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Bild: Gregor Baron

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci - Dorothee Oberlinger über eine wiederentdeckte Oper und den Flötisten Friedrich den Großen

Heute Abend eröffnen die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Diesmal dreht sich alles thematisch um "Inseln": um die Kunst als Rückzugsinsel und auch um geografische Inseln weltweit, die Einfluss hatten auf die Musik. Und es bezieht sich auf Potsdam als vom Wasser umgebene Inselstadt. Am Sonntag überträgt rbbKultur LIVE die Opernpremiere von Scarlattis "Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur". Wir sprechen mit Dorothee Oberlinger, Intendantin der Musikfestspiele.

rbbKultur: Frau Oberlinger, jedes Jahr Musikfestspiele Potsdam – wird das nicht mal langweilig?

Dorothee Oberlinger: Das wird so schnell nicht langweilig. Man kann eigentlich nicht genug davon kriegen. Wir hatten jetzt ja magere Zeiten - da freue ich mich umso mehr, dass die Festspiele jetzt ganz normal wieder stattfinden können.

rbbKultur: In diesem Jahr dreht sich bei den Musikfestspielen alles um das Stichwort "Inseln". Was steckt dahinter?

Oberlinger: Potsdam ist ja selber eine Insel – komplett mit Wasser umgeben – und man kann auch sagen, dass all die Schlösser – Sanssouci, das Neue Palais – auch Rückzugsorte, Inseln für die Könige waren. Von da aus gehen wir in die Welt hinein – natürlich zu realen Inseln. Erstmal zu den europäischen Inseln, aber auch zu exotischen – in die Karibik usw. und auch zu gedachten Paradiesen, die vielleicht nicht immer Paradiese und Rückzugsorte sind. Es können auch Exile sein. Es geht um alles, das direkt und indirekt ideell mit dem Thema "Inseln" zu tun hat.

rbbKultur: Sind die Musikfestspiele für Sie so etwas wie eine musikalische Insel der Seeligkeit?

Oberlinger: Es ist einfach toll, wenn man die Möglichkeit hat, durch unsere jahrelange Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in originale Orte hineinzukommen und da die Musik zu hören, die auch in diese originalen Räume hineingehört. Das sind dann wirkliche Inselmomente, denn diese Räume klingen eben auch noch wunderbar: der Raffaelsaal und die Säulenhalle in der Orangerie. Oder wenn man an das Schlosstheater denkt, das eine ganz besondere Atmosphäre hat und auch eine Insel ist im Neuen Palais. Friedrich der Große hat es dort erbauen lassen. Das sind ganz besondere Orte – speziell auch für die Musik - für Kammermusik, Orchesterkonzerte usw.

rbbKultur: Der Eröffnungsort heute Abend ist die Potsdamer Friedenskirche und Sie entführen uns musikalisch auf eine legendäre Insel: die Insel Kythera. Eine Insel voller Liebe, voller Harmonie und Schönheit. Ich vermute, das wird ein wonniglicher Abend. Aber wie wird das musikalisch umgesetzt? Was genau erwartet uns?

Oberlinger: Wir haben das Ensemble Les Arts Florissants unter der Leitung von Paul Agnew zu Gast, die Gesangssolistin ist die Sopranistin Deborah Cachet. Das Ensemble spielt Kantaten und Instrumentalmusik nicht nur aus Frankreich, die im weitesten Sinne mit dem Topos Kythera zu tun hat.

Vielleicht noch ein Wort zu der "Einschiffung nach Kythera": Das ist ein bekanntes Bild von Watteau, das Friedrich der Große - ein großer Watteau-Fan - angekauft hatte. Darauf sieht man eine adelige Gesellschaft, die entweder im Aufbruch ist auf diese Insel der Liebe, die Insel der Venus. Der Traum von der freien Liebe inmitten der Natur, also auch das Befreien von einer Ständegesellschaft und ein Aufbruch zu einer neuen Natürlichkeit zum Tode Ludwigs XIV. und hin in eine neue Zeit. Vielleicht sind sie aber auch schon auf der Abreise. Das alles erzählt das Bild - und das alles erzählt auch die Musik dieser Zeit.

rbbKultur: Sie haben bereits zum zweiten Mal Friedrich den Großen erwähnt. Sind Sie Fan von ihm?

Oberlinger: (lacht) Er ist sicherlich eine ambivalente Gestalt. Er hat auf der einen Seite dieses zarte Instrument, die Flöte, gespielt und war sicherlich auch eine sehr zerbrechliche Persönlichkeit. Auf der anderen Seite hat er auch Kriege geführt. Da sehe ich diese Ambivalenz. Aber ich finde ihn sehr faszinierend – natürlich auch als Flötisten, denn er muss die Flöte wirklich sehr ordentlich geblasen haben! Er hat auch selbst komponiert und war auch Opernintendant. Er hat zwei Opernhäuser erbauen lassen und hat bei der Musik selbst Hand angelegt.

rbbKultur: Oper ist ein schönes Stichwort, denn am Sonntag gibt es eine Opernwiederentdeckung, eine Premiere: Giuseppe Scarlattis "Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur" im Schlosstheater im Neuen Palais. Sie werden dirigieren und Ihr Ensemble, das Ensemble 1700, wird spielen. Die Noten, so habe ich gelesen, haben Sie extra aufarbeiten müssen. Was heißt das: Noten aufarbeiten?

Oberlinger: Dieses Stück ist in unserer Zeit nicht wieder erklungen. Es schlummerte in den Archiven. Es gab zwei Teile davon verstreut: Ein Teil in Wolfenbüttel und ein Teil im Musikverein in Wien, beide nicht vollständig. Man musste sie sozusagen übereinanderlegen und mithilfe des Librettos wieder zusammenführen. Das Libretto stammt von Carlo Goldoni, es ist eine Opera Buffa, also eine Komische Oper, die wir von dem italienischen Musikwissenschaftler Francesco Russo wieder zu den sinnvollen drei Akten zusammensetzen haben lassen. Regie wird ein Filmregisseur aus Frankreich führen, Emmanuel Mouret, der selbst auch Schauspieler und bekannt für wunderbare französische Liebeskomödien ist.

rbbKultur: Wie sind Sie und Emmanuel Mouret zusammengekommen?

Oberlinger: In der Corona-Zeit habe ich auf Arte seine Film-Specials gesehen. Ich habe alle Filme angeschaut, weil ich fasziniert davon war. Ich habe dann einfach seine Produktionsfirma kontaktiert und dort hat man mir tatsächlich seinen Kontakt gegeben. Wir hatten ein Gespräch und er hat gesagt, er wird es sich überlegen. Dann hat er uns zugesagt und sein ganzes Filmteam vom Set mitgebracht: den Kostüm- und den Licht-Designer - und alle waren die ganze Zeit zusammen in Potsdam, auch schon im Mai, und haben zusammen sehr intensiv an dieser Sache gearbeitet.

rbbKultur: Das heißt, es erwartet uns ein filmisches Ereignis?

Oberlinger: Es ist so eine Art "Film auf die Bühne gebracht" - aber es ist auch wunderbare Musik. Giuseppe Scarlatti ist eigentlich ein total unbekannter Komponist, wahrscheinlich ein Neffe von Domenico. Das Stück ist frühklassisch, erinnert aber schon manchmal an Rossini oder Mozart. Es gibt wunderbare Ensemble-Stücke, Quartette, wo jede Figur unglaublich programmatisch ausgedrückt wird, es gibt schnelle Affektwechsel wie Licht und Schatten und unglaublich fulminante Ideen, wie die Instrumente eingesetzt sind. Und wir haben auch einen ganz tollen Sänger-Cast: Eine Hauptrolle zum Beispiel – Celidoro - ist ganz wunderbar mit Rupert Charlesworth besetzt.

rbbKultur: Sie leben jetzt für die Musikfestspiele in Potsdam in einer schönen Wohnung mit Blick auf Sanssouci. Potsdam, dieser Ort an sich, ist für mich immer noch - ich bin Preuße - vor allem ein Ort des Militarismus. Was ist Potsdam für Sie?

Oberlinger: Ich finde, Potsdam ist einfach eine wunderbare Mischung. Es gibt so tolle Einblicke in die Natur. Man ist umgeben von Natur, von diesen wunderbaren Parks, von den Seen. Viele Leute besitzen auch ein Boot. Man kann mit dem Boot zu Aldi fahren! Das finde ich als Kölnerin sehr faszinierend. (lacht) Dann diese unglaublichen historischen Orte - in dieser Ballung, denke ich, hat man das ja nirgendwo sonst in Deutschland.

Das Gespräch führte Peter Claus, rbbKultur. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie als Audio nachhören.