Hans-Otto-Theater in Potsdam - Das Ende der Powerfrau

Sa 16.03.24 | 12:46 Uhr | Von Von Barbara Behrendt
Pressefoto: "LINDA" Katja Zinsmeister auf der Bühne. (Quelle: T. Jauk/ HANS OTTO THEATER)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.03.2024 | Ann Kristin Schenten | Bild: T. Jauk/ HANS OTTO THEATER

Linda ist eine taffe, erfolgreiche Business-Lady, die plötzlich nichts mehr gilt, als sie die 50 überschritten hat. Annette Pullen hat das Stück "Linda" jetzt am Hans-Otto-Theater inszeniert. Ein diffuser Abend über eine feministische Anti-Heldin. Von Barbara Behrendt

"Visibility" steht in großen Lettern auf dem weißen Vorhang, der hinter Linda hängt, als sie ihre Präsentation beginnt. Selbstbewusst spricht sie im Hosenanzug ins Mikrofon, wirbt für ihre Schönheitslinie, die Frauen über 50 sichtbarer machen soll. Ihr Credo: Mädchen selbstbewusster machen, Frauen stärken. Doch damit kommt sie in ihrer Firma "Swan" nicht weit. Amy, die neue, halb so alte Powerfrau an Bord, hat nämlich eine viel ertragreichere Idee: Anti-Aging-Produkte für Frauen ab Mitte 20. Schließlich greift die Angst vor dem Altern bei Frauen immer früher um sich – damit lässt sich Geld verdienen.

Plötzlich ist Linda die "alte Schachtel"

Und Linda, die sich mit doppelter Kraft wie ein Mann nach oben gekämpft hat, die sowohl Karriere gemacht als auch zwei Töchter (mitunter alleine) großgezogen hat, die ihren Ehemann mit einem perfekten Pilz-Risotto bekochen kann und noch immer, wie sie stets betont, in ihre Kleider von vor 15 Jahren passt – diese Linda gehört plötzlich zum alten Eisen. Eine alte Schachtel, die man nicht mehr anschaut und ihr noch viel weniger zuhört. Kaum ist sie jenseits der 50, soll sie im Konzern durch Amy ersetzt werden; Lindas Mann geht fremd und ihre Töchter leiden unter denselben Sexismen wie seit Menschengedenken. Lindas Glaube an eine gleichberechtigte Gesellschaft wird hart erschüttert.

Pressefoto: "LINDA" Katja Zinsmeister auf der Bühne. (Quelle: T. Jauk/ HANS OTTO THEATER)
| Bild: T. Jauk/ HANS OTTO THEATER

"Visibility" – es ist das richtige Schlagwort bei diesem viel zu lange ignorierten Thema, das die britische Autorin vor zehn Jahren schon mit ihrem Stück "Linda" aufgriff. Nach wie vor ist es auch in Deutschland so, dass zum Beispiel auf drei Männer über 50, die im Fernsehen auftreten, nur eine Frau über 50 kommt. Ähnliches gilt für die Theaterbühne. Und darüber hinaus: Die meisten Frauen über 50 beschreiben, dass sie, anders als Männer, weniger angesehen, weniger gehört, weniger begehrt werden.

Das Stück hat enorme Schwächen

Umso tragischer ist es, dass Skinners Drama enorme Schwächen hat. Einerseits greift die Autorin in ihrer Polemik jede Abwertung auf, die es für Frauen zu beklagen gibt: das Unsichtbarwerden der Frau über 50 im Beruf; der Ehemann, der eine 25-Jährige vögelt; die Tochter, die von ihrem Ex-Freund traumatisiert wurde, der ihre Nacktbilder an die ganze Schule verschickt hat. Und die Theaterbranche kriegt natürlich auch ihr Fett weg: Lindas jüngere Tochter Bridget scheitert beim angehenden Vorsprechen als Schauspielerin am Fehlen einer geeigneten Frauenrolle – im klassischen Kanon gehen Frauen hauptsächlich als Opfer durch, während Männer aus Hunderten Helden und komplexen Bösewichten auswählen können.

Sämtliche Themen hakt Skinner wie auf der To-Do-Liste ab: die konstante Bewertung des weiblichen Körpers, der Selbstoptimierungswahn bei Frauen, MeToo, Cyber-Mobbing, Jugendwahn, Altersdiskriminierung. Dabei treibt sie die Klischees auf die Spitze, entwirft Stereotype – die man aber immerhin in die Satire treiben könnte.

Andererseits möchte Skinner dann aber mit ihrer Hauptfigur den Weg ins komplexere psychologische Drama finden. Denn Linda ist eine recht unsympathische Figur, die ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist, Probleme überhört und verdrängt und ihre Töchter für allen Sexismus, den sie erleben, selbst verantwortlich macht. Doch mit diesem Weg ins Antiheldenhafte der Figur verunklärt die Autorin eher die vorher geäußerte Gesellschaftskritik.

Machtgeilheit im Frauenkörper ist nicht Feminismus

Die Regisseurin Annette Pullen hat sich entschieden, das Stück als Drama zu inszenieren, stößt bei den Klischee-Figuren allerdings schnell an Grenzen. Zudem kürzt sie ausgerechnet jene Feinheiten, die den Figuren ein Mindestmaß an Komplexität gegeben haben. Lindas Ehemann Neil, den die ersten Szenen mit kleinen Details in all seiner Borniertheit und Selbstzentriertheit schön entlarven, gerät hier zur reinen Staffage – und das, obwohl ihn mit Joachim Berger einer der besten Schauspieler des Potsdamer Ensembles spielt. Katja Zinsmeister macht als Linda das einzig Richtige: Sie versucht der Hauptfigur auf der weiß unterkühlten, schicken Büro-Bühne so viel Wärme und Witz wie möglich abzutrotzen.

Doch das kann nichts daran ändern, dass der Abend sich ins immer Diffusere entwickelt. Linda entpuppt sich mehr und mehr zur Anti-Heldin, die Feminismus mit Machtgeilheit in Frauenkörpern verwechselt und ihre Töchter denunziert, die sich diesem Diktat nicht unterwerfen möchten. Immer wieder gibt das Stück Hinweise auf Shakespeares "König Lear", der seine Macht ebenfalls nicht an die Töchter abtreten kann. Doch dieser Archetyp hat wiederum wenig mit den gesellschaftlichen Missständen zu tun, die Skinners Drama eben gleichermaßen verhandelt wissen will.

Zudem dreht Linda am Ende völlig durch und bedient das Klischee der überforderten Frau, die hysterisch wird, sobald es im Job Probleme gibt. Nicht, dass das Theater eindimensionale Botschaften liefern soll – doch was dieser Abend überhaupt erzählen möchte, bleibt konfus und ungenau. Irgendetwas mit Gleichberechtigung?

Letztlich verhält sich Linda derart daneben, dass man ihr dann eben doch die Schuld an ihren Problemen geben kann. So einfach ist das. Und eine vertane Chance bei diesem virulenten Thema.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.03.2024, 9:54 Uhr

Beitrag von Von Barbara Behrendt

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