Interview | Filmemacherin Inga Pylypchuk - "Unser Leben hat sich in dieser Kriegszeit sehr zerstückelt angefühlt"

Sa 11.11.23 | 13:05 Uhr | Von Nathalie Daiber
Mutter Olga und Tochter Inga Pylypchuk spazieren durch Berlin (Quelle: Szene aus dem Film "How far is close" (Regie/Produktion: Inga Pylypchuk, Co-Produktion: Filmarche))
Bild: Szene aus dem Film "How far is close" (Regie/Produktion: Inga Pylypchuk, Co-Produktion: Filmarche)

Der Krieg in der Ukraine hat Inga Pylypchuks Leben verändert. Mit Kriegsausbruch flüchtete ihre Mutter zu der Filmemacherin nach Berlin. Im Film "How far is close" dokumentiert Pylypchuk diesen Umbruch. Ein Gespräch mit Mutter und Tochter.

rbb|24: Frau Pylypchuk, Ihr Film ist ein sehr persönlicher Beitrag. Worum geht es?

Inga Pylypchuk: Als der Angriffskrieg begonnen hat, habe ich verstanden, dass meine Mutter und ich uns in einer Ausnahmesituation befinden. Ich wollte das dokumentieren. Auch um zu verstehen, was da gerade mit uns passiert. Im Prozess habe ich dann festgestellt, dass es aber auch um andere Themen geht. Es geht um Nähe und Distanz auf verschiedenen Ebenen. Es geht um Nähe und Distanz zum Krieg, Nähe und Distanz in unserer Beziehung, zwischen meiner Mutter und mir, aber auch Nähe zu unserer Vergangenheit.

Sie leben schon seit vielen Jahren in Berlin, Ihre Mutter kam dann mit Kriegsausbruch zu Ihnen. Inwiefern hat sich Ihre Beziehung dadurch verändert?

Inga Pylypchuk: Als meine Mutter nach Berlin kam, war das eine komplett neue Situation für mich. Weil ich viel mehr Verantwortung für sie gespürt habe. Das war eine komplette Überforderung. Aber irgendwo war ich natürlich auch froh, helfen zu können.

Es ist eine Wendung, die viele Eltern und Kindern erfahren in ihrem Leben - aus ganz unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel, wenn die Eltern alt werden. Deswegen ist es irgendwo auch universell. Bei uns war es eben der Krieg, der uns dazu gebracht hat. Vielleicht früher, als es sonst der Fall wäre. Und das war eine Herausforderung. Aber das hat uns auch nähergebracht.

Wie sehen Sie das, Frau Yelisieieva?

Olha Yelisieieva: Am Anfang war es ungewohnt für mich. In Kiew habe ich gearbeitet und war unabhängig. Mein Mann ist vor sieben Jahren verstorben und seither war ich auf mich selbst gestellt. Und hier war es plötzlich anders. Aber ich habe das als Gegebenheit wahrgenommen, als etwas, was einfach da war. Und meine Tochter ist dann zu meinen Ohren und Augen geworden und ich bin ihr dafür sehr dankbar. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich auch nie nach Deutschland gekommen. Die meisten Leute in meinem Alter, die meisten meiner Freundinnen, sitzen in Kiew unter fallenden Bomben und gehen nicht weg.

Der Film ist fragmentarisch erzählt, am Ende bleiben viele Fragen offen. Warum haben Sie sich für diese Erzählform entschieden?

Inga Pylypchuk: Ich komme aus dem Journalismus. Dadurch habe ich gelernt, Geschichten sehr klar und deutlich zu erzählen. Davon wollte ich weg. Ich habe nach einer anderen Form gesucht, nach ein bisschen mehr Freiheit, bei der ich nicht alles auserzählen muss. Und tatsächlich hat sich unser Leben in dieser Kriegszeit sehr zerstückelt angefühlt. In einem Moment ist man auf der Demo, dann in einem intimen Familiengespräch, dann spürt man Nostalgie und erinnert sich an frühere Zeiten. Und alle diese Ebenen verbinden sich dann irgendwie eher assoziativ. Deswegen war es für mich wichtig, diese etwas andere Erzählform zu finden.

Filmstill aus dem Film "How far is close" von Inga Pylypchuk.(Quelle:Copyright FFC)Filmstill aus dem Film "How far is close" von Inga Pylypchuk.

Die Dreharbeiten für den Film haben begonnen, als Sie an der Grenze zu Polen abgeholt wurden. Das war sicherlich keine einfache Situation. Haben Sie mit sich gehadert, ob Sie beim Film mitmachen sollten?

Olha Yelisieieva: Ich liebe meine Tochter und ich habe schon immer versucht, sie bei all ihren Aktivitäten zu unterstützen. Und so war das auch mit diesem Film. Sie wollte einen Film machen und ich war sehr froh, dass ich ihr dabei helfen kann. Ich fand es gut, dass wir mehr Zeit miteinander verbracht haben, als wir gedreht haben. Und mir gefällt dieser Film, weil er über Wichtiges und auch Schweres erzählt und es trotzdem Spaß macht, ihn anzuschauen.

Inga Pylypchuk: Als wir meine Mutter von der Grenze abgeholt haben, wusste sie von nichts. Wir hatten gar keinen Empfang und konnten sie daher auch gar nicht erreichen. Aber natürlich habe ich ihr dann sofort erzählt, dass ich filme. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich sie überzeugen muss. Sie war aber sehr neugierig. Wir haben ihr dann auch den Rohschnitt gezeigt und das war ein sehr emotionaler und schöner Moment. Ich freue mich, dass wir etwas gemeinsam geschafft haben.

Der Angriff auf die Ukraine ist nun schon mehr als eineinhalb Jahre her. Gibt es in Deutschland noch genügend Aufmerksamkeit für das Thema?

Inga Pylypchuk: Ich nehme schon eine gewisse Müdigkeit wahr und vielleicht auch eine schwindende Solidarität. Vor allem im Vergleich zum Frühling 2022, als sehr viele Menschen bereit waren, andere bei sich zu Hause aufzunehmen und auch auf die Demonstrationen mitgekommen sind. Jetzt ist es ein bisschen mehr in den Hintergrund geraten. Natürlich konkurrieren medial die Konflikte und die Kriege dieser Welt miteinander. Daher will ich sagen: Leider geht dieser Krieg weiter. Uns wäre es anders auch lieber. Aber Russland will nicht aufhören, führt einfach diesen brutalen, verbrecherischen Angriffskrieg weiter und da brauchen wir einfach einen langen Atem. Die Ukrainer:innen haben keine Wahl und sind auf die Solidarität und Hilfe von Menschen in Deutschland angewiesen.

Infobox

Der Dokumentarfilm "How far is close" wird beim Filmfestival Cottbus gezeigt.

Spielzeiten:

Samstag, 11.11. um 16:00 Uhr

Sonntag, 12.11. um 12:30 Uhr

Die Migrationspolitik ist derzeit wieder ein Streitthema. Wie blicken Sie auf die Debatte?

Inga Pylypchuk: Wenn ich von Kürzungen lese, die in der Migrationspolitik geplant sind, macht es mich traurig. Es wird geplant, die Integrationsangebote und die Migrationsberatungs-Angebote, auch die der Psychosozialen Zentren, zu kürzen. Und das ist sehr schlecht. Die Menschen haben eh viel zu wenig Möglichkeiten. Für die Altersgruppe meiner Mutter gibt es beispielsweise nicht viele Integrationsangebote. Aber auch für Menschen mit Behinderung gibt es einfach sehr wenig Möglichkeiten, sich zu integrieren. Und da zu sagen, es wird nun noch weniger geben, ist keine gute, langfristige Strategie. Wir wissen aus Studien, dass die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten arbeiten will, aber es ist wichtig, sie flexibel auf dem Weg dorthin zu unterstützen, auch psychologisch. Viele haben Schreckliches erlebt und stehen massiv unter Druck. Deswegen kehren auch Viele zurück, obwohl der Krieg noch andauert.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Olha Yelisieieva: Ich wünsche mir, dass ich zurückkehren kann in meine Wohnung, in der ich 40 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich wünsche mir, dass meine Verwandten und Freundinnen am Leben sind und dass ich auch zu meinen Lieblingsbeschäftigungen in Kiew zurückkehren kann. Aber das wird für mich erst möglich sein, wenn der Krieg vorbei ist.

Inga Pylypchuk: Ich hoffe natürlich für meine Mutter, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht und sie nach Kiew zurückkehren kann. Aber für mich ist das natürlich auch etwas Schönes, meine Mutter in der Nähe zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nathalie Daiber. Der Text ist eine redigierte Fassung des Gesprächs.

Sendung: rbb Kultur, 11.11.2023, 18:30 Uhr

Beitrag von Nathalie Daiber

Nächster Artikel