Daten und Prognosen für den Winter - So gut sind wir bereits auf die drohende Gas-Knappheit vorbereitet

Mi 07.09.22 | 08:06 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
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Symbolbild: Die blaue Gasflamme eines Gasherdes. (Quelle: dpa/C. Neundorf)
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Nach zwei von Corona geprägten Jahren steht der nächste schwierige Winter an. Dieses Mal geht es aber um die Versorgung mit Erdgas. Was Experten wissen, glauben und auch nicht wissen. Von Haluka Maier-Borst

Die Gasspeicher bei 85 Prozent, der Sommer länger als erwartet. Und trotzdem schießen die Preise für Gas und Strom hoch, werden nach und nach Sparverordnungen beschlossen. Wie das alles zusammenpasst, können nicht mal Ökonomen und Ökonominnen vollends erklären. Doch es gibt ein paar Fakten und Vorhersagen, die die Lage etwas verständlicher machen.

Die Speicher allein reichen nicht. Nicht mal ansatzweise.

Immer wieder wird davon gesprochen, wie schnell die verschiedenen Gasspeicher in Deutschland sich füllen. Tatsächlich ist man in der Hinsicht mehr als im Soll. Denn selbst die nochmals angehobenen Füllstandsvorgaben übertrifft man bei Weitem. War die Vorgabe, die Gasspeicher in Deutschland bis zum 1. Oktober zu 85 Prozent zu füllen und bis zum 1. November zu 95 Prozent, so ist bereits aktuell, Anfang September, die erste Marke von 85 Prozent überschritten [agsi.eu].

Trotzdem sind die Gasspeicher eben nur ein Teil der Rechnung. Denn über diesen Weg lässt sich nur in etwa der Verbrauch von zwei Wintermonaten decken. Sprich, auch im Winter braucht es weiter Gasimporte und dass die weiter aus Russland kommen werden, das ist ziemlich unwahrscheinlich.

Das Ersetzen von russischem Gas klappt recht gut.

Viele Ökonomen und Ökonominnen gehen davon aus, dass Russland bald dauerhaft die Gaslieferungen einstellen könnte. Zwar werden auch aktuell technische Gründe für die Lieferunterbrechungen bei Nord Stream 1 vorgebracht [tagesschau.de]. Man ist sich aber unter Experten und Expertinnen eigentlich einig, dass in Wahrheit die Unterstützung der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland der Grund für die kleiner werdende Menge an Gaslieferungen ist. Und damit kommt Deutschland erstaunlich gut klar.

Kurz vor dem Stopp der Lieferungen kamen nur noch weit unter 20 Prozent aller Gasimporte aus Russland, wie Berechnungen von rbb|24 nahelegen. "Es gibt definitiv keinen Grund alarmistisch zu sein", sagt Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Vor allem mit Gas aus Norwegen und Flüssiggas, das über die Häfen der Niederlande und Belgien kommt, habe man nach und nach russisches Gas im Sommer ersetzen können. Im Winter ist der Bedarf aber naturgemäß deutlich höher. Und um diesen Bedarf auszugleichen, würden alleine die Importe aus anderen Quellen eben nicht reichen, betont die Expertin.

Wir werden alle noch deutlich sparen müssen.

Sowohl Berechnungen von Holz [degruyter.com] als auch von namhaften Ökonomen wie Rüdiger Bachmann [econtribute.de] von der University of Notre Dame legen nahe, dass aktuell immer noch etwa 25 Prozent des Gasbedarfs nicht gedeckt werden können, wenn man vom Verbrauch aus vorherigen Jahren ausgeht. Entsprechend helfen nur Einsparungen. Und die sind bereits passiert, allerdings nur in geringem Maße.

Der Ökonom Clemens Stiewe von der Berliner Hertie School kam für die Monate bis April auf einen Wert von drei Prozent bei den Haushalten an Einsparungen und in der Industrie auf elf Prozent. Schaut man sogar nur auf die Monate nach dem Einmarsch Russlands, also März und April, so waren es sechs Prozent bei den Haushalten und weiterhin elf Prozent in der Industrie.

Der große Unterschied bei den Einsparungen zwischen Industrie und Haushalten sei erstmal nicht verwunderlich, sagt Stiewe: "Ein Haushalt kann seine Gasheizung in der Mietwohnung nicht plötzlich ersetzen, aber ein Industriebetrieb kann mitunter seine Anlage mit Öl statt Gas betreiben. Oder man stellt gewisse Dinge im Ausland her, wo der Strom oder das Gas billiger ist und importiert dann dieses Zwischenprodukt nach Deutschland."

Trotzdem sei aber klar, dass bei den Haushalten bisher noch nicht alle Möglichkeiten zum Sparen ausgenutzt wurden. "Das liegt auch daran, dass es lange dauert, bis Verbraucherinnen und Verbraucher den Preisanstieg zu spüren bekommen. Viele werden erst mit der jährlichen Nebenkostenabrechnung merken, wie teuer Gas geworden ist."

In vielen Punkten ist es ein Blindflug.

Überhaupt ist genau das eine der größten Herausforderungen für den kommenden Winter: die schlechte Datenlage. Für viele Haushalte wird es bis zur Heizkostenabrechnung ein Blindflug sein. Sprich, den Effekt von ein paar Grad Celsius weniger im Wohnzimmer, eine Minute kürzer duschen – all das wird nicht greifbar. "Entsprechend fehlt vielen Leuten die Übersicht, welche wirtschaftlichen Vorteile das Energiesparen für sie aktuell hat", sagt Stiewe.

Aus Sicht von seiner Kollegin Holz sorgt dieser Mangel an Informationen noch für weitere Probleme. Weil eben die einzelnen Haushalte so wenig zeitnahe Daten zur Verfügung haben, sei es auch für Ökonomen schwierig abzuschätzen, wie sich der Verbrauch in den Haushalten anpasst und verändern wird. Das macht Prognosen schwierig.

Was das für Berlin und Brandenburg bedeutet? Unklar.

Dass Deutschland wirklich im Winter das Gas ausgeht, halten Ökonomen und Ökonominnen für weiterhin eher unwahrscheinlich. Dass aber die Haushalte und Industrie gar nicht empfindlich getroffen werden, gilt als ebenfalls ausgeschlossen – trotz weiterem Entlastungspaket. Für alle Nuancen dazwischen fehlen oft die Daten. Auch wie sehr welche Regionen von Deutschland betroffen sein werden und wie sehr für Berlin und Brandenburg das der Fall sein wird, bleibt ungewiss.

So sagt die Ökonomin Holz, dass man zurzeit nur grobe, regionale Abschätzungen vornehmen könne. Weil gasintensive Industrie wie Glasherstellung eher in Bayern, Thüringen und Sachsen zuhause sei und die Chemieindustrie eher in Mitteldeutschland, gehe sie davon aus, dass die Berliner und Brandenburger Wirtschaft vielleicht etwas weniger betroffen sein werden. Viel mehr als Pi-mal-Daumen-Abschätzung sei das aber nicht.

Was also genau passieren wird, können Expertinnen und Experten schwerlich vorhersagen, ja teils nicht einmal für aktuelle Entwicklungen erklären, wieso sie so sind, wie sie sind. So zeigte sich vor einigen Tagen der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann auf Twitter sehr ehrlich: "Ich gebe ein Bekenntnis ab. Ich bin Ökonom. Und ich habe keine Ahnung, was zur Zeit am Strommarkt los ist." [twitter.com]

Sendung: rbb24 Abendschau, 06.09.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Haluka Maier-Borst

82 Kommentare

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  1. 82.

    Nur noch mal kurz zu ihre Antwort auf meinen Kommentar. Ende 21 lag der Gaspreis bei ca 7,2 Cent aktuell hat er sich verdoppelt. Die Gründe 1. Ende 21 ist der Einkaufspreis gestiegen wurden aber erst 22 an die Verbraucher weitergegeben. 2. Die Co2 Steuer ,3 die steigende Nachfrage auf dem Weltmarkt, bei gleichzeitig begrenzten Angebot weil zB Asien immer mehr Gas kauft und Russland dort hin vermehrt liefert. 4.desweiteren wurde Nordstraem 2 nicht in Betrieb genommen so wie angedacht dort sollte günstigeres Gas nach DE und in die EU geliefert werden. Und noch eins unsere Regierung ist nicht interessiert den Preis zu senken, weil sie allein durch die MwSt mehr Einnahmen von über 50% hat . Bei der MwSt der Gasumlage kommen noch mal 1.4 Milliarden dazu. Ich nenne sowas Abzocke,die wir bezahlen und hier klatschen einige noch in die Hände. Viele stoßen bald an ihre Grenzen und können es nicht mehr bezahlen, aber ist ja für die gute Sache.

  2. 81.

    Die Ukraine hat Gas im Überfluss.
    Im Tausch für Hilfsleistungen wäre es NICHT SCHLECHT, uns zu helfen, wo wir doch ihnen helfen.
    Kann die Presse da nachhaken?

  3. 80.

    Anfangs die Spekulation von Banken mit CO2 Zertifikaten, die den CO2 Zertifikate Markt leergekauft haben, weil sie nicht wussten wohin mit ihrem Geld und somit künstlich die Energiepreise nach oben getrieben haben.
    Auch ein Systemfehler den man politisch hätte verhindern können indem man diesen Markt nur den tatsächlich Beteiligten öffnet.
    Das "Ende" von Corona kam noch dazu, wobei das nur begrenzt sein kann. Der Energieverbrauch hat sich ja durch den kleinen Boom nicht vervielfacht. Die vorhandenen Ressourcen wurden ja nur wieder normal ausgelastet.

  4. 79.

    Das stimmt bis auf, und das gehört auch zur Wahrheit, den Einmarsch in NATO-Gebiet.
    Das wird zwar ständig behauptet, aber es wird dadurch nicht wahrer, weil wir dann den 3. Weltkrieg hätten.
    Keiner, auch nicht Putin, ist so blöde und fängt den 3. Weltkrieg an, denn der wird mit Sicherheit atomar oder zumindest mit Waffensystemen geführt, gegen die der gerade eingesetzte russische Schrott, die pure Erholung ist.

  5. 78.

    Haben wir noch Hersteller für Windkraftanlagen und Solaranlagen, die den geplanten Bedarf bedienen könnten?

  6. 77.

    Toll! Meinung passt nicht. Schublade AfD auf, Meinung diskreditiert, Schublade zu. Uti ist aber kein AfD-Anhänger!  Ein Auto ist nicht mehr zu reparieren, wird verschrottet und durch ein neues, technisch moderneres ersetzt. Man hat wie bisher 1 Auto. Es gibt NS1, wir beschweren uns, dass wegen Defekt - Spiel v. Putin - nicht geliefert wird. Also NS1 durch NS2 (technisch neuer) ersetzen. Stand wie bisher, also nach wie vor nur 1 Leitung. Wo ist das Problem? Europa im Arsch hilft auch keinem!

  7. 76.

    Ja, vor allem die von Habeck ausgehandelten Gaslieferverträge mit Katar sind ganz sicher. Ironie zu Ende

  8. 75.

    Die Großmächte USA und Russland/China sind doch froh, wenn sie den Konkurrenten Europa los sind! Und Deutschland/ Europa war so dermaßen dumm sich absolut von anderen abhängig zu machen!
    Darüber hinaus ist die Frage: Brauchen wir solche Unmengen Einwegglas? Stahl für Individualverkehr? Beton für Neubauten? Brauchen wir nicht eher Solaranlagen, Windräder, Energiespeicher? Wieso wird händeringend versucht Energie für diese toten Produkte zu horrenden Preisen zu ergattern??

  9. 74.

    Warum soll man den Gas-Import von jemanden verbieten, der selber vertragsbrüchig geworden ist? Nochmal: Take-or-Pay greift nur wenn der privatwirtschaftliche Kunde das Gas nicht abnehmen will, bei einem staatlichem Enbargo seitens Deutschlands aber nicht. Das würden die aber wollen, wenn nicht die staatlich kontrollierte Gazprom von sich aus die Lieferung mit fadenscheinigen Argumenten eingestellt hätte.

  10. 73.

    Das war die kanadische Krücke wg. Sanktionen gegen Russland.

  11. 72.

    Putin hat bei NS1 den Hahn zugedreht. Das Gas, was zu uns kommen soll, wird in Russland abgefackelt. Wenn aus Russland über NS1, Weißrussland und die Ukraine kein Gas zu uns kommt, warum soll es dann über NS2 kommen?

    Antwort: Wenn wir die Unterstützung der Ukraine aufgeben und fortan Russland durch den Kauf des Gases unterstützen.

    Wir haben die Wahl: Entweder wir unterstützen weiter die Ukraine, um Putin aufzuhalten, suchen nach Alternativen und bauen die regenerativen Energiequellen aus. Richtig, das wird teuer.
    Oder wir unterwerfen uns Putins Erpressung und pfeifen auf die Ukraine. Dann marschiert Putin weiter nach Georgien und Moldau. Wir haben dann erhöhte Belastungen durch noch mehr Flüchtlinge. Wenn Putin ins Baltikum marschiert sind wir direkt betroffen.

  12. 71.

    Der Erdgas-Preis steigt bereits seit Ende 2021 wegen der (weitgehend) bewältigten Corona-Krise deutlich … Denn fast alle Volkswirtschaften fragten (quasi) gleichzeitig wieder viel mehr Erdgas nach … Russland erhöhte ihn dann durch seinen Angriffskrieg und seinen Lieferboykott stetig weiter … ... Und die Spekulanten tun ihr Übriges noch dazu, übrigens.

  13. 69.

    @Alfred Neumann
    "Wenn von stattlicher Zeit die Einfuhr verboten wurde...."
    Was soll uns das sagen?

  14. 68.

    Warum verbietet man dann nicht einfach den Import? Irgendwo scheint da doch noch eine zusätzliche Bedingung zu sein, daß es doch nicht so einfach geht und man noch etwas die Gegensaktionen von Rußland als Antwort auf die Sanktionen gegen Rußland ertragen muß.

  15. 67.

    Warum mußte diese Turbine denn in D Zwischenstation machen und wurde nicht aus der Wartung direkt an den Kunden zurückgeliefert? Ist sowas üblich in er Branche?

  16. 66.

    Die like AfD scheint einigen erfolgreich weiß gemacht zu haben, dass die Turbinen bei NS2 zuverlässiger funktionieren als die von NS1 samt der in Russland stehenden Reserveturbinen plus der in Deutschland.

  17. 65.

    Wer sagt, das wir bezahlen müssen, auch wenn Putin nicht liefern will? Umgekehrt wird der Schuh bei "Take-or-Pay"-Vertragen draus. Nur würde eben nicht "Deutschland", sondern die privatwirtschaftlichen Gasversorger zahlen m,üssen, wenn die nicht abnehmen wollen. Wenn jedoch von stattlicher Zeit die Einfuhr verboten wurde, sind aber auch die fein raus.

  18. 64.

    Was wurde denn damals als Ursache für die Preissteigerungen angegeben?

  19. 63.

    Wie wäre es denn, die Russen auf das Angebot von Putin, über NordStream 2 zu liefern, durch Öffnung der Pipeline festzulegen? Aus Solidarität mit den EU-Staaten und den USA sowie der Ukraine die eigene Wirtschaft zu riskieren, ohne den Versuch gewagt zu haben? Der Russe kann im übrigen ob der Dauer des Wirtschaftskrieges seine Wirtschaft umstellen und den eigenen Schaden minimieren. Wir schaffen das auch ?

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