
rbbKultur-Reihe: Wochenmärkte zum Schwelgen -
Der Sommer ist für Gourmets in Berlin ein echter Traum: Gemüse und Obst gibt es frisch und regional – und das Schlendern auf dem Wochenmarkt macht mit Sonne von oben doppelt so viel Spaß. Deshalb nehmen wir Sie hier auf rbbKultur in unserer Reihe "Wochenmärkte zum Schwelgen" jede Woche mit zu den schönsten Wochenmärkten Berlins. Heute geht es mit Leon Ginzel in den Prenzlauer Berg, zum Wochenmarkt am Kollwitzplatz.
Der Markt am Kollwitzplatz fällt allein durchs Setting auf: Keine Kirche, kein Marktplatz - die Stände sind links und rechts entlang der Kollwitzstraße aufgebaut, die sich schnurgerade durch den Altbau-Kiez zieht. Spielstraßenatmosphäre mit Stehtischen, Verkaufsanhängern und schlendernden Leuten. Man hört Französisch, Türkisch, Portugiesisch und: viele Alt-Eingesessene kaufen hier am Wochenende ein. Mit dem besten Markt-Motto, dass mir eine Besucherin des Marktes verrät:
"Erstmal gut essen, dann einkaufen! Sonst kauf' ich immer zu viel ein. Einkaufen auf hungrigen Magen - das geht nicht so gut!"
Muschelgenuss wie in Istanbul
Na dann - halte ich mich doch auch mal daran! Als erstes lockt mich ein zitronengelber Pavillon, mit zwei strahlend gelben Öl-Fässern davor. Darauf stehen riesige Kochtöpfe mit gestapelten Miesmuscheln. Die Spezialität, die Ahmet Sanci und sein Kollege verkaufen, nennt sich Midye: Istanbuler Streetfood, das dort auf die Schnelle im Hafen verkauft wird.
Die Miesmuschel wird geputzt, angeknackst, dann kommt ein kleiner Schlitz in die Muschel. Dazu gibt es Reis. Durch das Koch- und Räuchersystem ummantel die Muschel den gewürzten Reis. Nicht fehlen darf ein Schuss Zitrone zum Schluss. Passend dazu wäre, so Ahmet Sanci, noch ein schöner Schluck Weißwein. Er berichtet von seinem Kollegen in Istanbul, dessen Familie schon seit 60 Jahren einen Midye-Stand betreibt - sie sind die Marktführer dort.
Die Muscheln, die er hier auf dem Markt anbietet, stammen aus Galizien, aus dem Atlantik. Dabei handele es sich um Wildfang - nicht so sandig wie aus der Nordsee oder dem holländischen Bereich.
Ein Euro kostet jede Muschel bei "Midye 47". Beim internationalen Prenzlauer Berg-Publikum kommen sie gut an - wie zum Beispiel bei einer amerikanischen Markt-Besucherin:
"It was delicious. It was a party in my mouth! Maybe you guys should come to New York. Union Square is waiting for you!"
Scharfer Tofu
Bevor es nach New York geht, reise ich erstmal auf dem Kollwitzmarkt weiter. Vorbei an Blaubeeren, frischen Bio-Baguettes und österreichischem Bergkäse zu einem Paradies für alle Veganer:innen: Bei den "Soy Rebels" gibt es selbstgemachten Tofu.
Sias, die Verkäuferin, berichtet, dass die meisten der deutschen Sojabohnen aus Bayern kommen, produziert werde in der Lichtenberger Manufaktur. Die beliebteste Variante sei Chili - die Leute hier mögen also gern scharfen Tofu, danach kämen Wildkräuter, Sesam und Brandenburger Gemüse.
Nach den Zubereitungsmöglichkeiten gefragt, erzählt Sias, dass sie Tofu gerne pur mag: einfach angebraten, dazu Gemüse oder auch auf Brot, wie Aufschnitt. Im Sortiment gibt es außerdem einen frischen Tofu - á la Feta, der sehr gut in sommerliche Salate passt.
Auf dem Kollwitzmarkt ist alles etwas exklusiver
Gerne mal als "Schwabenmarkt" verspottet, ist der Kollwitzmarkt nach seiner Gründung vor über 20 Jahren zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. 80 Arbeitsplätze hängen laut Betreiber Philipp Strube an den Ständen. Auch die umliegenden Geschäfte im Kiez machen am Samstag bis zu 20 Prozent mehr Umsatz.
Und: neue Produzenten können sich präsentieren. Zum Beispiel ein Stand mit auffällig orange-schimmernden Flaschen und dem vielsagenden Namen "Lōkal". Kann man hier "lokal" wörtlich nehmen?
Markus Schäffler, der den "Natural Aperitivo", verkauft, versichert mir, dass tatsächlich alle Zutaten aus Deutschland stammen, produziert wird hier in Berlin, abgefüllt in Schleswig-Holstein. Angereichert wird der Obstbrand mit Apfel-Birne-Quitten-Saft. Ein paar Destillate, zum Beispiel Wacholder- und Vogelbeere, Lorbeer, Tausendgüldenkraut sind mit dabei. Für die Bitternote am Ende sorgt der Gelbe Enzian.
Moment mal: Vogelbeere, Enzian – das klingt so giftig! Doch Markus Schäffler gibt Entwarnung: Vogelbeere enthalte viel Vitamin C - dass sie giftig ist, sei ein absoluter Aberglaube in Deutschland.
Eine Flasche (0,7 Liter) kostet 26 Euro und reicht für ca. 14 Shots oder Mix-Getränke. Man kann ihn - anders als Aperol - auch pur auf Eis genießen. Angesprochen auf den stolzen Preis, antwortet Markus Schäffler: "Wir sind ja auch exklusiv. Es gibt nichts Vergleichbares im Moment."
Ein bisschen beschreibt das auch die Atmosphäre auf dem Kollwitzmarkt insgesamt. Alles etwas exklusiver, aber trotzdem noch gemütlich. Ein Genießer-Publikum, unter das ich mich auch mische und den Markttag ganz bodenständig bei Falafel und Wasser ausklingen lasse.
Leon Ginzel, rbbKultur