rbbKultur-Reihe: "Wir in der Krise - Therapeut*innen im Gespräch" -
Corona hat unsere Arbeitswelt gründlich durcheinandergewirbelt. Waren die einen mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, hatten andere mit Überlastung zu kämpfen. Homeoffice wurde zum Segen und Fluch gleichermaßen. Daneben stellt die Klimakrise unseren Lebensstil in Frage und führt bei manchen zu der Frage: Welche Arbeit macht eigentlich Sinn? In unserer Reihe sprechen wir heute mit der Psychotherapeutin Katharina Kautzsch über gute Arbeit, Burnout, das Leiden an Strukturen und erholsame Gartenarbeit.
rbbKultur: Frau Kautzsch, ich möchte ganz grundsätzlich anfangen: Ist Arbeit nicht sowieso nichts anderes als notwendige Last - oder kann Arbeit auch Lust sein?
Katharina Kautzsch: Unbedingt. Sie ist mitnichten nur notwendige Last, aber es kommt sehr darauf an, was ich für eine Arbeit mache.
rbbKultur: Das heißt, dass ich sehr genau überlegen sollte, was ich arbeiten möchte. Aber mir ist es als junger Mensch überaus schwergefallen, diesen Weg zu finden - bis ich dann gottlob beim Radio gelandet bin …
Kautzsch: Ich glaube, das hat eher damit zu tun, dass ich Zeit habe, meinen Entwicklungsweg zu gehen und meine Leidenschaften auszuloten und zu gucken: Was liegt mir? Was kann ich gut? Wo sind meine Kompetenzen, meine Fähigkeiten? Wo erlebe ich mich selbstwirksam?
rbbKultur: Das alles ist schön und gut, aber dann komme ich in ein Team und fühle mich doch nicht wohl. Was sind die wichtigsten Aspekte, die wichtigsten Dinge, die das Wohlbefinden bei der Arbeit unterstützen?
Kautzsch: Ich denke, das Wohlbefinden bei der Arbeit hat mit dem Wohlbefinden an meinem anderen Standbein zu tun, in meinem privaten Leben. Und natürlich - da bin ich wieder die Familientherapeutin – spielt meine Erfahrung in einer Gruppe, in einem System, die ich von Anfang an gemacht habe, eine erhebliche Rolle, wie ich mich in dieser Gruppe bewege und welche Rolle ich einnehme.
Manche Menschen haben lebenslang Rollen gehabt, in denen sie sich nicht wohlfühlen. Wenn diesen Menschen nicht irgendwann mal klar wird, dass es schön wäre, sich auch in einem Team wohlzufühlen, dann kann es passieren, dass man allein daher nicht die Rolle oder den Platz findet, den man sich wünscht.
rbbKultur: Haben Sie ganz praktische Tipps? Woran merke ich, dass ich arbeitstechnisch etwas ändern muss?
rbbKultur: Wenn ich keine Lust habe, zur Arbeit zu gehen, wenn ich müde bin bei der Arbeit, wenn es nichts gibt, was meine Neugier fesselt. Und wenn ich merke, dass ich einfach gelangweilt bin oder zu angestrengt - wobei das ja auch ein Wechsel sein kann. Es kann sein, dass mich der Arbeitsinhalt sehr interessiert und wenn ich aus der Arbeit rauskomme, falle ich zusammen und bin nicht mehr wirklich vorhanden. Auch dann ist es vielleicht gut, an der Arbeit etwas zu ändern.
rbbKultur: Viele Jahrzehnte lang, bis noch vor gar nicht langer Zeit, gab es ein Grund-Ethos: "Zähne zusammenbeißen und durch!", wenn die Arbeit langweilte und keinen Spaß machte. Hat sich an dieser gesellschaftlichen Grundhaltung inzwischen etwas verändert?
Kautzsch: Das kann ich schwer einschätzen, da ich nur, wenn ich im Arbeitskontext arbeite - bei Job-Coachings oder Supervisionen mit Teams - Einblick in bestimmte Systeme habe. Mein Eindruck ist, dass es oft nicht die Frage ist, ob ich an der richtigen Stelle stehe, sondern eher die Frage des Maßes. Ich begleite sehr viele Pflegekräfte und die sind natürlich sehr gepeinigt mit dem allgemeinen langjährigen Fachkräftemangel. Da ist es natürlich dann eher so, dass es zu viele Dienste sind, dass zu viel Verantwortung an einer Stelle ist und dass auch mit einer relativ großen Selbstverständlichkeit der Einsatz gefordert wird, ohne zu gucken, wie es den Pflegekräften eigentlich geht. Gerade im psychosozialen Bereich vermisse ich oft tatsächlich, dass in größeren Institutionen auch geguckt wird, ob die Leute tatsächlich in der Lage sind, ihren Job zu machen, der ja durchaus ganzheitlich und insgesamt sehr kräftezehrend ist.
rbbKultur: Ein sehr guter Freund von mir ist Krankenpfleger und hat jetzt ein Burnout. Die erste Frage, die mir kam, ist: Wie hat er das erkannt? Woran merke ich, dass ich ein Burnout habe?
Kautzsch: Es fängt schon lange vorher an, bevor man realisiert, dass man da etwas hat, was vielleicht nicht so normal ist. Viele Menschen sind mal müde und energielos - dann kommen aber irgendwann tatsächlich Konzentrationsschwierigkeiten dazu. Die Überwindung zur Arbeit zu gehen wird immer größer und dementsprechend auch das Erschöpfungsgefühl. Irgendwann kommen dann körperliche Symptome dazu.
Dieser Begriff des Burnouts: Ich fühle mich tatsächlich leer. Aber nicht in einem guten Sinne leer, um es wieder neu zu füllen, sondern im Sinne des Gefühls, tatsächlich ausgepowert, ausgebrannt zu sein. Da ist keine Energie mehr, die ich einzubringen habe. Das kann mitunter auch ein lebensbedrohlicher Zustand werden.
rbbKultur: Führt das zu einer Depression? Ist das mit einer Depression verwandt, gar identisch?
Kautzsch: Das ist schwer zu sagen. Ich bewege mich in diesen diagnostischen Kriterien nicht so gerne, weil mich immer interessiert, wie Leute das erleben. Und ich glaube, dass manche Menschen sagen Ich bin depressiv - und dabei aber nicht mitkriegen, dass sie an den Strukturen leiden.
Gerade im psychosozialen Bereich gibt es eine Unterscheidung zwischen sogenannter Sekundärtraumatisierung, die darüber passiert, dass ich mit traumatisierten Klientengruppen arbeite: Kann ich traumatisiert werden, ohne selbst ein Trauma direkt erlebt zu haben? Und es liegt an der Arbeit mit den Menschen. Burnout ist oft eine Geschichte, die entsteht, wenn die Strukturen nicht so sind, dass ich geschützt bin, dass ich sicher bin, dass ich genug Ausruhzeiten habe. Es ist also eher eine organisatorische Frage.
rbbKultur: Ich stelle fest, dass ich ein Burnout habe. Welchen Rat haben Sie? Was sollte ich schleunigst tun?
Kautzsch: Vermutlich ausruhen. Die eigenen Strategien angucken, in denen ich in diese Überarbeitung geraten bin. Ich habe ja auch einen eigenen Leistungsanspruch und vielleicht einen inneren Antreiber, der mich trotz vorhandener Körpersignale immer wieder hat auf Arbeit gehen lassen. Ich glaube, ein Schutz vor Burnout ist tatsächlich, wenn ich merke, dass ich wirklich nicht kann, mich für eine kurze Zeit mal rauszunehmen - aber wenn ich merke, dass es regelmäßig passiert, schon mal zu gucken, ob ich nicht grundsätzlich in meinem Arbeitsverhalten und vor allen Dingen auch in meinem privaten Leben, in meinem Freizeitverhalten etwas tun kann, das mich erdet, das mich entspannt, das mich tatsächlich runterfahren lässt.
rbbKultur: Ist es das, wofür es den Begriff der sogenannten Selbstfürsorge gibt?
Kautzsch: Das würde ich sagen. Dieser Begriff ist ja auch sehr modern geworden, als wäre es etwas Ungewöhnliches. Ich glaube, dass es früher normaler war, nach der Arbeit in den Garten zu gehen und Kartoffeln auszubuddeln oder Blumen zu pflanzen – sensorische, andere Informationen zu machen.
rbbKultur: ... wenn ich abends meine Putzanfälle zu Hause bekomme, wenn ich hier aus dem Sender erschöpft rausgehe?
Kautzsch: Geht es Ihnen denn gut danach?
rbbKultur: Aber wie!
Kautzsch: Eben. Das sind sensorische, andere Informationen, andere Erfahrungen – das ist meiner Meinung nach eine sehr wichtige Komponente. Wenn ich dann aber ein Freizeitverhalten habe, in dem ich dann auch noch wahnsinnig gerne Bücher lese, nachdem ich mich möglicherweise einen ganzen Tag schon geistig angestrengt habe, oder wenn ich meine kranke Mutter zu Hause pflegen muss, nachdem ich von der Station komme, dann ist das mehr desselben - und das führt natürlich irgendwann dazu, dass der Körper kapituliert und auch das seelische System.
rbbKultur: Seit einigen Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass Menschen weniger arbeiten möchten - nur 80 % oder sogar noch weniger. Habe ich darauf inzwischen eigentlich ein Recht in unserer Gesellschaft?
Kautzsch: Ich glaube, dass es sogar arbeitsrechtlich verankert ist, wobei ich mich da juristisch nicht so gut auskenne. Aber natürlich hat ein Mensch das Recht, sein Leben so zu gestalten, wie er und sie das gerne möchte. Man darf nicht vergessen, dass arbeiten gehen bedeutet, dass ich meine Arbeitskraft anbiete und damit Teile meiner Lebenszeit. Und diese möglichst gemeinsam zu gestalten, ist eine viel bessere Voraussetzung für eine effiziente Arbeit. Es wird sich auch unternehmerisch zeigen, als wenn ich Leute unter Druck setzte und sage: Nein, Du musst aber 40 Stunden die Woche hier sein. Es gibt Studien, die besagen, dass gar nicht 100 % Arbeit geleistet wird in 100 % der Zeit, sondern dass es um die 60 % sind. Und wenn man sich das anguckt, ist vielleicht die Frage, ob dann 30 Stunden nicht auch effizient verbracht werden können … Wer will das messen, wie viel in 40 oder 30 Stunden gearbeitet wird?
rbbKultur: Gibt es eigentlich so etwas wie verschiedene Arbeitstypen? Zum Beispiel Menschen, für die es ideal ist, von 9:00 bis 17:00 zu arbeiten, während für andere die Selbstständigkeit das einzige Arbeitsmodell ist, das glücklich macht?
Kautzsch: Ich würde das nicht in Typen kategorisieren, sondern eher fragen, welche Verbindung Menschen mit ihrer Arbeit haben. Menschen, die in Schichtarbeit gehen können, die ich persönlich immer sehr bewundere, haben dafür sicherlich ihre Gründe. Vielleicht genießen sie die Auszeiten, die durch unterschiedliche Schichten zustande kommen und sind nicht so anfällig für die körperlichen Einbußen, die man zum Beispiel durch eine Nachtschicht hat. Und dann gibt es Menschen, die nicht so gerne weisungsorientiert arbeiten, die sich nicht so gut in ein System einbinden wollen oder lassen, sondern die eher sehr selbstgestaltend unterwegs sind. Für diese Menschen ist eine selbstständige Tätigkeit viel gesünder, als wenn sie sich dauernd in ein System hineinbegeben, wo sie sich unterordnen, anpassen müssen.
rbbKultur: Frau Kautzsch, zum Schluss unseres Gesprächs möchten Sie zum Thema Burnout noch etwas nachtragen.
Kautzsch: Was ich gern noch unterbringen würde, ist, dass ein Burnout nicht immer entsteht, wenn es mir nicht gut geht auf der Arbeit, sondern gerade dann, wenn ich mich sehr verantwortlich fühle, eingebunden bin in Arbeitskontexte, die mir Spaß machen und ich leidenschaftlich gerne arbeite und deswegen nicht merke, wann es reicht. Wenn ich bedroht davon bin, meinen Körper zu übergehen und ins Burnout zu rutschen. Das zu sagen, war mir einfach wichtig.
Das Gespräch führt Peter Claus, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte Fassung.