Pflegeheim-Leiter zur Corona-Aufarbeitung - "Es hat uns niemand gefragt, wie es uns ergangen ist"

Mo 15.04.24 | 05:56 Uhr
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Krankenschwester mit Bewohnerin in der Seniorenresidenz ProCurand in Berlin-Friedrichshagen. (Quelle: rbb)
Audio: rbb24 Infordadio | 15.04.2024 | Michael Müller | Bild: rbb

Politiker und Wissenschaftler diskutieren gerade, ob und wie die Corona-Pandemie aufgearbeitet werden sollte. Welche Maßnahmen waren richtig, welche falsch? Fragt dazu bitte auch die Praktiker, fordert der Berliner Pflegeheim-Leiter Matthias Küßner.

rbb|24: Herr Küßner, was waren die größten Haken für Sie in der Pandemie?

Matthias Küßner: Am Anfang wusste jeder alles und jeder wusste es vor allen Dingen besser. Niemand hat gefragt, wie die Situation bei uns wirklich ist. Was passiert mit den Mitarbeitern und den Bewohnern? Wie reagieren Angehörige?

Zur Person

Heimleiter im Gespräch. (Quelle: rbb)
rbb

Matthias Küßner leitet seit acht Jahren die ProCurand-Seniorenresidenz in der Bölschestraße in Berlin-Friedrichshagen. In der stationären Pflegeeinrichtung leben rund 100 Bewohner und Bewohnerinnen. ProCurand ist ein privater Träger.

Dann kam eine Zeit, in der uns die Bundeswehr wirklich unterstützt hat. Bis irgendwann jemand gesagt hat, das ist uns zu teuer. Also mussten wir alles selbst machen, zum Beispiel die täglichen Corona-Tests. Die HNO-Ärztin aus der Bölschestraße hat uns Gott sei Dank gezeigt, wie das geht.

Der Informationsfluss hat mich am meisten irritiert. Die Anpassung der Pläne, was erlaubt oder nicht möglich war, kam prinzipiell Freitagabend zwischen 20 und 21 Uhr, gültig "ab sofort". Ich weiß nicht, ob der Senat dachte, dass ich dann wieder hierherfahre und in der Nacht alles umsetze. Wenn wir gerade bei Lockerungen - auf die alle gewartet haben - die Infos am Donnerstagabend bekommen hätten, hätten wir das wenigstens fürs Wochenende noch umsetzen können.

Es hat uns auch bis zum letzten Tag niemand gefragt, wie es uns wirklich geht. Wie wir mit der Pandemie umgehen, auch mit der Aggressivität von Angehörigen. Wir haben sehr viel Frustrationen gehabt. Hier ist nie jemand gewesen, der gesagt hätte: lasst uns mal zusammensetzen und evaluieren.

Die Aufarbeitung ist ja nun in aller Munde. Ist denn jetzt schon mal jemand zu Ihnen gekommen?

Nein, weder zu mir, noch zu Kollegen. Das ist mir nicht bekannt. Auch nicht schriftlich. Man könnte ja einfach Formulare schicken und auswerten. Es ist wirklich niemand gekommen, auch nicht vom Gesundheitsamt. Gar nichts. Null.

Wie sind Sie denn mit dem Pflegeheim durch die Pandemie durchgekommen?

Im Prinzip sind wir von Anfang an gut durchgekommen. Ich war gerade im Urlaub in Asien gewesen, als die Pandemie losging. Im Flugzeug von Hongkong mussten wir alle die Maske aufsetzen. Da wusste ich schon so ein bisschen, was auf uns zukommt.

Wir waren dann relativ schnell mit dem Testen und den Impfungen dabei. Die ersten Corona-Fälle hatten wir erst spät, als die Maßnahmen gelockert wurden. Wir haben Gott sei dank weder bei Mitarbeitern noch bei Bewohnern einen Toten zu beklagen.

Würden Sie im Nachhinein alles wieder so machen?

Ich würde es auf jeden Fall wieder so machen.

Es sind in der Pandemie viele Menschen allein gestorben, weil sie nicht besucht werden durften. Wie war das bei Ihnen?

Wir haben das so entschieden: wir haben die Angehörigen getestet, und dann durften sie beim Sterbensprozess dabei sein. Ich weiß: Regelverstoß. Aber das habe ich gerne auf meine Kappe genommen. Sterben ist ein Moment, da muss die Familie, müssen Freunde einfach da sein. Und das hat auch gut funktioniert.

Was hat den Bewohnern und Bewohnerinnen im Heim in dieser Zeit am meisten gefehlt?

Der Kontakt miteinander. Im großen Wohnzimmer, beim Essen, und bei den gemeinsamen Veranstaltungen. Das hat gefehlt. Auch den Mitarbeitern. Dieser Smalltalk, was hast du gestern Abend gemacht? Das war komplett weg. Das hat die Stimmung bei allen gedrückt.

Seniorenresidenz ProCurand in Berlin-Friedrichshagen
Seniorenresidenz ProCurand in Berlin-Friedrichshagen (Bild: rbb) | Bild: dpa

Haben sich jetzt alle wieder umgewöhnt?

Ja, aber das hat lange gedauert. Wir müssen jetzt wieder aktiv auf die Leute zugehen und sie zu Veranstaltungen holen. Der Rhythmus war weg. Und für Bewohner, die in der Corona-Zeit hier aufgenommen wurden, war das sowieso alles neu. Und selbst Angehörige mussten sich wieder daran gewöhnen, dass sie wieder kommen durften.

Was halten Sie nun von einer Aufarbeitung der Pandemie?

Experten, Professoren, Ethiker wollen aufarbeiten. Aber wo sind die Leute aus der Praxis? Ich sage: Geht mal ins Heim, geht mal in die Krankenhäuser und fragt die Betroffenen. Wie ist es gewesen für die Bewohner, die Angehörigen und die Mitarbeiter? Was hätten Sie nötig gehabt? Das sollte man alles mal auflisten, um daraus einen Plan zu entwickeln.

Das Interview führten Christina Rubarth und Sylvia Tiegs

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.04.2024, 19:30 Uhr

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62 Kommentare

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  1. 62.

    Haben Sie die Pandemie über im Bunker verbracht oder wieso haben Sie verpasst, dass viele der Entscheidungen, die während der Pandemie getroffen wurden, Abwägungen waren, die durchaus damals schon kritisiert und vor denen teils mit Nachdruck gewarnt wurde?

  2. 61.

    KRITIS-Struktur nicht vorhanden, trotz Erwartung einer Pandemie. Katastrophenschutz war und ist selbst eine Katastrophe. So wie das meiste in D, das dank Privatisierungswahn das Geld verteilt hat.
    Beispiel Pflegeheime: Forderungen von bis zu 20 % Rendite. Dafür werden Menschen heimlich sediert, fällt erst bei Sektion mal auf; so nachzuhören hier: Missstände in Pflegeheimen – Gewalt gegen alte Menschen
    deutschlandfunkkultur.de/missstaende-in-pflegeheimen-gewalt-gegen-alte-menschen-dlf-kultur-af526941-100.html

  3. 60.

    Coronatote:

    Schweden: 1470 Tote je 1 Mio Einwohner bis Ende 2021, also bis Ende Delta in Schweden.
    Deutschland: 1356 Tote je 1 Mio Einwohner bis Ende 2021, also bis Ende Delta in Deutschland.

    Schweden: 2133 Tote je 1 Mio Einwohner bis Ende 2022
    Deutschland: 1913 Tote je 1 Mio Einwohner bis Ende 2022

    Quellen:
    https://www.worldometers.info/coronavirus/country/germany/
    https://www.worldometers.info/coronavirus/country/sweden/

    Einwohnerzahl Schweden / Deutschland verschiedene Statistiken.

  4. 59.

    Ja, und was Herr Küßner sagte, Aufarbeitung mit der Basis. Pflegeheime, Kliniken etc.einbeziehen bei der Fehlerkultur. Der ist auch souverän und kompetent damit umgegangen und hat die Angehörigen nach Testung bei der Sterbebegleitung zugelassen.

  5. 58.

    Wieviele Leben genau gerettet werden konnten kann wohl im Nachhinein nicht mehr zu 100% nachvollzogen und bewiesen werden, genauso wenig wie bewiesen werden kann ob mit weniger Maßnahmen mehr Todesfälle oder mit mehr Maßnahmen weniger Todesfälle aufgetreten wären.
    Und trotzdem werden diese Argumente immer wieder ran geholt, wie kann man davon so überzeugt sein wenn’s für die Theorie überhaupt (noch?) keine Beweise gibt? Ist das persönliche Überzeugung oder wird von der Masse nur das nachgeplappert was in den Medien hoch und runter geleiert wurde?

  6. 57.

    Das Paul Ehrlich Institut ist konfrontiert mit heftigen Fragen britischer, französischer und deutscher Wissenschaftler. Noch schweigt das PEI.

  7. 56.

    Man hat sogar darauf getippt; diagnostiziert, dass ich es an der Galle habe. Dann beim Echo die Vorahnung...Irgendwie hat man mich sediert, hatte absolut keine Angst vor der OP. Ganz lange Narbe bleibt zur "Erinnerung". KH -die hatten ja auch Anweisungen von der großen weisen Politik. KH. verrate ich aber nicht.

  8. 55.

    Lesen Sie bitte den Satz von @Heidekind "Fehler,die aufgearbeitet werden, nur diese werden nicht wiederholt..." Deshalb ist es so wichtig Krisen und Probleme aufzuarbeiten. Sonst reitet man sich wieder in die gleiche Sch...

  9. 54.

    Ja,es war" ein Novum"und es wurden "viele schreckliche Fehler" gemacht. Wichtig ist das diese Fehler aufgearbeitet werden,darüber diskutiert wird und aus dieser Erfahrung lernt.

  10. 53.

    Das ist so nicht ganz korrekt. In Schweden war der Schutz in der ersten Welle derart miserabel, dass in dieser der Großteil aller dortigen Corona-Opfer zu beklagen war. Danach hat man dort sehr wohl recht erfolgreich darauf reagiert und die Opferzahlen gingen rapide nach unten. Im Gegensatz zu Deutschland wurde das dort auch sehr transparent parlamentarisch aufgearbeitet.
    In Deutschland hätte man ob der Opferzahlen in Schweden gewarnt sein müssen, denn hier ist die erste Welle relativ glimpflich abgelaufen. In der typischen Überheblichkeit kam es dann, wie es kommen musste: Die große Sterbezahl lag in der zweiten und dritten Welle.

  11. 52.

    ...in den ersten Wochen ja. Dann hat man zusätzliche Pflegekräfte eingestellt und es in den Griff gekriegt.
    In Schweden gab es weder Lockdowns noch Maskenpflicht und Schweden ist besser durchgekommen als wir.

  12. 51.

    PCR-Test? Das wundert mich jetzt. Sie hätten mit oder ohne Corona-Infektion sofort notoperiert werden müssen. Den Spruch mit dem Pförtner verkneit ich mir mal besser.
    In welchem KH waren Sie denn? Einer Bekannten ist das im VIVANTES Frh. auch passiert: Mit akuter Appendizitis musste sie in der Notaufnahme so lange warten, bis ihr Blinddarm nicht mehr anders konnte ...

  13. 50.

    in Schweden hat man die alten Menschen nicht geschützt und dort sind sehr viele von ihnen gestorben. Das als gutes Beispiel anzuführen, ist schon recht absurd.

  14. 49.

    Wobei die Vorgehensweise und die Vorsichtsmaßnahmen bei derart immungeschwächten Patienten ohnehin zwingend waren, auch bereits vor Corona. Diese Menschen hätte jeder Keim dahingerafft. Je nach Schwere der Erkrankung bzw. Behandlung war da eine Maske schon immer das Mindeste.

  15. 48.

    Meine Güte, was ist daran nicht zu verstehen? Auch BewohnerInnen von Seniorenheimen wurden während der Pandemie wg. Karzinomen operiert und mussten zur ambulanten Chemotherapie nicht in eine Klinik. Da ist es doch wohl das Mindeste, dass das Pflegepersonal bei der Pflege stark immungeschwächter HeimbewohnerInnen Hygieneregeln einhält,
    Denken Sie mal bischen weiter - schließlich kann ich hier keine Romane schreiben, um alles ausführlich zu erklären.

  16. 47.

    Da habe ich mich vertippt: Es wurde natürlich der PCR-Test gemacht. Der CRP-Wert kam vom Hausarzt. Das ist ein Anzeiger bei Entzündungen.

  17. 46.

    Das sollte auch gar keine Belehrung sein, sondern eine Ergänzung. Tut mir leid, wenn das falsch rüber gekommen ist. Meine Aussagen widersprechen den Ihren ja auch gar nicht. Aber leider ist das Thema vielen Anderen eben nicht klar und deshalb geistern da wilde Annahmen herum und es werden immer noch solche Maßnahmen verteidigt (nicht von Ihnen), wo Jugendliche mit dem Polizeiwagen durch den Park gejagt wurden.

  18. 45.

    Der CRP -Wert ist kein Corona-Test! Der CRP -Wert wurde von den Ärzten bei TRAMSR ermittelt, um festzustellen, ob eine Entzündung vorliegt. Und ne Appendizitis kann lebensbedrohlich werden. Wenn der Blinddarm platzt und nicht sofort operiert wird, kann der Patient durch Darmbakterien septisch werden,
    Da hat TRAMSR tatsächlich großes Glück gehabt.

  19. 43.

    Versteh hier Einige nicht. Man hat es doch besser gewusst! Steht alles in den RKI Protokollen. Zum Beispiel, dass Lockdowns eher schaden als nutzen. Und es gab auch einige Wissenschaftler, die davor gewarnt haben. Sie fanden kein Gehör. Und es gab Länder, die kamen mit wenigen Maßnahmen besser durch, zB Schweden.

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