Mitgliederforum zum Landesvorsitz - Wer rettet die Berliner SPD?

Di 12.03.24 | 06:04 Uhr | Von Jan Menzel
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Collage der Kandidat:innen der Berliner SPD (v.l.n.r.o.n.u) Luise Lehmann, Jana Bartels,Nicola Böcker-Giannini,Raed Saleh,Kian Niroomand, Martin Hikel.(Quelle:picture alliance:dpa/F.Sommer,Ben Schneider, picture alliance/dpa/B.Pedersen/S.Stache/A.Riedl/J.Penschek)
Video: rbb24 Abendschau | 12.03.2024 | L. Schwarzer | Bild: picture alliance:dpa/F.Sommer,Ben Schneider, picture alliance/dpa/B.Pedersen/S.Stache/A.Riedl/J.Penschel

Drei Paare bewerben sich um den Vorsitz der Berliner SPD. Die Kandidierenden-Duos könnten unterschiedlicher kaum sein. Am Dienstag stellen sie sich erstmals gemeinsam den Mitgliedern vor. Die entscheiden im April darüber, wer die Partei künftig führt. Von Jan Menzel

Zwei Wahlkämpfe vergeigt. Eine Spitzenkandidatin, die mit ihren engsten Vertrauten wie ein Ufo in der Parteizentrale unterwegs ist, ohne rechten Kontakt zu den Mitarbeitenden und Funktionären. Eine Partei, die mehr mit sich selbst als mit der Stadt beschäftigt ist, zerrissen von Macht- und Grabenkämpfen. Zu diesen verheerenden Befunden kommen zwei Wissenschaftler, die von der Berliner SPD damit beauftragt wurden, die Lage der Partei nach den Wahlen von 2021 und 2023 zu analysieren.

Ihr knapp 50-seitiger Bericht wirft pünktlich zum Start des innerparteilichen Wettstreits um die neue Landesspitze ein Schlaglicht und liefert den konkurrierenden Bewerber-Duos einiges an Munition. Auch wenn man nicht so weit gehen muss, wie es von den Wissenschaftlern Befragte tun, die der SPD bescheinigen, sie sei "kaputt". Fest steht doch: Der Schock sitzt tief in der Partei, die fast ein Vierteljahrhundert die Regierenden Bürgermeister stellte und sich nun als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU wiederfindet.

Giffey tritt nicht an

Diesen Weg hatten die beiden amtierenden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh nach dem miserablen Abschneiden bei der Wiederholungswahl eingeschlagen und dafür hatte ihnen eine knappe Mehrheit der Mitglieder in einem Basis-Votum das "Go" gegeben. Diese Partei-Basis soll nun auch entscheiden, mit welchen Landesvorsitzenden die SPD in eine bessere Zukunft startet.

Franziska Giffey wird zumindest in dieser Funktion nicht mehr dabei sein. Die Wirtschaftssenatorin hatte zu Jahresanfang viele überrumpelt, als sie erklärte, dass sie für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung steht. Wobei es weniger die Tatsache als vielmehr der Zeitpunkt war, der überraschte. Dass Giffey an der Parteispitze keine Zukunft haben dürfte, hatte sich abgezeichnet, seit die SPD im Sommer 2023 auf einem Parteitag beschlossen hatte, die Häufung von Regierungs- und Parteiämtern in einer Hand zu begrenzen: In einer neuen Doppelspitze der Partei darf künftig nur noch einer oder eine gleichzeitig eine herausgehobene Funktion im Senat oder in der Fraktion haben.

Saleh und Lehmann

Dass dieser Beschluss eher Giffey als den Co-Vorsitzenden Raed Saleh treffen würde, war dabei zu erwarten. Saleh hat anders als die Neuköllner "Quereinsteigerin" Giffey, die nicht auf eine jahrelange Parteikarriere zurückblickt, ein umfassendes Netzwerk in der Berliner SPD geknüpft. Als Vorsitzender der Abgeordnetenhausfraktion sitzt er zusätzlich an den Hebeln der Macht. Und auch wenn er sich von allen Bewerbern am längsten Zeit gelassen hat, seine erneute Kandidatur zu erklären, gab es kaum Zweifel, dass es der Spandauer noch einmal wissen will.

Dafür hat sich Saleh mit der bis jetzt kaum bekannten Bezirkspolitikerin Luise Lehmann eine neue Partnerin an die Seite geholt. Die 27-jährige Neurochirurgin gilt einigen in der SPD als Nachwuchstalent. Zu ihren Schwerpunkten zählt sie die Gesundheitspolitik. Das Duo Saleh/Lehmann wird wohl versuchen, mit dieser Mischung aus langjähriger politischer Erfahrung auf der einen Seite und einem neuen Gesicht auf der anderen Seite bei den Mitgliedern zu überzeugen. Als inhaltliche Punkte geben beide auf ihrer Website an, dass sie die Demokratie stärken, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und die SPD wieder zum "starken Rückgrat" Berlins machen wollen.

Hikel und Böcker-Giannini

Einen inhaltlichen, kulturellen und personellen Neuanfang wollen dagegen Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und die ehemalige Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini mit ihrer Bewerbung machen. Beide sehen – ähnlich wie die Wissenschaftler in ihrem Bericht – die Berliner SPD in einer tiefen Krise. Die Partei habe das Diskutieren verlernt, es mangele am fairen Umgang miteinander und zu viele Entscheidungen würden in Hinterzimmern getroffen, kritisieren sie.

Hikel und Böcker-Giannini werden ähnlich wie die scheidende Landesvorsitzende Franziska Giffey dem pragmatisch-konservativen Parteiflügel zugerechnet. Beide sagen, dass sie die SPD wieder stärker an den Interessen "unserer Kernwählerschaft, der arbeitenden Bevölkerung" ausrichten wollen.

Niroomand und Bertels

Auch die beiden Partei-Linken Kian Niroomand und Jana Bertels wollen mit ihrer Kandidatur der SPD einen Neustart verpassen und sie als "Großstadtpartei neu erfinden". Noch schärfer als Hikel und Böcker-Giannini gehen der SPD-Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf und die Vorsitzende der SPD-Frauen mit der bisherigen Parteiführung ins Gericht. Die SPD müsse weg von einer "Kultur des unbedingten Machterhalts" und brauche Genossinnen und Genossen an der Spitze, die sich "demütig, leidenschaftlich und uneigennützig" in den Dienst der Partei stellen.

Mit Skepsis blicken beide auf die Koalition mit der CDU. Für die SPD sei es in dieser Koalition besonders wichtig, als Partei erkennbar zu bleiben und eine eigene Stimme jenseits von Fraktion und Senat zu haben.

Mitglieder stimmen im April ab

Am Dienstagabend werden sich die drei Kandidierenden-Duos erstmals gemeinsam den Mitgliedern vorstellen und diskutieren. Die Landes-SPD hat dafür das große Atrium im Willy-Brandt-Haus, der Zentrale der Bundespartei, reserviert. Im April wird es ein zweites Aufeinandertreffen am selben Ort geben. Weitere Mitgliederforen sind online und organisiert durch die Kreisverbände geplant.

Von Anfang bis Mitte April können alle Mitglieder der SPD online oder per Brief darüber abstimmen, wer die Berliner SPD künftig führen soll. Erhält kein Duo die erforderliche absolute Mehrheit, kommt es Mitte Mai zur Stichwahl der beiden Bestplatzierten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.03.2024, 13:00 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

26 Kommentare

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  1. 26.

    "unserer Kernwählerschaft, der arbeitenden Bevölkerung" Ha ha ha … das war mal vor 30 Jahren. Ich bin für die beidem Linksaußen. Die kommen der Realität der linken Gestalten am nächsten. Man sollte sich schon ehrlich machen.

  2. 25.

    Ein Beschäftigung in der Betriebskantine der SPD erfordert in vielen Bereichen eine berufliche Qualifikation. Ob da aktuelle Spitzenfunktionäre der SPD Chancen hätten darf mit Recht bezweifelt werden. Man könnte vermuten, dass auch die Wähler in aktuell zu Politikern tendieren, die ausgebildet sind; schon mal gearbeitet haben; und sich zudem daran auch noch erinnern können.

  3. 24.

    Ja, als Schulsprecher hat er fast die Qualifikation seiner Bundesvorsitzenden erreicht, die es sogar bis zur stellvertretenden Vorsitzenden des Landeselternausschusses gebracht hat. Und retorisch versiert, wie gleichsam eloquent kommt auch jeder Versicherungsvertreter daher.
    Ganz ehrlich mal - unter Brandt, Wehner, Schmidt und Schröder, wäre für manch aktuelle Spitzenfunktionäre (m/w/d/b) eine Beschäftigung in der Parteizentrale allenfalls im Geschäftsbereich Betriebskantine infrage gekommen.

  4. 23.

    Partei -und Politikerfahrung, ohne Berufsausbildung und ohne Berufserfahrung etc., das ist eine magere intelektuelle und praktische Erfahrung .
    Bei Herrn Kühnert kommt noch hinzu, er hat noch nie außerhalb von Berlin gewohnt und gewirkt, ergo ist die Lebensunerfahrenheit auch hier groß, für Lokalpolitiker mag sie ausreichend sein..
    Berlin gilt zwar als Bundesland , ist aber doch nur eine Stadt, da zu eine traditionell schlecht regierte.
    Gute Rhetorik, das haben viele Menschen "drauf",.

  5. 22.

    Ich warte auf Herrn Kühnert. Noch ein paar Jahre Lebenserfahrung und er ist so weit. Und an die Zweifler bezügl seiner Ausbildung bzw Studium sei gesagt: seine Jahre an Partei- und Politikerfahrung schlagen locker die Zeit an Ausbildung oder Studium.

  6. 21.

    Es ist schon Bitter wie die einstige Willy Brandt Partei inzwischen von der Tierschutzpartei bei Umfragewerten vor sich her getrieben wird. Da es den Grünen nicht viel besser geht, Vielleicht haben wir bald das "Bündnis Grüne Sozialdemokraten" auf der Liste.

  7. 20.

    Mindestens ein Duo hat dieser Kungelei den Kampf angesagt. Das ging doch aus dem Artikel hervor. Sie setzen bei Sachfragen mehr Experten statt auf innerparteiliche Flügelräson, auf eine Diskussionskultur, die andere nicht niederschreit. Dementsprechend ist es eben nicht egal, welches Duo am Ende an der Spitze steht.

  8. 19.

    Wie sieht man bitteschön aus, wenn man eine Berufsausbildung/ein Studium abgeschlossen hat und ist damit automatisch die Eignung für den Landesvorsitz verbunden?
    Sorry, ich kann Ihre Äußerung nicht verstehen.

  9. 18.

    Ich kann Sie beruhigen, Kevin Kühnert war Schulsprecher an der Schule von meiner Tochter und ist mir da schon als ein ganz besonderer Mensch aufgefallen, sowohl was seine Rhetorik, sein politisches Interesse samt Allgemeinbildung, als auch was seine Intelligenz anbelangt. Es hat mich persönlich überhaupt nicht gewundert, was er dann für eine Entwicklung genommen hat. Im übrigen habe ich Kevin Kühnert noch nie unsachlich erlebt, was ich sehr zu schätzen weiß. Ich persönlich glaube, dass er für diese Position sehr wohl qualifiziert ist und eine abgeschlossene Ausbildung oder ein Studium nicht alles bedeutet. Mein Vertauen hat er und das meine ich jetzt nicht auf seine Partei bezogen, sondern auf ihn persönlich. Ich nehme ihn sehr, sehr ernst.
    P.S. Ich selber habe ein Studium abgeschlossen.

  10. 17.

    Hr. Saleh sollte mal sein Koffer packen und gehen. Mit dem wird es nie was werden....

  11. 15.

    Solange Parteimittglieder immer und immer wieder Kämpfe um Posten und Macht vollziehen und nicht geschaut wird, was sinnvoll ist und lösungsorientiertes Handeln gefördert wird, ist es vollkommen egal wer antritt und wer gewinnt.

  12. 13.

    Sieht so aus, als der oben abgebildete Personenkreis eine berufliche Ausbildung und/oder ein abgeschlossene Studium haben.
    Wie geschrieben: sieht so aus.
    Nun, der Generalsekretär der SPD hat nichts von beidem.

  13. 12.

    Wenn die Strategie beginnt das Programm zu ersetzen, gehen Hopfen und Malz verloren. Mit dem 'Magdeburger Modell' von 1994 hat die SPD ihre Werte, Ziele, Identität sowie Tradition entwurzelt und lässt sich seither von Linken, Grünen und CDU in größtmöglicher Beliebigkeit benutzen. Das umzukehren, braucht nicht die hiesigen KandidatenInnen, sondern ein veritables Wunder.

  14. 11.

    Wann gibt´s Dreier-Landesspitzen? Wenn die SPD sich weiter so zerlegt und schwach zeigt, dann ist diese SPD, wie sie einst von Brandt, Wehner und Schmidt zusammengehalten und geprägt ist, eh verloren. Leute wie die Altvorderen, charismatisch, anpackend, das Herz auf der Zunge - wo sind sie geblieben? Dies betrifft allerding auch alle anderen, demokratisch gesinnten und freiheitsliebenden Parteien.

  15. 10.

    "Ehrlich, ich werde diese SPD hier in Berlin nicht retten."

    Sie wollen die Stadt lieber der CDU undoder anderen überlassen, ja?

  16. 9.

    Ehrlich, ich werde diese SPD hier in Berlin nicht retten.

  17. 7.

    Schön zu hören.Ich finde auch dass Frau Giffey zu Unrecht auf breiter Front angegriffen wird,auch wird oft aus der eigenen Partei geschürt,insbesondere auch durch den Netzwerker,intriganten,Saleh .Der Herr ist seit Jahren eine Zumutung.

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