Doris Anselm: Lust und Frust mit Proust 65 © autorenfotos.com/Heike Bogenberger
rbbKultur
Bild: autorenfotos.com/Heike Bogenberger

Marcel Proust | Kolumne - "Die wiedergefundene Zeit" (23 - 27)

Unsere Proust-Kolumnistin Doris Anselm schaut dem Autor diese Woche ziemlich irritiert dabei über die Schulter, wie er diverse Regeln aufstellt, nach denen das Schreiben und das Lesen gefälligst zu funktionieren haben.

Optiker Proust

Letzte Woche war noch alles gut für mich. Da warf Marcel Proust (und wer könnte es besser als er) genau die Regel des sogenannten Kreativen Schreibens über den Haufen, die ich immer schon verstörend oberflächlich fand - die Regel: "Show, don’t tell". Es geht halt meistens schief, wenn Autoren versuchen, in äußeren Bildern miterlebbar zu zeigen, welche komplexen Gefühle und Gedanken sich gerade in ihrer Romanfigur abspielen. Meist führt es nur dazu, dass jemand im Buch ganz arg bedeutungsschwer die Butterdose anhebt.

Proust hat den Bildmedien glücklicherweise noch genug misstraut, damals, kurz nach Erfindung der Fotografie. Ich weiß nicht, warum ich deshalb gehofft hatte, sein Misstrauen würde sich generell auf autoritäre Regeln in der Literatur erstrecken. Jedenfalls wurde ich enttäuscht.

In unserem Abschnitt der Woche stellt Proust mal ganz streng klar, was Schreibende und Lesende so alles müssen oder nicht dürfen. Am allermeisten hasst er, Zitat: "Worte voller Humor". Solche würden nur in schlechten Büchern stehen, während, Zitat: "wahre Bücher Kinder nicht des hellen Tageslichts und der Plauderei sein sollen, sondern vielmehr der Stille und der Dunkelheit."

Logisch auch, dass der Weg zur Literatur wehtun muss: "Das Glück ist einzig heilsam für den Leib, die Kräfte des Geistes jedoch bringt der Schmerz zur Entfaltung."

Ja, ja, der Schmerz. Ein Schriftsteller darf im Dienst der Sache natürlich auch anderen Leuten weh tun, findet Marcel Proust, der bisher noch mit keinem Wort die Machtposition reflektiert hat, die Schreiben und Veröffentlichen darstellen. Im Gegenteil. Zitat: "Selbst noch die […] einfältigsten Menschen künden Gesetze, die sie selbst nicht erkennen, die aber der Künstler an ihnen erspäht. Wegen dieser Art des Beobachtens hält die rohe Masse den Schriftsteller für boshaft, sie hält ihn aber zu Unrecht dafür, denn in einer Lächerlichkeit erkennt der Künstler einen schönen allgemeingültigen Zug, er legt ihn der beobachteten Person ebensowenig zur Last, wie ein Chirurg sie deswegen geringschätzen würde, weil sie an einer ziemlich häufig auftretenden Form von Kreislaufstörung leidet […].“

Da isser wieder, der Autor als Arzt. Ein Lieblingsvergleich von Proust. Gibt halt ordentlich Autorität. Ich muss da immer dran denken, dass ja sein Vater Arzt war, und Proust junior sich wohl stets dran abgearbeitet hat, dass man als Autor eben doch nur selten Leben rettet. Deshalb behält der den falschen Kittel sogar beim Umgang mit der Leserschaft an. Im aktuellen Textstück spielt er den Augenarzt und reicht uns metaphorische Brillengläser zur inneren Einsicht.

Boah. Gut, dass es noch andere Bücher gibt. Solche, die weder einen Vertrag mit "Optiker Proust" haben, noch mit oberflächlichen "Show-don’t-tell"-Butterdosen werfen.

Doris Anselm, rbbKultur

Kolumne

RSS-Feed

Proust lesen

Der Tag; © rbbKultur
rbbKultur

Lesekreis - Lesen und hören Sie mit uns!

Wir haben uns vorgenommen, mit Ihnen zusammen Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zu lesen, denn besonders große Vorhaben bewältigt man am besten gemeinsam. Schreiben Sie uns!

Proust hören

RSS-Feed