Weniger Stress für Fahrer - BVG-Personalrat schlägt Abkehr vom minutengenauen Fahrplan vor

Fr 01.03.24 | 17:09 Uhr | Von Julian von Bülow
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Symbolbild:Ein Bus der BVG fährt durch Kreuzberg. Auf dem Bus steht, als Abwandlung eines Zitats von Erich Honecker, "Niemand hat die Absicht, zu spät zu kommen".(Quelle:picture alliance/dpa/W.Steinberg)
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Angesichts von Personalmangel und hohem Stresslevel bei der BVG schlägt der Personalrat vor, dass manche Linien nicht mehr an feste Uhrzeiten im Fahrplan gebunden sein sollen. Stattdessen würde der Takt ausschlaggebend sein.

Busse und Bahnen könnten in Berlin nicht mehr in einem minutengenauen Fahrplan unterwegs sein, sondern dynamisch in einem festgelegten Takt. Dies schlägt Lothar Stephan, Vorsitzender des BVG-Gesamtpersonalrates, vor. Damit soll die Arbeit der Fahrerinnen und Fahrer stressfreier werden, so Stephan.

"Wenn sie zu spät im Fahrplan sind, kriegen sie das im Fahrzeug immer angezeigt. Hilfsweise erinnert die Meldestelle auch noch daran", sagt Stephan. Doch wer etwa im Stau steckt, hat eben wenig Handlungsmöglichkeiten. Das sorge laut Stephan für Stress und erhöhe den Druck, Toilettenpausen so kurz wie möglich oder sogar gar nicht zu machen, um den Fahrplan einzuhalten. Mit seinem Vorschlag sehe das anders aus: "Der erste Bus fährt los, der nächste kommt fünf Minuten später. So reihen die sich hintereinander alle fünf Minuten ein, die fahren abhängig voneinander", sagt Stephan.

Ob das alles technisch so umsetzbar und ausgreift ist, könne er jetzt im Moment gar nicht beantworten, das müssten Fachleute klären. Aber er könne sich ein Pilotprojekt mit einer Linie vorstellen. Die Umsetzung müsste dann auch mit Verkehrsverwaltung des Senats besprochen werden. "Ich glaube nicht, dass das von heute auf morgen umsetzbar ist", sagt Lothar Stephan.

Vorschlag prinzipiell umsetzbar

Technisch funktioniere es, die Abfahrtszeiten an die anderen Busse auf der Linie anzupassen und auch grundsätzlich sei der Vorschlag vom BVG-Personalratsvorsitzenden Lothar Stephan rechtlich umsetzbar, sagt Mobilitätsforscher Wulf-Holger Arndt von der TU Berlin: "Das Personenbeförderungsgesetz schreibt eine Fahrplanpflicht vor. Aber wenn der Fahrplan sehr dicht ist, könne man da auch festhalten, dass ein Bus im Takt von drei bis fünf Minuten kommt." In Außenbezirken oder nachts sei das aber nicht praktikabel, denn hier würden feste Abfahrtzeiten es ermöglichen, lange Warterei bei niedrigem Takt zu umgehen.

Für kurze Wartezeiten und Zuverlässigkeit brauche es andere Mittel

Auf den Stress der BVG-Fahrer:innen hätte der Vorschlag Einfluss, auf das Warten auf den ÖPNV nicht. Denn wenn die Fahrt auf einer Linie aus unerwarteten Gründen plötzlich länger dauert, ist es egal, ob Bus und Bahn zu festen Zeitpunkten am Ziel sein sollen oder alle fünf Minuten - sie werden später kommen als angekündigt.

Das bestätigt auch Forscher Arndt. Er könne das Anliegen des Personalrats nachvollziehen: "Wenn es eine Toleranz von wenigen Minuten gibt, sollte man den Busfahrern keinen Stress machen." Dafür brauche es aber eine hohe Taktung. Die Fahrgäste bräuchten zudem verlässliche Echtzeitinformationen über die Abfahrtzeit der Fahrzeugs, sagt Arndt. Dann werde das Warten auch akzeptabler. "So kann ich damit umgehen und mich entscheiden: Gehe ich zum anderen Bus, laufe zu Fuß, schreibe noch ein paar Nachrichten am Handy oder lese ich etwas?", sagt Ardt.

Und ob nun Fahrplan oder Minutentakt - man müsse eher die Verkehrsbedingungen für einen verlässlichen ÖPNV schaffen, etwa durch Spuren und Ampel-Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen. "Da ist Berlin wirklich noch ziemlich weit hinten dran. In anderen Städten ist man da konsequenter", sagt Arndt.

Deutsche Großstädte bewegen sich vorsichtig weg vom starren Fahrplan

In Hamburg soll bei der derzeit im Bau befindlichen U5 künftig alle 100 Sekunden eine Bahn fahren, so Dennis Heinert, Sprecher der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. "Da braucht man einfach keinen Fahrplan mehr", sagt er. Die Linie werde allerdings auch vollautomatisiert, die ersten Fahrten sollen 2027 möglich sein. Der Berliner Mobilitätsforscher Arndt weist auch darauf hin, dass das Nach-Takt-Fahren da gut funktioniere, wo der Takt eben hoch ist. Das sei bisher etwa auch bei den Berliner U-Bahnen der Fall.

Die S-Bahn München startete im Dezember ihr Pilotprojekt zum sogenannten Flexfahren [deutschebahn.com]. Dazu schreibt die Betreiberin DB: "Innerhalb eines zweiminütigen Zeitfensters können die Züge nun flexibel abfahren und so die Kapazität der stark ausgelasteten Hauptschlagader des S-Bahn-Systems effizienter nutzen." Das sei bundesweit einmalig.

Arbeitskampf und Personalmangel

Hintergrund der aktuellen Debatte ist zum einen der Mangel an Busfahrer:innen bei der BVG - im Dezember fehlten rund 350. Zudem will die BVG in den kommenden Jahren 10.000 neue Mitarbeiter:innen einstellen.

Zum anderen finden bei den Berliner Verkehrsbetrieben derzeit Tarifauseinandersetzungen statt, bei der die Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollen. Vor diesem Hintergrund wollte sich die BVG nicht zum Vorschlag ihres Gesamtpersonalrates äußern.

Anschauen auf Youtube: Wie ist es BVG-Fahrer:in zu sein?

Beitrag von Julian von Bülow

49 Kommentare

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  1. 49.

    Der Busfahrer entscheidet das nicht. Er muss sich nach zugeparkten Haltestellen, bummelnden Radfahrern, dösligen Brötchenholern in Blechkäfigen, Lieferverkehr auf der Busspur wegen zugestellter Lieferzonen, Baustellen, Staus wegen Unfällen mit Lackschäden, Rechtsabbiegern auf Busspuren, Typen, die ihren Ar...h nicht aus der Öffnungszone der Tür bekommen, an chronischer Motzeritis erkrankten und jenen richten, den beim Besteigen des Busses erst einfällt, das Kleingeld hilfreich wäre. Zweimal in vier Wochen mit Öffis in Berlin unterwegs gewesen - Hut ab vor dem Gleichmut der Busfahrer - und Busfahrerinnen. An denen liegt es nicht und die Kids können dann auch gleich weiterlernen ein Zeitfenster zu nutzen. Zeitmanagement - kann man nie früh genug lernen und ist total entspannend.

  2. 48.

    Ich dachte, das ist schon längst so.

  3. 47.

    Glücklicherweise ist das private Auto noch nicht völlig verboten. Da bestimmt man noch selbst seinen Fahrplan und ist nicht abhängig.

  4. 46.

    Diese elektronischen Anzeigetafeln sind absolut nicht zuverlässig. Meine Erfahrung: Sofern sie nicht ausgefallen sind funktionieren sie nur dann, wenn alles nach Plan funktioniert. Ich habe diese Lügenanzeigen für mich im großen und ganzen ad acta gelegt, höchstens zur Unterhaltung geeignet. Funktioniert einfach, nervt nicht? Leider nein, das Gegenteil ist der Fall. Aber bei der BVG gibt es schlimmere Probleme als wegen dieses kosmetischen Mangels knappe Arbeitskraft zu investieren. Die Online-Informationen (wann kommt der Bus ungefähr später) auf der Webseite vbb.de sind in der Praxis nicht brauchbar. Mit der S-Bahn bin ich, was die Echtzeitinfos angeht, wesentlich zufriedener (seit 2023).

  5. 45.

    Vielleicht sollte man einen Teil des Gehaltes eines Busfahrers von seiner Pünktlichkeit abhängig machen. Zu den Pflichten des Arbeitnehmers gehört auch die Pünktlichkeit.

    Busfahrer sind Dienstleister. Sie leisten und müssen dienen. Dazu gehört auch das genaue einhalten der Fahrpläne.

  6. 44.

    Ja Schulbeginn ist auf den meisten Oberschulen um 8:00. Die Kids wären mit der griechisch, römischen Haltung, Bus kommt, wenn er kommt, sicher teilweise sehr zufrieden. Nur so schade, den Kindern, die grad gelernt haben, dass Pünktlichkeit wichtig ist, (ja, es gibt solche Kids noch) dann beigebracht wird, dass die Busfahrer entscheiden, wann sie in der Schule ankommen.

  7. 43.

    Tja - das hat allerdings mehr mit "Neuland"/Digitalisierungsstau in Deutschland zu tun.
    Ich war zuletzt z.B. in Städten wie Edinburgh(Schottland),Luzern(Schweiz),Hasselt (Belgien) u.a.: dort melden die Busse per Funk in Echtzeit ihren Standort, die Signale werden von den Anzeigestationen empfangen und in sekundengenaue Ankunfts-/Abfahrts-Ankündigungen umgesetzt ! In Berlin ist das im Bestfall pi x Daumen, die Anzeige geht vom Fahrplan aus, wonach der Bus in z.B. zwei Minuten kommen "müßte"-wenn er dann nicht kommt,blinkt es noch 2 Minuten, und dann ist der Bus "verschwunden".
    In den genannten Städten habe ich es fast durchgehend erlebt, dass die Fahrzeuge wirklich auf die Sekunde genau gemäß Angaben ankamen ! Da habe ich gestaunt. Und: die Busfahrer u./o. die Kontrollstationen haben die Möglichkeit, exakte Gründe einer Verspätung oder eines Ausfalls einzugeben.Da fühlt man sich als Fahrgast wirklich ernst- und "mitgenommen" - und nicht verar..ht wie so oft bei der BVG...

  8. 42.

    Die Fahrpläne sind doch längst schriftlich an jedem Haltestellenaushang völlig realistisch aufgehoben durch den kleinen Schriftzug "Angaben ohne Gewähr". Ich hatte mal gehört, daß in London ab Betriebsbeginn sämtliche fahrtauglichen Fahrzeuge auf die Strecken geschickt werden, der Rest ergbt sich durch den jeweiligen Verkehrsanfall, Staus, auf den Rollstuhl angewiesene Fahrgäste usw. Von daher sollten keine Fahr(fantasie)pläne mehr veröffentlicht werden, alls nur Makulatur.

  9. 41.

    "BVG-Personalrat schlägt Abkehr vom minutengenauen Fahrplan vor"
    Zustände wie in einem der Entwicklungsländer, Sinnbild für ein ehemals führenden Industrielandes.

  10. 40.

    Im Süden im Außenbezirk sollte man im Berufsverkehr den Bus wenigstens innerhalb der ersten max, 3 Stationen besteigen können, da an den folgenden Haltestellen der Bus, Zubringer zur U-Bahn, wegen Überfüllung oft durchfährt. Und das passiert dann oft mit mehreren Bussen nacheinander.

  11. 39.

    Auf Sardinien: Es gibt gar keinen Aushang-Plan. Gefährt kommt, wenn es kommt. Und es kommt schon regelmäßig, nur eben nicht nach Stechuhr mit Stress wie hier. Dafür sind die Menschen allgemein entspannter, zu kommen, wenn man eben kommt, ist normal.

    Niemand verhält sich asozial, nur ist eben Gleitzeit die Normalzeit, und alle kommen gut zurecht.
    Hier inzwischen undenkbar. Durchgetaktete Tage, selbst für die Kinder. Stress. Unschön.

  12. 38.

    Leute, ich komme gerade aus Rom. Drei Metrolinien für die ganze Stadt. Menschenmassen zu jeder Zeit. Busse, die in den vielen Blechlawinen nicht vorwärts kommen…es ist die Hölle. Wir in Berlin sind sowas von privilegiert & meckern auf überhohem Niveau!Allerdings würde ich es in Berlin begrüßen, die Infrastruktur mehr auszubauen, mit weniger Autos!Ansonsten sollte erstmal zumindest den Öffis auf den Straßen, freie Fahrt gewährleistet werden & die Taktidee ausprobiert werden!

  13. 37.

    Google Maps ist eine Datenkrake. Sie müssten schon eine grundrechtekonforme Variante anbieten, und auch eine auf der Anzeigetafel – ohne Handy- und Digitalzwang. Nicht jeder hat oder möchte so ein Ding.

  14. 36.

    Schickt doch die Verantwortlichen zum Erfahrungsaustausch einmal nach Japan in die Verkehrsmetrpolen. So als Nachhilfeschulung. Ich hatte jedenfalls selten bis 1990 in Berlin solche Verkehrsprobleme im innerstädtischen Verkehr. Woran hat das wohl gelegen? In Schwedt kenne ich solche Fahrzeitabweichungen nicht. Außer bei Streiks durch die Gewerkschaft. Mit dem aktuellen Hauptstadtniveau muss man sich jedoch nicht abfinden.

  15. 35.

    Wenn man schon einmal in die Lage kommt, mit derTram etl km fahren zu müssen, dann bekommt man erst mal mit, was im Berlin-Verkehr flutscht: Da es keine Vorfahrtsberechtigung für die Tram gab, nämlich an keiner Stelle, musste der(gewiss doch teure)Typ-Tatra-Zug wirklich an jeder Kreuzungsecke halten: zugunsten des Indiv. Kfz-Verkehrs.
    Dann sind natürlich die Zugführer(innen) genervt/erschöpft! Was man als Fahrgast(!)nachvollziehen kann. Und dann wird halt gestreikt! Der stille Fahrgast wird "ausgeladen" u. darf sich das Drama 2.Akt, 'reinziehen'. Ich sage mal so, wenn es für die Öffis nicht endlich Vorfahrtsberechtigungen gibt, zumindest wissen ja die Stauforscher(ha, ha,), wo es regelmäßig zu Trödelei kommt - oder spricht noch besser mal mit den Diensthabenden auf den betr. Linien! So kann man Schritt für Schritt auf evaluierten Erfahrungen aufbauend eine Vorfahrtsberechtigung sicher "durchziehen".Für jede Tram, für jeden Bus!

  16. 33.

    Eine ergänzende Alternative wäre es noch alle Kontrolleure zu Busfahrern umzuschulen, dann tun die was sinnvolles.

  17. 32.

    Absolut sinnvolle und gut umsetzbare Idee. Allerdings leider zu innovativ für eine Stadt wie Berlin. Tut mir leid...

  18. 31.

    “Zudem will die BVG in den kommenden Jahren 10,000 neue Mitarbeiter innen einstellen,”
    Um den Mangel an Bus- und U-Bahn Fahrerinnen und Fahrer zu verringern nutzt es nichts, 10,000 Menschen im Innendienst zu beschäftigen.

  19. 30.

    Ach ja die BVG App ist keine Alternative Informationsquelle. Die konnte mir nicht mal anzeigen wie ich von X nach Y komme nachdem ich alle Fahrmittel außer S Bahn ausgeblendet hatte.

    Und 246 Bus Hermannstraße nach Tempelhof. 20 Minuten Takt , häufig knapp 20 Minutenverspätung also 40 Minuten warten.

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