18 Uhr, Podil – Stadtteil von Kyjiw, Ukraine; © Yevgenia Belorusets
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Nach langer Zeit wieder zu Hause in Kyiv - Nachricht von Yevgenia: Dunkelheit, Mitleid und Hoffnung

Vor knapp einem Jahr hat Russland die Ukraine überfallen. Der Krieg tobt mit unverminderter Brutalität. Zehntausende Menschen sind inzwischen tot und die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Kämpfe schwinden. Die ukrainische Journalistin Yevgenia Belorusets hat uns seit Kriegsbeginn immer wieder "Nachrichten aus dem Krieg" gesendet und erklärt, wie es den Menschen vor Ort geht. Yevgenia Belorusets ist derzeit zu Hause in Kyjiw. Und schickt uns die nächsten Donnerstage jeweils eine Sprachnachricht aus ihrer Heimat.

Galerie TSEKH, Kyjiw: Ausstellung des Künstlers Mykola Bilous; © Yevgenia Belorusets
Bild: Yevgenia Belorusets

Nachricht Nummer 1

Am Abend gab es in Podil in Kyjiw wieder einen Stromausfall. In den meisten Häusern der Stadt kommt das regelmäßig vor. Ich muss mich erst dran gewöhnen und beginne die Dunkelheit zu genießen. Wenn man während des Abendlichts in einen Raum geht, wundert man sich beim Rausgehen nach einer Stunde über die tiefe Dunkelheit, die über die Stadt fällt.

Mit meinem Freund besuchte ich heute die alte Kyjiwer Galerie TSEKH. Gezeigt wurde eine Ausstellung des Künstlers Mykola Bilous, der vor drei Wochen im Alter von 66 Jahren plötzlich gestorben ist. Sein ganzes Leben beschäftigte er sich mit Farben. Der Himmel auf seinen Bildern ist immer schwarz. Die kaligraphischen Linien, mit denen er großformatige Bilder entwarf, zeigen die Komposition eher punktuell an.

Er lebte sehr einsam, kannte kaum andere ukrainische Künstler und arbeitete schnell. Sehr viele Bilder der Serie, bei der es immer wieder um die Verbindung zwischen Menschen und Pferden geht, sind mit dem Jahr 2022 überschrieben. Sein Freund und Galerist Aleksandr Shchelushchenko erzählte mir heute aber, dass der Künstler seit Anfang des Krieges kein einziges Bild gezeichnet hatte. An der Serie hätte er einige Jahre zuvor gearbeitet und alle Bilder mit dem geplanten Jahr der Ausstellungseröffnung datiert.

Galerie TSEKH, Kyjiw: Ausstellung des Künstlers Mykola Bilous; © Yevgenia Belorusets
Bild: Yevgenia Belorusets

Der Künstler Mykola Bilous lebte seit Februar 2022 isoliert und litt unter schweren Depressionen, die mit der russischen Invasion verbunden waren. Er hatte sich mit seiner Schwester zerstritten, weil sie zu Beginn des Krieges in Russland lebte. Enge Freunde, die er schätzte und liebte, hatten die Ukraine verlassen.

Ich mag seine Bilder. Mir gefällt auch seine Haltung. Der Kurator und Galeriebesitzer zeigte mir Videoaufnahmen, auf denen der Künstler über seine Arbeiten sprach.

Heute hörte zweimal den Luftalarm. Kyjiw wurde nicht getroffen. Zuerst hieß es in den Nachrichten, dass es sich nur um eine Art Training zur Untersuchung der Schwächen unserer Luftabwehr gehandelt hätte. Später erfuhr ich, dass es doch einen Angriff gab. Ein Wohnhaus in Tschernihiw Oblast wurde getroffen. Eine Person wurde verletzt, drei Menschen wurden unter den Trümmern des zerstörten Hauses verschüttet. Überall liegt Schnee.

Am Abend durchsuchte ich die Nachrichten, um herauszufinden, ob diese drei Menschen gerettet werden konnten. Von vielen anderen Sorgen und Ereignisse wurde berichtet. Man spricht über die geplante große russische Invasion fast so wie ein Jahr zuvor.

Nachricht Nummer 2

Heute Morgen wollte ich während meiner Arbeit kurz eine Kaffeepause machen. Ich ging hinaus und wollte in mein Lieblingscafé gehen. Als ich das Café betrat, merkte ich, dass eine merkwürdige Stimmung herrschte. Erst als ich an den Verkaufstresen ging, stellte ich fest, dass es kein Licht gab. Bei einem Stromausfall sind plötzlich alles Geräusche anders als sonst.

Es waren trotzdem viele Besucher in dem Café. Sie warteten in einer kleinen Reihe, bis auf einem Gasherd Kaffee für sie zubereitet wurde. Man führte alltägliche Gespräche, einige hatten ihre Notebooks dabei und arbeiteten. Es sah aus, als würde das Leben absolut unbedrängt weiterlaufen – auch unter diesen Umständen.

Heute gab es keinen Luftalarm. Der Krieg scheint sehr weit weg zu sein. Es ist fast ein Jahr seit Beginn dieses Krieges vergangen. Ich bemerke, dass ich fast die ganze Zeit über den Krieg nachdenke. Gleichzeitig bedeutet das aber: Wenn man etwas erlebt – und sei es noch so klein -, möchte man sich ablenken und nicht nachdenken.

Aus allen Ecken höre ich Mitleid mit den Menschen in der Türkei. Die Kiewer trauern zusammen mit denen, die auch in Syrien Opfer des Erdbebens geworden sind. Das bewundere ich sehr angesichts des täglichen Todes an der Front in der Ukraine. Das gibt mir eine große Hoffnung.

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