Der Autor im Interview mit Christian Berndt -
Heute beginnt unser Programmschwerpunkt zu Wolfgang Herrndorf aus Anlass seines 10. Todestages. In den kommenden Wochen können Sie viel zu Wolfgang Herrndorf bei uns im Programm hören. Aber Wolfgang Herrndorf selbst hören, ist gar nicht so einfach. Es gibt nur sehr wenige Interviews mit ihm. Eines davon hat der Journalist Christian Berndt 2007 mit ihm geführt. Hier hören und lesen Sie Ausschnitte aus dem Gespräch.
Wolfgang Herrndorf (liest aus einer Geschichte): "Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich möchte mal wissen, was die geredet haben. Ich meine, die haben ja vorher zusammen gegessen und alles, die haben erst den Schwanz von dem einen gegessen und das gefilmt. Das ist doch krank! Ich nickte: 'Aber wenn beide einverstanden sind, wo ist das Problem? Ich meine, was gibt es Schöneres, als wenn zwei Menschen genau das machen, was beide sich wünschen. - Aber wenn der eine... Ne!."
Geschichte über Kannibalen von Rothenburg
Ein melancholischer 30-Jähriger trifft auf einen aufgeweckten 13-Jährigen. Der Junge erzählt schockiert vom sogenannten Kannibalen von Rothenburg, über den er eine Fernsehsendung gesehen hat. Mit dieser Geschichte trat Wolfgang Herrndorf 2004 beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt an.
Und weil ich damals zufällig nachts in eine Fernsehwiederholung des Wettbewerbs reingeschaltet hatte, konnte ich den damals noch weitgehend unbekannten Schriftsteller zum ersten Mal sehen und hören. Die Geschichte erschien drei Jahre später im Erzählungsband "Diesseits des Van-Allen-Gürtels". Mir gefiel der Text damals so gut, dass ich sofort ein Radio-Porträt über Wolfgang Herrndorf machen wollte.
"Ich finde Gewalt in der Fiktion herrlich"
Wolfgang Herrndorf: "Ich hatte ja keine Ahnung, wie man Kurzgeschichten schreibt. Meine Vorstellung war dann meistens, zwei oder mehr Figuren in einen engen Raum oder in eine enge Situation zu sperren und zu gucken, was passiert. Und die gehen dann meistens eher ruppig miteinander um. Ich finde es immer interessant, wenn Leute grausam werden, ich finde Grausamkeit und Gewalt in der Fiktion herrlich, in der Realität unerträglich."
So Wolfgang Herrndorf über seinen Zugang zum Schreiben, als ich ihn in seiner dunklen, schlauchartigen 1-Zimmer-Wohnung in Berlin-Mitte traf: "Ich hatte immer einen sehr geringen Verbrauch, ich krebse seit 20 Jahren am Existenzminimum herum, das ging immer so."
"Ich sitze den ganzen Tag zuhause und versuche etwas zu tun"
Tatsächlich hatte Wolfgang Herrndorf mit den rasierten Haaren und der breitschultrig-hageren Figur etwas Asketisches. Er gehörte damals zum Kreis der "Zentralen Intelligenz Agentur", einem digitalen Autoren-Netzwerk. Aber auf keinen Fall wollte er mit dem damaligen Modebegriff der digitalen Bohème in Verbindung gebracht werden. Mit Laptop im Hipster-Café sitzen, war nicht sein Stil, er verfolgte eine andere Arbeitsweise:
"Es ist eine Mischung aus Disziplinlosigkeit und protestantischem Schuldgefühl. Ich würde niemals irgendwo hingehen, ich schäme mich auch, wenn ich in der Öffentlichkeit einen Zettel und einen Stift herausholen sollte, ich mache das nicht. Ich sitze den ganzen Tag zuhause und versuche etwas zu tun und verbiete es mir selbst, vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus zu gehen, selbst wenn ich es nicht schaffe, irgendetwas zu arbeiten. Können wir die letzte Bemerkung streichen, das ist mir jetzt alles zu persönlich." (lacht)
Abends ging Herrndorf, wie er erzählte, gerne mit seinen Autoren-Freunden aus. Das war ihm wichtig, er traf sich regelmäßig mit ihnen in einer Eckkneipe im Wedding: "Das sind keine Schriftsteller. Das sind alles Versager, die ihr Scheitern damit bemänteln, dass sie acht Stunden am Tag im Internet hocken. Ich könnte sie auch der Reihe nach vorstellen, einige wollen namentlich bestimmt nicht genannt werden. Die schreiben alle hauptsächlich hinter so Pseudonymen wie 'Fickstute 37‘, aber wenn man sie persönlich kennt, sind sie alle sehr nett."
Man konnte viel Spaß haben mit Wolfgang Herrndorf
Sowas wie einen Schriftsteller-Habitus sucht man bei Wolfgang Herrndorf vergeblich.
"Hast Du eigentlich eine Freundin? – Nein, aber vielleicht kann ich auf diesem Weg eine suchen. Mein Name ist Wolfgang Herrndorf, ich bin 41 Jahre alt, sehe aber etwas jünger aus, Sternzeichen Zwilling, 183 cm groß, 78 Kilo schwer, also das ist mein Kampfgewicht… - Blonde Haare.. - Nein, das stimmt nicht ganz, aber vor allem humorvoll, intelligent und auch sehr einfühlsam."
Man konnte viel Spaß haben mit Wolfgang Herrndorf. Die Mischung aus intelligentem Wortwitz und Bodenständigkeit machte ihn zu einem angenehmen Zeitgenossen. Intellektueller Dünkel lag ihm fern.
Wolfgang Herrndorf: "Ich komme aus einem sehr kleinbürgerlichen Haushalt, wo es Kultur im normalen Feuilleton-Sinne nicht gab. Es wurde zwar gelesen, aber Literatur, genauso wie überhaupt ein Museum oder so etwas, das habe ich erst entdeckt, als ich volljährig war, vorher ist mir das verschlossen geblieben. Und ich habe mich dann mit einer gewissen Begeisterung darauf gestürzt und viel gelesen, und ich glaube, wenn man viel liest, kommt man automatisch dazu, dass man den Gedanken hat, das selber versuchen zu wollen."
Ein Beitrag von Christian Berndt mit Auszügen aus einem Interview mit Wolfgang Herrndorf von 2007