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Der feine Unterschied - Die feministische Kolumne - Die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Menschen ihren Geschlechtseintrag im Ausweis in Zukunft einfach beim Standesamt ändern lassen können. Bisher waren dafür zwei psychologische Gutachten nötig, eine ziemliche Zumutung. Das "Selbstbestimmungsgesetz" soll nun das alte Transsexuellengesetz ablösen. Feministinnen wie Alice Schwarzer aber wollten gerade diese Erleichterung verhindern. Zu Recht? Eine Kolumne von Heide Oestreich.

Man muss sich schon erstmal ein bisschen hineindenken in diese Kritik der Feministinnen. "Frauen haben keine Schutzräume mehr", heißt es. Oder dass das Gesetz "hundertfaches Leid bei jungen Mädchen hervorrufen" wird, die sich womöglich vorschnell und irrtümlich unters Messer legen, weil sie mal kurz dachten, sie wären ein Junge.

Manches an dieser Kritik fällt bei näherer Betrachtung ziemlich schnell in sich zusammen: Etwa, dass Frauenhäuser oder Frauenumkleiden angeblich nicht mehr sicher sind, weil sich nun männliche Gewalttäter als Transfrauen ausgeben und einschleichen könnten. Gewalttätige Männer lassen sich aus Räumen ebenso entfernen wie gewalttätige Frauen – ob trans oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Eine schwierige Aufgabe
Schon nachdenklicher macht, dass die Zahl der jungen Menschen, insbesondere der Mädchen, die ihre Transidentität kundtun, in den letzten Jahren so sprunghaft angestiegen ist. Die Fachleute sind sich uneins darüber, ob die Enttabuisierung des Themas dazu geführt hat, dass immer mehr Jugendliche ihre wahre Identität finden – oder eher einen scheinbaren, aber in Wahrheit fatalen Ausweg aus der schwierigen Aufgabe, das eigene Selbst so zu akzeptieren, wie es nunmal ist. Nach dem Motto: Wäre ich nur jemand anderer, dann wäre ich glücklich. Dass eher Mädchen in der Pubertät unter solchen Druck geraten können – das dürfte niemanden wundern.

Leider, leider ist es so, dass auch die Spezialist:innen sich nicht immer zutrauen, den Unterschied zwischen beidem festzustellen. Deshalb sind sie aber in der Regel eher vorsichtig, wenn es um körperliche Eingriffe bei jungen Leuten geht. Man kann dann die Pubertät hormonell blockieren, um noch ein paar Monate Aufschub zur Selbstfindung herauszuschlagen. Aber auch das ist nicht ohne Risiko – und wird sorgfältig bedacht.

Alice Schwarzers Argument lautet nun, dass schon die bloße Änderung des Geschlechtseintrags, die nun erleichtert werden soll, quasi rutschbahnartig in so eine Behandlung führen könnte – die sich am Ende womöglich als Fehler erweist. Wehret den Anfängen, quasi. Das möchte ich nun aber bezweifeln. Denn es könnte genau andersherum sein: Je mehr man gefahrlos mit seiner Identität herumprobieren kann, desto eher kann man sich über sie klar werden. Und auch mit dem neuen Gesetz ist so eine Änderung im Ausweis für Jugendliche nicht so leicht möglich. Die Eltern oder ein Familiengericht müssen zustimmen.

Ein utopischer Gedanke

In meinem Kopf bildet sich angesichts der feministischen Besorgnisse ein merkwürdiges Paradox: Vielleicht führt unser absurder Geschlechterrollendruck ja tatsächlich verstärkt zu Fluchten über die Geschlechtergrenze. Aber die angebliche "Trans-Mode" hat eben auch ein utopisches Moment: Je mehr Menschen sich damit beschäftigen, dass ihr Nachbar eine Nachbarin oder ihr Sohn auch eine Tochter sein könnte, desto näher kommen wir meinem Lieblingsziel: Der feine, kleine Geschlechterunterschied wäre endlich entdramatisiert – und der Rollendruck wäre weg!

Das ist, wie gesagt, eher ein utopischer Gedanke. Für jetzt fürchte ich: Es hilft nix, nicht nur einzelne Menschen sind in der Geschlechter-Transition, die ganze Gesellschaft ist es. Und der hilft kein Pubertätsblocker, die muss da durch.

Heide Oestreich, rbbKultur

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