiert, muss er nach Berlin fliehen. Jetzt hat der russische Staat ihn und seine Familie ausgebürgert. Von Eva Sinitseva

Es hätte ein glücklicher Tag werden sollen, der 24. Februar 2022. Die russischen Aktivist:innen Arshak Makichyan und Polina Oleinikova hatten einen Termin im Moskauer Standesamt und wollten heiraten. Doch am frühen Morgen des Tages erfährt das Paar: Russland greift das gesamte Staatsgebiet der Ukraine an.

Hochzeit als politische Aktion

Spontan entscheidet sich das Brautpaar für eine politische Aktion. Polina Oleinikova zieht ein blaues Kleid an und trägt dazu gelbe Blumen. Makichyan schreibt in Rot auf sein Hemd: "Fuck the war". Die Bilder der Hochzeit gehen sofort viral.

Bereits wenige Tage nach der Aktion drohen ihnen mehrjährige Haftstrafen in Russland. Sie fliehen nach Berlin, finden Unterschlupf bei einer deutschen Familie und organisieren von da an Proteste gegen den Krieg vor der Russischen Botschaft.

Schon kurze Zeit später erfährt Arshak Makichyan: Russland will ihn ausbürgern. Dem Aktivisten, seinem Vater und seinen Brüdern sollte die russische Staatsbürgerschaft entzogen werden, obwohl die Familie seit fast 30 Jahren in Russland lebt und keine anderen Pässe hat. Sie waren damals vor dem Krieg in Bergkarabach aus Armenien nach Russland geflohen.

Die russischen Aktivist:innen Arshak Makichyan und Polina Oleinikova (Quelle: rbb)
| Bild: rbb

Familie wird in Sippenhaft genommen

Am 1. Februar nun hat ein Gericht entschieden: Makichyan, sein Vater und seine Brüder sind keine russischen Staatsbürger mehr. Sein Vater Artur Makichyan wurde am Mittwoch noch am Ausgang des Gerichtsgebäudes im russischen Krasnogorsk, in der Nähe von Moskau, verhaftet. Der Vorwand: Das Foto in seinem Pass sei nur aufgeklebt und der Pass sei nicht echt. Gleichzeitig wurde auch Makichyans Bruder Gagik in Moskau festgenommen und auf dieselbe Polizeistation gebracht.

"Ich habe nicht erwartet, dass sie meinen Vater und Bruder verhaften", sagt Arshak Makichyan sichtlich erschüttert. "Das sind Repressionen ähnlich wie zur Zeit der Sowjetunion. Für meinen Aktivismus wird meine Familie in Sippenhaft genommen."

Gerichtsentscheidung – ein Präzedenzfall

Laut Makichyan und seinem Anwalt Maxim Oleinichev wurden Makichyans Verwandte aufgefordert Russland zu verlassen, sonst würden ihnen Haftstrafen drohen, weil ihr Aufenthalt im Land nun illegal sei. Sein Bruder musste wenige Stunden später Russland verlassen, solange sein Pass noch gültig war. Sein Vater erhielt zwei Tage Zeit, um für immer auszureisen.

"Die Justiz hatte eigentlich keine Macht über die Frage der Staatsbürgerschaft zu entscheiden, das ist eine Angelegenheit des Innenministeriums", sagt Anwalt Oleinichev. "Diese Ausbürgerung ist gesetzeswidrig und politisch motiviert. Zum ersten Mal wurde die Staatsbürgerschaft für einen Anti-Kriegs-Protest entzogen. Wir wissen nicht, ob weitere Fälle folgen, aber es ist ein Präzedenzfall", so der Jurist.

Makichyan und sein Anwalt sind überzeugt: Millionen Menschen in Russland, die nicht von Geburt an die russische Staatsbürgerschaft haben, riskieren nun diese zu verlieren, wenn sie sich gegen Putins Regime äußern. “Ich fürchte, das ist erst der Anfang", sagt Makichyan. "Wenn wir Putin nicht stoppen, wird die Situation immer schlimmer.”

Den Gerichtsprozess versteht er als Druckmittel, damit seine Rückkehr verhindert wird: "Die russischen Behörden wollen, dass ich mich nicht mehr als Russe verstehe", ist Makichyan überzeugt. "Sie wollen, dass ich sage: Ich bin kein Russe. Aber im Gegenteil: Ich bin Teil des multinationalen Russlands."

Bleibt nur noch Asyl

Als im Sommer das Verfahren eingeleitet wurde, bekam Arshak Makichyan viele Kommentare in den sozialen Medien. Er solle doch glücklich sein, dass ihm die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll. Es sei schließlich gar nicht so leicht, diese abzugeben. Doch für den Aktivisten ist die Staatenlosigkeit ein großes Problem: Ohne Staatsbürgerschaft bleibt ihm nur, Asyl in Deutschland zu beantragen.

"Die Situation ist schrecklich, ich wünsche keinem Menschen staatenlos zu werden", sagt der Aktivist. "Ich kann kein Visum bekommen, kann mich nicht legal hier aufhalten und nicht in andere Länder reisen."

In den letzten Jahren hatte Makichyan die Klimagipfel in Madrid und Glasgow besucht: Er stellte kritische Fragen an die russische Delegation, organisierte politische Aktionen und vernetzte sich mit Aktivisten aus der ganzen Welt. Wegen des eingeleiteten Verfahrens gegen ihn, wusste er nicht, ob sein Pass noch gültig war und konnte deswegen nicht zum Klimagipfel fahren. "Ohne gültigen Pass, asylsuchend, ist es schwer, Aktivist zu sein und ich habe kein Recht zu arbeiten."

Die russischen Aktivist:innen Arshak Makichyan und Polina Oleinikova (Quelle: rbb)
Bild: rbb

Gesicht der russischen Fridays-for-Future-Bewegung

Der 28-Jährige war lange das Gesicht der russischen Fridays-for-Future-Bewegung. Jahrelang protestierte er gegen die Klimakrise in Russland. Von Beruf Profigeiger musste Makichyan für seinen Aktivismus sogar seine Musikkarriere opfern. Immer wieder wurde er vorübergehend festgenommen. Nach seiner ersten Klimakonferenz in Madrid saß er in Russland sechs Tage im Gefängnis.

Die Flucht nach Berlin hat Arshak Makichyan vor neue Herausforderungen gestellt. Er muss sich nicht nur in einem neuen Land zurechtfinden, sondern auch seine Rolle als Politik- und Umweltaktivist überdenken. “Ich fühle mich verloren. Ich war schon innerlich gebrochen, als ich mit der Musik aufhörte, jetzt versucht mir der russische Staat meine Identität zu nehmen”, sagt Makichyan.

Früher glaubte er, seine Verhaftung könnte ein Zeichen sein und etwas bewirken. Doch dann wurde ihm klar, dass er in Freiheit mehr erreichen kann. "Inhaftiert zu werden inspiriert die Menschen in Russland nicht mehr, im Gegenteil, es verängstigt sie noch mehr. Jetzt muss man andere kreative Protestformen finden."

Hier in Deutschland kämpft er als Aktivist dafür, dass der Krieg und die Klimakrise nicht vergessen werden. "Ich glaube, Russland wird irgendwann frei sein und wird Politiker und Aktivisten brauchen." Arshak Makichyan hofft, dass er dann dabei sein kann.

Beitrag von Eva Sinitseva

52 Kommentare

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  1. 52.

    Wo genau sehen Sie Parallelen zwischen den Fällen Makichyan und Snowden? Ihre Einlassung dazu ist schlicht Unfug, Martin.

  2. 51.

    Eine Staatsbürgerschaft sollte ein Privileg sein. Also nichts für Verräter, aus Sicht eines Staates. Die soll aufhören zu heulen, wir gehen Arbeiten, hätte sie auch tun sollen.

  3. 50.

    Mit diesem Handeln steht Russland nicht allein. Das haben die USA bei Edward Snowden auch so gemacht. Das waren dann aber die Guten. Da regt man sich nicht auf.

  4. 49.


    Sergej Lawrow hat erst kürzlich Verhandlungen ausgeschlossen. Seit Wochen schliesst der Kreml jegliche Verhandlungen aus, solange Kiew die besetzten Gebiete nicht an Russland abtritt, auch Teile der Ukraine, die nicht mal unter russischer Kontrolle sind.
    Vielleicht sollte sich V. Putin mal sich dazu äussern, wie so Verhandlungen funktionieren sollen und worüber überhaupt verhandelt werden soll.

  5. 48.

    Ihre Aktivisten machen sich also für unsere Zukunft stark. Womit? Indem Sie Autoreifen verbrennen, sich auf Straßen festkleben oder Polizisten angreifen. Mit solchen Aktionen scheinen sich viele moralisch überlegen zu fühlen und ihrem Leben einen Sinn geben zu wollen. Da wird betont das man sein Studium abgebrochen hat, weil man die Welt retten muss. Unfug, wäre das Interesse an der Rettung da, würde man die entsprechenden Berufe erlernen und aktiv daran mitarbeiten das die Wälder aufgeforstet und gepflegt werden, Landwirtschaft/Tierhaltung ökologisch und effizient aber naturnah praktiziert oder aber neue Wege im Bereich Energiewirtschaft gegangen werden. Wir brauchen nicht die Schwätzer die von anderen fordern, sondern die Macher die im kleinen oder großen die Veränderung vorantreiben ohne sich in den Medien zu präsentieren.

  6. 47.

    Wer sind Sie (beispielhaft für viele andere) eigentlich, den Ukrainern vorzuschreiben dass sie nicht verhandeln dürfen, bis sie alle Gebiete "zurückerobert" haben? Das wäre der NATO und den Amerikanern sicher ganz recht, aber vielleicht sollte man diese Entscheidung doch den Ukrainern überlassen!

  7. 46.

    Wieso, wollen Sie den Aktivisten die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen oder sind Sie generell gegen Menschen, die sich für unsere Zukunft stark machen. Wenn Sie die ewige Leier des Fluges erwähnen wollten, muss ich Ihnen leider die traurige Mitteilung machen, der Flieger wäre auch ohne die Aktivisten geflogen, Scheindebatten sind so öde.

  8. 45.

    Hallo Jens,
    warum fühlen Sie sich angesprochen?
    In dem von Ihnen angegebenen Artikel steht auch, dass die beiden gar nicht in Bali sind oder waren.
    Was Herr Homann geschrieben hat, war, meiner Meinung nach, nichts anderes als Hetze gegen Klimaaktivisten.

    An alle:
    Warum kann eigentlich niemand meine Fragen beantworten? Sie sind ernst gemeint!

  9. 44.

    Sie und Ihre Deutungs-"künste" - das hat nichts.

  10. 43.

    Ach, die Bedingungen für Friedensverhandlungen sind doch leicht erfüllt: Putin muss einfach alle Truppen zurück in russisches Staatsgebiet beordern und alle Kampfhandlungen einstellen. Dann kann man anfangen über Frieden zu reden. Liebe Grüße, eine Grünenwählerin.

  11. 42.

    Frieden schaffen ohne Waffen ! Ich erwarte, dass die Grünen nun endlich ihr Mantra auch in Angriff nehmen und Taten folgen lassen. Die Chef-Diplomatin soll mal Putin schöne Augen machen. Während dessen stelle ich mir vor, dass hier Krieg ist und keiner hin geht.

  12. 41.

    Ach, die bösen Grünen-Anhänger sind jetzt dran schuld, an irgendwas müssen sie ja immer schuld sein, völlig klar. Wenn Ihr Land völkerrechtswidrig überfallen und angegriffen wird und der Angreifer ihrem Land das Existenzrecht abspricht - was gibts da zu verhandeln? Wo genau hat Putin angeboten, sich zurückzuziehen? Und was gibt Ihnen auch nur ein Fitzelchen Gewissheit, dass ihm und seinen Zusagen dann zu trauen ist? "OK, Absprache gilt, halte mich künftig an Völkerrecht und respektiere Grenzen, starte keinen Versuch mehr, mir ehemalige Sowjetrepubliken wieder einzuverleiben, ich respektiere jetzt die Weltordnung." Träumen Sie weiter, Sie friedensbewegter Engel. Zu Verhandlungen gehört bei weitem nicht nur das Opfer des Angriffs, sondern zwei - mit einem ernsthaften Verhandlungswillen. Den fantasieren Sie Russland herbei.

  13. 39.

    Mein persönlicher Beitrag ist das Werben für Friedensverhandlungen. Leider stoße ich dabei besonders bei Anhängern der Grünen, die eigentlich aus der Klima- und Friedensbewegung (!) kamen, IMMER auf taube Ohren. DAS ist perfide, menschen- und vor allem klimaverachtend. Schade, dass keiner das erkennt. Es scheint daher eben NICHT um das Engagement für das Klima zu gehen ...

  14. 38.

    Gehört zwar nicht zum Thema, aber eine Kleinigkeit ist es wohl nicht, wenn zwei Klima Kleber nach Bali in den Urlaub fliegen. Wie sagt man so schön Wasser predigen und Wein saufen. Der RBB berichtet vielleicht auch nicht darüber, weil die beiden in Stuttgart vor Gericht sollten und das liegt in Ba-Wü.

  15. 37.

    Wenn Sie Russland so "fortschrittlich" finden - nix wie übersiedeln in Ihr Schlaraffenland und dort ordentlich die Klappe aufreissen, dann erleben Sie dort ihr persönliches Wunder. Man wird Sie sicher nicht wieder ausreisen lassen.

  16. 36.

    Putins Truppen in Geiste sind auch digital unterwegs. Die bringen Sie zwar nicht um, aber sorgen für Stimmungsmache. Anstatt Truppen können Sie auch gerne Fanclub sagen.

  17. 35.

    https://taz.de/Bali-Debatte-um-die-Letzte-Generation/!5909597&s=Bali/

    Ich bin TAZ-Abbonent

  18. 34.

    Vorgestern auch keine Meldungen in der heute Sendung 19.oo Uhr und der anschließenden 20.00 Uhr Tagesschau über den Panzerunfall bei dem es etliche Verletzte und 1 Schwerverletzten gegeben hat
    ....q.e.d.......die ÖR scheinen momentan etwas überfordert zu sein.

  19. 33.

    Bekannt ?
    Mal ehrlich , ich hatte noch nie wat von ihr gehört.

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