Emild Nolde: Sturzwelle unter violettem Himmel, 1930 © Courtesy Nolde Stiftung Seebüll/Galerie Bastian Berlin
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Galerie Bastian | Bis 29.10.2022 - Emil Nolde: "Anatomie aus Licht und Wasser"

Der Sommer ist fast vorbei, die Schatten werden länger und die Luft riecht schon nach Herbst. Viele Familien haben die letzten Wochen am Meer verbracht, Strand, Wellen und Sonne genossen. Der Faszination der Naturgewalten am Meer mit seinen wechselnden Stimmungen spürt jetzt – als Erinnerung an den Sommer – eine Ausstellung nach, die ab morgen in der Galerie Bastian am Hüttenweg in Dahlem zu sehen ist. "Emil Nolde. Anatomie aus Licht und Wasser" ist der Titel. Sigrid Hoff hat sie gesehen.

Die farbintensiven Bilder des Malers Emil Nolde faszinieren die Betrachter seit mehr als 100 Jahren. In Berlin sind die Werke des Malers vor allem im Brücke-Museum in Dahlem zu sehen. Die Galerie Bastian, die 2021 nur wenige hundert Meter vom Brücke-Museum entfernt ihr neues Domizil bezogen hat, widmet jetzt ihre jüngste Ausstellung Noldes Seelandschaften. Gezeigt werden 18 Aquarelle.

Licht und Wasser

Dunkelblaue Wogen bauschen sich auf, als wollten sie gleich auf die Betrachter herabstürzen. Weiße Schaumkronen setzen helle Lichtpunkte vor dem von der Abendsonne tiefrot gefärbten Himmelsstreifen am Horizont. Das Aquarell aus dem Jahr 1930 fängt die dynamische Urgewalt des Meeres mit intensiven Farben ein. Fast abstrakt wirkt das Bild mit seinen ineinander verlaufenden Farbflächen. In einem anderen – undatierten – Aquarell daneben türmt sich eine blutrote Wolke über dem Wasser auf und nimmt fast die ganze Fläche des Blattes ein.

Ganz anders das Bild "Landschaft um Utenwarf" von 1920/25, das trotz seiner expressiven Farbigkeit eine ruhige Abendstimmung ausstrahlt. Die Farbflächen sind stärker voneinander abgegrenzt, hinter gelben und grünen Feldern erhebt sich ein Gehöft vor dunklen Bäumen, darüber wölbt sich der Abendhimmel.

Eine konzentrierte Ausstellung

Die Ausstellung in dem hohen kubischen Raum der Galerie wirkt konzentriert bei aller Unterschiedlichkeit der Bilder, die überwiegend aus der eigenen Sammlung stammen. Aeneas Bastian, Kurator der Ausstellung: "In den vergangenen zehn Jahren konnten wir eine Nolde-Werkgruppe zusammentragen und mit Unterstützung der Nolde-Stiftung in Seebüll, wo der Nachlass des Künstlers aufbewahrt wird, ist es uns gelungen, diese Ausstellung zusammenbringen."

Aquarelle auf dünnem Japanpapier

Es sind beeindruckende Blätter, in denen Nolde das Meer und die Küstenlandschaften ohne Menschen darstellt. Erstaunlicherweise ist es die erste Ausstellung seit langer Zeit, die sich diesem wichtigen Thema im Werk von Emil Nolde widmet. Die See wird in seinen Bildern zum Spiegel von Emotionen, aufgeladen durch das Wetter und unterschiedliche Tagesstimmungen. Mit weichem Pinsel schafft Nolde hier die Übergänge, mal ist die Fläche lichtdurchflutet, dann wieder eher neblig trüb oder dunkel im Sturm.

Ins Auge fällt besonders eine Gruppe von vier quadratisch anmutenden Aquarellen mit Segelschiffen auf rot-gelber Fläche, die an William Turner erinnert. Die Feinheit der Technik macht den besonderen Reiz dieser Arbeiten aus, wie Aeneas Bastian meint: "Nolde verwendet dünnes Japanpapier, das eine besondere Absorptions- also Saugfähigkeit besitzt, die Farben zerfließen geradezu. Er lässt sie frei laufen, etwas was er in der Ölmalerei nicht tut."

Emil Nolde - ein Maler mit dunkler Vergangenheit

In letzter Zeit war es weniger Noldes Kunst als die dunkle Vergangenheit des Malers, die im Vordergrund von Ausstellungen und Debatten stand. Emil Nolde und seine Frau waren begeisterte Anhänger Adolf Hitlers, der Künstler trat der NSDAP bei und warb um die Gunst des Regimes. Doch ohne Erfolg: 1937 wurden mehr als 100 Arbeiten Noldes in deutschen Museen beschlagnahmt und in der Propagandaschau "Entartete Kunst" in München diffamierend ausgestellt. Der Maler erhielt faktisch ein Ausstellungs- und Arbeitsverbot und konnte nur noch in seinem Atelier in Seebüll in Schleswig-Holstein malen.

Nolde protestierte erfolglos dagegen, allerdings interessierte ihn dabei nur sein eigener Vorteil. Auch nach 1945 distanzierte er sich nicht von seiner Haltung. Das belegt die jüngere Forschung mit neu aufgetauchten Dokumenten. 2017, zu Noldes 150. Geburtstag, titelte die "Bild"-Zeitung "Emil Nolde war ein Nazi, seine Kunst aber 'entartet'".

2019 beleuchtete eine große Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin diese Ambivalenz. Der Kurator betont: "Wir wissen heute mehr über Noldes Entwicklung, seine Verstrickung in eine grauenhafte Ideologie, es gibt dafür auch insofern keine Entschuldigung, als sich Nolde selbst nicht entschuldigt hat."

Die Chronologie der Ausstellung verschweigt nichts

Muss man Noldes Kunst aufgrund seiner Biografie jetzt anders sehen? Die Chronologie, die an der Wand im Galerieraum die biografischen Stationen des Malers aufführt, verschweigt nichts. Seine Malweise, so Aeneas Bastian, sei unverändert geblieben, der nationalsozialistischen Kunstdoktrin habe er sich nicht angepasst: "Ich glaube, wir müssen nur die Biografie mit ihren vielen Widersprüchen und großen Schwächen akzeptieren und heute transparent darstellen."

Für ihn seien die Bilder zeitlose Naturbetrachtungen über die Urgewalt des Meeres, in denen es kein Gestern, Heute oder Morgen zu geben scheint.

Und doch wird man auch Noldes Naturbeobachtungen nicht mehr ohne ambivalente Gefühle betrachten können.

Sigrid Hoff, rbbKultur

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