Kommentar | Shoah-Gedenktag - Es reicht nicht aus, in ritualisierten Gedenkreden ein "Nie wieder" zu fordern

Di 18.04.23 | 05:56 Uhr | Von Maria Ossowski
  15
Symbolbild: Ein Mann läuft am Shoah-Gedenktag 2022, eingehüllt in eine Israel-Flagge, zwischen Zäunen des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz in Polen entlang (Quelle: dpa / AP / Czarek Sokolowski).
Bild: AP

In Israel steht am Dienstag zwei Minuten lang das Leben still: um der sechs Millionen ermordeten europäischen Jüdinnen und Juden zu gedenken. Die Erinnerung am Shoah-Gedenktag sollte auch in Deutschland nicht in ritualisierten Reden erstarren. Von Maria Ossowski

Der Moment ist ergreifend. Die Sirenen heulen und ein ganzes Land steht still, um zu erinnern. Israel und die Geschichte der Shoah sind untrennbar miteinander verbunden. In Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte, warten am Ende der Ausstellung über den millionenfachen Mord an den europäischen Juden ein riesiges Fenster und eine Terrasse. Man tritt hinaus, und der Blick weitet sich auf: Erez Israel.

Dieser Staat war und ist nach jahrtausendelanger Verfolgung und der Shoah die Rettung für die Überlebenden und ihre Nachfahren. Die riesigen Demonstrationen, die Israel seit Monaten bewegen, sind Folgen dieser Geschichte. Hunderttausende Israelis wollen ihre Demokratie, ihren Rechtsstaat retten. Sie wissen, dass nur Israel ihnen trotz aller Konflikte mit den Palästinensern jene Sicherheit geben kann, die sie vor ihrer Verfolgung als Juden schützt.

Keine kraftlosen Floskeln mehr

Denn die gibt es nach wie vor, der Judenhass wächst überall. Während die Israelis für ihren Rechtsstaat kämpfen, durften hier in Berlin Demonstranten "Tod den Juden" brüllen, ohne dass die Polizei eingeschritten ist. Zwar sind die beiden Folgedemos nun verboten worden, aber deswegen verschwindet die Haltung der Demonstranten und deren Forderung nicht. Die Gleichzeitigkeit erschüttert: Israelis demonstrieren für ihre Demokratie und Demonstranten in Berlin fordern den Tod der Juden.

Es reicht nicht aus, in ritualisierten Gedenkreden hierzulande ein "Nie wieder" zu fordern, oder, besonders falsch, diese Floskel zu strapazieren: "In Deutschland hat Antisemitismus keinen Platz". Er ist da, er hat längst Platz genommen. Viel wichtiger sind diese Punkte: 1. Ein intensiverer Schulunterricht zur Shoah, zu ihren Gründen und ihren Schrecken. 2. Eine strengere Verfolgung antisemitischer Straftaten. 3. Eine offene Diskussion, wieviel verborgener und offener Antisemitismus schon in der Forderung steckt, Israel als Deutscher trotz des Holocausts kritisieren zu dürfen.

Es hängt alles zusammen. In Israel steht an diesem Tag zwei Minuten das Leben still. Vergessen wir niemals: Wenn wir in Deutschland für jede ermordete Jüdin, für jeden ermordeten Juden, für jedes erschlagene, vergaste oder erschossene jüdische Kind nur eine Minute schweigen müssten, wäre es elf Jahre still in unserem Land. Totenstill.

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.04.2023, 7 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

15 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 15.

    "Meine und zukünftige Generationen hätten die Aufgabe dafür zu sorgen, dass soetwas nie wieder passiert. Wenn wir das nicht schaffen dann würden wir Schuld auf uns laden!"

    Das haben wir schon indem wir zulassen dass wieder Faschisten und Rechtsextremisten in deutschen Parlamenten sitzen.

  2. 14.

    Ich erinnere mich an meine Gespräche in der Jugend mit meinem Verwandten der im Widerstand gegen das NS-Regime und dafür im KZ war. Er sagte zu mir, dass seine Generation Schuld an den Greueln des NS-Regime habe, aber nicht die meine. Meine und zukünftige Generationen hätten die Aufgabe dafür zu sorgen, dass soetwas nie wieder passiert. Wenn wir das nicht schaffen dann würden wir Schuld auf uns laden!

  3. 13.

    Das schreiben Sie bestimmt schon seit 30 Jahren. Ich bin im Osten geboren und durch die DDR Bildung politisiert worden. Rausgekommen ist, dass ich mich seitdem für die dunkelste Seite der deutschen Geschichte interessiere und engagiere, und besonders was die Ursachen und Folgen des Holocaust betrifft. Das habe ich auch schon hunderten von Schülern und Schülerinnen versucht zu vermitteln anhand verschiedenster Werke.
    Also hören Sie endlich damit auf, immer wieder die Ostkeule herauszuholen. Letztlich entscheidet am Ende jede(r) Einzelne (r), welchen Weg er einschlägt, unabhängig von seinem Wohnort.

  4. 12.

    Die Überschrift stimmt. Mann und Frau müssen aus der Geschichte lernen und Parallelen zu heute erkennen. Z.B. Ähnlichkeiten zwischrn AfD und NSDAP.
    Nur so kann man vermeiden das normale Bürger in die Fänge dieser und ählnlicher Parteien / Organisationen geraten ( 3Weg, Identitäre, Junge Freiheit Umfeld ... ). Oder denselben Lügen aufsitzen

  5. 11.

    Sie gleiten ab in Unzusammenhängendes. Grundlage für die Shoah war in erster Linie Antisemitismus, den gab und gibt es in allen Parteien. Diesen zu ahnden, zu verfolgen und nicht regelmäßig speziell Berliner Gerichte am Strafgesetzbuch vorbei urteilen zu lassen, ist ein zeitloser Auftrag.

    Sich auf konstruierte Begriffe wie "Friedlichkeit" zu stützen, hilft beim Engagement gegen Antisemitismus herzlich wenig, ebensowenig ist in einer weitgehend säkularen Gesellschaft "Christlichkeit" Maßstab. Es braucht die demokratische Einstellung - und entsprechendes Handeln. An ein paar ausgewählten Tagen ritualisiert einiger der Verbrechen der NS-Zeit mahnend zu gedenken, reicht da nicht aus.

    Sie sprechen die Aufklärung an und ignorieren, dass Kolonialismus und Shoah danach kamen - die Aufklärung gab und gibt es nicht.

    Im Dt. Museum hängt ein Bild: "Einigkeit und Freiheit" heißt es dort. Zu sehen sind Hindenburg und Hitler. 'Freiheit' ist perspektivische Wertung, Prozess, kein Zustand.

  6. 10.

    Verbote von Demonstrationen sind meiner Meinung nach gerechtfertigt, wenn antisemitische Parolen und Hetze gegen Israel zu erwarten sind. Die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes und auch die Versammlungsfreiheit dienen nicht der antisemitischen Agitation.
    Ich lehne Gewalt auch in der verbalen Form ab. Ich glaube, viele haben die NS-Zeit nicht verstanden. Ich habe sie auch nicht selbst erlebt, aber meine Eltern. Mein Großvater wurde von den eigenen Verwandten bedroht, weil er links war. Nach dem Endsieg werde er ihn eigenhändig erschießen, so sein Cousin, der bei der Gestapo war. Die Oma meiner Mutter wurde in einem Massengrab beerdigt.
    Um es kurz zu sagen: Deutschland hat nach 1945 eine neue Chance bekommen. Nutzen wir sie durch Friedfertigkeit.

  7. 9.

    Das Perfide ist das Israel eine Ultrarechte Regierung hat.
    Ich kann nicht verstehen weshalb sich ein Volk mit dieser Leidensgeschichte so eine Regierung wählt.
    Einzig sinnvoll wäre eine echte Zweistaatenlösung. Seit Jahren verhindert das Israel durch die Siedlungspolitik. Trotz unbedingter Garantien ist der Westen völkerrechtlich verpflichtet das zu kritisieren.

  8. 8.

    Soweit ich Ihnen im Ersten zumindest in Teilen recht gebe, will ich Ihnen im Zweiten klar widersprechen. Nicht Proteste dagegen werden verboten, sondern Aktionen, die das Existenzrecht Israels als solches infrage stellen und auf denen ein wahrnehmbarer Teil der Demonstrierenden DIE JUDEN als Menschenschlag für die Unbill verantwortlich machen.

    Manchmal ist es eine Gratwanderung: Das klar ressentimentbeladene große Plakat auf dem Friedrichsplatz in Kassel zu Zeiten der documenta 15 wurde wieder abgehängt; ein riesiges Bild, auf denen neben anderen auf Korn genommenen Herrschern auch der Mossad als Geheimdienst symbolisch dargestellt wurde, nicht.

    Die ungelöste Frage bezüglich Israel ist, wie es möglich ist, Israel als Heimstatt der jüdischen Bevölkerung zu etablieren, ohne andere Gruppen dabei auszugrenzen.

  9. 7.

    Rhetorische Floskeln wie "da waren wir nicht wachsam genug", "da sind wir den Faschisten nicht entschieden genug entgegengetreten" oder welche Martialität auch immer aufgeboten wird, um die eigene, weitestgehend größte Entfernung zu demonstrieren, gehen in der Tat eher über die Shoa hinweg, als Menschen für sie zu sensibilisieren. Denn ansonsten müsste wirklich tief eingetaucht werden.

    Die floskelhafte Bewältigung, gleich wo, dient eher dazu, sich selbst auf der definitiv einzig richtige Seite zu stellen und sich selbst dabei auf die Schulter zu klopfen.

    Weitestgehend unbearbeitet ist m. E. immer noch die behördl. Umsetzung scheinbar völlig normaler Direktiven und dies bis zu ihrem Ende hin. Was Deutsche angefangen haben, müssen sie auch per se zu Ende bringen. Alles andere ist ein Versagen und Misserfolg. Zu wenige gab es, die sich diesem Denken entzogen.

  10. 6.

    Glauben Sie wirklich selber was Sie da schreiben? Wir schauen seit Jahrzehnten weg, während das Land von der UNO festgestellte Völkerrechtsverbrechen begeht. Meinen Sie das mit angemessenem Ton? Dass wir Proteste dagegen verbieten.. meinen Sie das mit angemessenem Handeln?

  11. 5.

    Jom haScho'a (Tag des Gedenkens an die Schoah und jüdisches Heldentums)
    Interessant:
    Es ist ein wandernder Feiertag, ohne festes Datum , gebunden an einen religiösen Mond-Kalender; damit er nie auf einen bestimmen Wochentag fällt.
    2024: am 6. Mai.

    Zum Vergleich:
    27. Januar, Deutschland, gesetzlicher Gedenktag: Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.







  12. 4.

    Auch im Osten müssen die Schüler sich mit dem Holocaust beschäftigen. Die Schuld der Deutschen zu zeigen und zu erklären, ist die Aufgabe des Lehrkörpers. Vielleicht bedarf es dazu auch der Nachschulung der Lehrenden. In der DDR wurde der Nazionalsozialismus als westdeutsches Problem dargestellt. Die Eltern und Großeltern der Menschen in den neuen Bundesländern waren genauso beteiligt. Ex-Nazis wurden in beiden Teilen Deutschlands schnell "entnazifiziert" und kamen direkt wieder in Führungspositionen.

    Jede Art von Rassenhass, Judenhass, Ausländerfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und überhaupt Hass gegen Andersartigkeit gehört angeprangert und bestraft. Parteien, die da Zweideutigkeiten zulassen oder gar fördern, gehören m.E. verboten. Sachliche Kritik an der Regierung Israels muss allerdings dennoch möglich sein.

  13. 3.

    Wie lange würde es eigentlich dauern, die Namen aller seit der Gründung Israels durch Angriffe getöteten Palästinenser:innen vorzulesen?

  14. 2.

    Warum sollte man als deutscher Staatsbürger nicht den Staat Israel kritisieren dürfen?
    Ich denke jedoch, dass die Schuld unserer (Ur)Großväter, die ihre Nachbarn ermordeten, uns heute zu einem angemessenen Ton und einer angemessenen Sprache gegenüber den Nachkommen der Getöten verpflichtet und natürlich zu einem angemessenen Handeln: Friedlichkeit.
    Friedlichkeit als Wert bedeutet nicht Verzicht auf Kritik. Wir könnten uns dabei auf unsere christlichen Werte besinnen. Seit Lessings "Nathan der Weise" hat die religiöse Friedlichkeit hier einen kulturellen Topos, der anschaubar ist.
    Aber warum klappt das mit der Friedlichkeit nicht? Eines ist aber klar: Friedlichkeit und Freiheit sind Geschwister. Die Nazis hatten beide aus Deutschland vertrieben.
    Sind sie jetzt bei uns wieder heimisch?

  15. 1.

    Es gilt niemals zu vergessen,niemals !!!

Nächster Artikel