Musikfest Berlin -
Das Musikfest Berlin beginnt morgen und geht bis zum 19. September 2022. In der Philharmonie, im Konzerthaus Berlin, dem Haus der Berliner Festspiele und in der Kirche Am Hohenzollernplatz werden über 50 Werke von rund 40 Komponist*innen präsentiert. Viele namhafte Gastspiele sind dabei. Was genau erwartet uns in diesem Jahr? Was sind die Höhepunkte? Wir sprechen mit Winrich Hopp, dem künstlerischen Leiter des Musikfests.
rbbKultur: Guten Tag, Herr Hopp. Am Sonntag eröffnet das Concertgebouw-Orchester unter der Leitung des jungen finnischen Dirigenten Klaus Mäkelä das Musikfest Berlin. Mäkelä wird nachgesagt, ein "Jahrhundert-Talent" zu sein: blitzschnell im Kopf, sehr präzise. Manche Musiker:innen sollen sogar nach einer Probe mit ihm gesagt haben, dass sie sich "um Jahre jünger fühlen". Haben Sie schon persönlich mit Klaus Mäkelä gesprochen?
Winrich Hopp: Nein, ich habe immer nur viel von ihm gehört und bin natürlich auch im direkten Kontakt mit dem Concertgebouw gewesen. Das Schönste über ihn habe ich vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gehört, die ich mal fragte: Na, wie ist er denn so bei Euch? Da sagten die: Das ist ein Jahrhundert Genie!
rbbKultur: Und woran haben sie das festgemacht?
Hopp: An der Art der Probenarbeit mit ihm - dieses ungeheure Tempo, das er hat und die Tatsache, wie er sich verständlich machen kann, wie die Musiker das sofort begreifen. Das muss unglaublich sein. Eine Musikalität, die sich unmittelbar mitteilt. Es ist bei den Proben ja nicht so einfach. Man muss die Musik immer erstmal durch die Sprache hindurchbringen - und das muss mit ihm großartig sein.
rbbKultur: Diesen Sonntag spielt das Concertgebouw-Orchester unter seiner Leitung Gustav Mahlers 6. Sinfonie und "Orion" von Kaija Saariaho. Über Mahler müssen wir jetzt gar nicht so viel sagen, eher über die aus Finnland stammende Komponistin Kaija Saariaho. Ihr Werk "Orion" komponierte sie vor 20 Jahren. Was ist das für Musik?
Hopp: Wie der Titel schon sagt, ist es Musik, die so ein bisschen aus dem Weltall kommt. Es ist eine Fahrt in einen kosmologischen Raum. Diese kosmologischen Räume waren - wie auch schon früher in den biblischen Texten die Wüste - Imaginationsräume des Menschen. Es ist alles so wunderbar unbesetzt dort. Das ist eine sehr große, starke, imaginative Musik, die sich Zeit und Raum lässt.
Sie hat das Werk damals für das Cleveland Orchestra komponiert und mit diesem Stück war das Orchester 2006 auch hier in Berlin. Ich finde es schön, dass diese Werke dadurch weiterleben, dass sie dann auch von einem anderen Orchester übernommen werden. Das, was wir an den Repertoirewerken von Bruckner und Maler immer so schätzen, dass sie von so vielen gespielt werden, beginnt jetzt auch in der Neuen Musik. Und Kaija Saariaho ist wirklich eine der ganz großen Komponistinnen in unserer Zeit. (…)
Frauen haben es in unserem klassischen Musikleben immer noch schwer, aber es wird besser. Ich finde es großartig, dass wir zum Eröffnungskonzert eben sie im Programm haben.
rbbKultur: Beim Eröffnungskonzert koppeln Sie "Orion" von Kaija Saariaho mit Mahlers 6. Sinfonie. Haben diese Werke etwas gemeinsam?
Hopp: Erstmal gibt es natürlich dimensionale Zusammenhänge. Die 6. Sinfonie von Mahler - das sind schon mal gute 60 Minuten Musik. Und die drei Sätze von Kaija Saariaho in "Orion" sind auch 30 Minuten. Da muss man schon Kraft haben und wissen, wie man mit Energie haushaltet, um eine solche Dimension zu gestalten. Sie haben vielleicht beide den Aspekt eines dunklen, opaken Klangs. Bei Kaija Saariaho geht es wie bereits gesagt ins All, bei Gustav Mahlers ist es eine sehr tragische Sinfonie.
Ich finde, diese Werke fügen sich sehr gut zusammen. Als das Concertgebouw mir sagte, dass sie beide Werke zusammen kombinieren wollen, habe ich einfach nur noch "Ja" gesagt. (lacht)
rbbKultur: Im Programmheft schreiben Sie von "wiedererlangten Möglichkeiten". Das klingt hoffnungsvoll, zumal in dieser Zeit, wo die Möglichkeiten eher zu schrumpfen scheinen. Was meinen Sie damit?
Hopp: Diese "wiedererlangten Möglichkeiten" sind für mich eine Reaktion auf den Begriff der Normalität. Ich bin häufig gefragt worden, ob das Musikleben jetzt wieder "normal" sei. Das fällt mir schwer in Anbetracht dessen, was wir vielleicht in nächster Zukunft auch noch zu erwarten haben. Kein Mensch kann sagen, wie es mit Corona im Herbst aussieht – auch nicht, was Herr Lauterbach und alle anderen planen. Wir wissen auch nicht, welche Folgen der Ukraine-Krieg noch haben wird. Auf jeden Fall sind wir jetzt in die sehr schöne Lage versetzt, dass wir wie in vorpandemischen Zeiten Konzerte veranstalten können: Große Orchester auf der Bühne, die ohne Distanzen spielen können – das ist eine ganz andere Spielkultur, die sich entwickelt. Wir können, wenn die Leute kommen - was ich hoffe -, voll ausgelastete Säle haben. Die Möglichkeiten sind wieder da und ich denke, wir sollten sie feiern, ehe sie vielleicht wieder etwas zurückgehen.
rbbKultur: Eine weitere Besonderheit beim Musikfest Berlin ist das Gastspiel des Odessa Philharmonic Orchestra am 6. September in der Philharmonie. Wissen Sie, unter welchen Umständen das Orchesterproben kann - jetzt im Krieg?
Hopp: Als wir Anfang März vorhatten, das Programm zu veröffentlichen, brach der Ukraine-Krieg aus. Wenn so etwas Außergewöhnliches passiert, auch so etwas Tragisches, schaut man sich das Programm natürlich noch einmal an. Ich habe dann gedacht: Mensch, Du hast überhaupt gar kein Orchester aus der Ukraine dabei! Dann habe ich mich mit dieser ganzen Region auch mehr auseinandergesetzt und hineingearbeitet und natürlich habe ich auch mit vielen Leuten, die viel davon wissen, gesprochen. Wir waren uns dann einig, dass wir unbedingt das Odessa Philharmonic Orchestra einladen wollen, die mit einem sehr besonderen Programm kommen.
Die Bedingungen sind besonders, denn das Orchester hat seit Ausbruch des Krieges nie mehr in einer vollen Besetzung miteinander spielen können. Bislang spielten sie so, wie wir in Corona-Zeiten, wo wir auch nur 20 Musiker und Musikerinnen eines Orchesters auf der Bühne hatten. Das ist bei denen immer noch so. Das Programm, das sie hier in Berlin bieten, werden sie in Moldawien proben, in Chișinău. Die Musikerinnen und Musiker kommen aus Odessa dorthin. Diejenigen, die sowieso nicht mehr in die Ukraine sind, werden alle zusammengerufen, um dort zu arbeiten. Auch das erste Konzert werden sie dort geben. Dann werden sie von Chișinău nach Istanbul geflogen und kommen dann hierher zu uns. (…)
Ich finde es großartig, dass die Pianistin Tamara Stefanovich sofort zugesagt hat, den Solopart von Karamanovs Großem Klavierkonzert zu übernehmen, einem besonderen Konzert. Es ist bei uns aufgrund dieser späten Hinzunahme in den Printmedien überhaupt noch nicht vertreten. Ich bin froh, dass Sie das jetzt hier ansprechen, so dass ich es auch noch einmal annoncieren kann, dass wir dieses besondere Orchester am 06.09. hier bei uns in der Philharmonie haben.
rbbKultur: Mit dabei beim Musikfest sind auch die Berliner Orchester und Ensembles: Das Deutsche Symphonie-Orchester zum Beispiel unter der Leitung von Robin Ticciati. Sie spielen Musik unter anderem von Morton Feldman und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter seinem Chefdirigenten Vladimir Jurowski spielt Iannis Xenakis. Wer ist für Sie persönlich der interessanteste Komponist, die interessanteste Komponistin der Gegenwart beziehungsweise der letzten Jahrzehnte?
Hopp: Das kann ich Ihnen im Singular gar nicht beantworten. Es ist ja so, dass immer wieder Komponistinnen und Komponisten hinzukommen. Auch da merke ich, wie viel sich tut. Es ist auch immer die Frage, um welche Kontexte es geht. Im Rahmen eines Orchesterkonzertes kommen andere Namen als bei Kammermusik-Veranstaltungen, wo man wieder andere Namen sucht und so weiter … Ich kann Ihnen da beim besten Willen nichts sagen.
Aber eine Sache ist klar: Die Musik der Gegenwart ist für mich eine der aufregendsten Begebenheiten gerade. Ich lernen jedes Mal neu dazu und ich glaube, wir müssen uns um die Zukunft der Musik keine Sorgen machen.
rbbKultur: Wenn Sie nun bewanderte Konzertgängerinnen und Konzertgänger vor sich haben, die der Meinung sind, Neue Musik und Musik der Gegenwart sei doch zu anstrengend … Was sagen Sie denen?
Hopp: Ich sage ihnen: Das ist aber schade! Ich finde, die Gegenwart wahrzunehmen und vor allen Dingen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen kennenzulernen, ist großartig. Man soll einfach mal in die Konzerte gehen. Wenn die Werke neu sind, heißt es ja nicht unbedingt, dass sie schwieriger sind – sie sind vielleicht ungewohnter.
Für mich selbst muss ich sagen, eine der größten Herausforderungen beim Hören ist für mich immer noch Richard Strauss. Diese Musik ist so hochgradig komplex, so dicht gepackt, so instrumentatorisch-raffiniert, so irrsinnig in diesen ganzen Modulationen und harmonischen Progressionen - ich meine, da ist Ligeti und auch mancher Stockhausen viel einfacher zu hören.
rbbKultur: Noch eine letzte Frage: Das Wort Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen in dieser Zeit. Was soll vom Musikfest 2022 bleiben? Was wünschen Sie sich?
Hopp: Festivals sind dafür da, dass sie stark wirken, danach vergessen werden und Platz machen für das nächste Festival. Und das, was ich mir von dem Festival wünsche, ist, dass es hier und jetzt zu einer großen Feier der Musik kommt und dass uns das auch künftig weiterhin gelingen wird.
Das Gespräch führte Carolin Pirich, rbbKultur. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie als Audio nachhören.