Poetische Verlockungen -
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ist tot. Sie starb am Samstag im Alter von 69 Jahren in Berlin. Die Bachmann- und Büchner-Preisträgerin gehörte zu den bekanntesten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Maria Ossowski mit einem Nachruf.
Lewitscharoff mit Doppel-f. Die Schriftstellerin mochte den Namen ihres bulgarischen Vaters. Darin enthalten sei "das Levitenlesen, der Schlaffitich und der Witsch - und das Doppel-f, das verlockt mit zwei hochschießenden Aufschwüngen und tief hinabschießenden Strichzügen."
Die Todessammlerin
Die hochgebildete, in Stuttgart geborene und im Dialekt dem Schwäbischen verbundene Autorin musste mit elf Jahren den Selbstmord des depressiven Vaters ertragen. Zeitlebens hat sie hat sie in der Literatur die Begegnung mit dem Jenseits gesucht. Ihre tiefreligiöse Großmutter war ihr Vorbild, die sei, sich des Reiches Gottes sicher, friedlich gestorben, ohne Todestheater.
"Ich bin eine Todessammlerin. Wenn jemand gestorben ist und mir jemand davon erzählt: meine Tante, mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter ist gestorben, dann will ich sofort wissen: wie war sie? Wie hat das Letzte stattgefunden - und war es mit Religion in Verbindung - oder mit Hass auf Religion, oder gar nichts - oder mit Verzweiflung oder Glück?"
Vielfach ausgezeichnet und dankbar
Ihre ersten Romane hat Lewitscharoff vernichtet, sie seien zu falsch im Ton, zu schlecht gewesen. Dann folgte auf ihre Erzählung "Pong" 1998 der Bachmannpreis. 2011 erhielt sie den Kleistpreis und 2013 den Büchner-Preis. Eine Anerkennung, die sie besonders freute:
"Dieses Gefühl ist überwältigen. Ich bin rumgehüpft wie ein Äffle, weil ich das ganz toll fand. Ich bin auch jemand, der da unkompliziert ist: Wenn man mir etwas schenkt, freue ich mich riesig. Und besonders, wenn es so ein großes Geschenk ist. Das ist ja eine riesige Geldsumme, eine wahnsinnige Auszeichnung. Wer da nicht glücklich hin und her springt, andere Leute gleich zum Essen einlädt und das Geld so ein bisschen verpfeffert, der kann das Leben nicht genießen."
Tief im Christlichen verwurzelt
Die Sprache der Lewitscharoff war spielerisch, voller Witz und Ironie, fein und reich. Mäandernd im Satzbau, wie ihr Kollege und guter Freund Martin Mosebach es formulierte, ihrem Vorbild Jean Paul nicht unähnlich. Tief im Christlichen verwurzelt, wanderte sie sprachlich immer wieder ins Reich des Todes:
"Die Sprache kann das. Sie müssen sich vom Wortschatz her natürlich auch in ein luftiges Gefilde begeben können. Das heißt, Sie müssen Wörter wählen können, in den Himmel zu gelangen. Um ins Gefilde zu kommen, da brauchen Sie schöne Wörter, luftdurchlässige Wörter, durch die ein wenig das himmlische Beben zieht."
Lewitscharoff Protagonisten sind immer ambivalent, nie einseitig.
"Mir gehts immer darum, dass man die schwierigen Zwicklagen, in die alle Menschen gespannt sind, von denen kein Mensch frei ist, so zu schildern, dass auch der Leser abwegen kann und sieht, wo diese Figur eingespannt ist. Worunter sie leidet, was sie jetzt macht .. Das sind diese Fragen, die im Feinschliff beantwortet werden müssen in einem Roman."
Treffen im Jenseits
Lewitscharoff lebte seit Jahrzehnten in Berlin. Ihre schwere Krankheit, Multiple Sklerose, nahm sie klaglos an. Heftige und berechtigte Kritik löste ihre Dresdner Rede 2014 aus. Die technisierte Seite der künstlichen Befruchtung war für die im pietistischen Schwaben aufgewachsene tiefgläubige Christin ein Gräuel. Menschen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, nannte sie abwertend "Halbwesen". Später entschuldigte sie sich und nannte sich ein "Provikationskäschperle".
Da der Tod sie immer begleitete, machte sie die Frage im Schweizer Fernsehen, wen sie im Jenseits treffen wolle, nicht verlegen:
"Samuel Beckett an vorderster Front - sehr, sehr gerne. Dazu gehört Franz Kafka, Viginia Woolf ... Aber ich würde mich auch sehr gerne mit einem Lastwagenfahrer unterhalten. Lieber als mit der Familie! Die wird für immer ein bisschen abgerückt bleiben. Ein fernes Winken, aber mehr nicht."
Maria Ossowski, rbbKultur