Das Buch "Die Jahre" von Annie Ernaux im Regal einer Leipziger Buchhandlung © Jan Woitas/dpa
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Literarischer Jahresrückblick - 2022: Literatur im Zeichen des Krieges und ausgezeichnete Werke

Das Jahr geht zu Ende, und damit auch das Literaturjahr 2022. Etwa 60.000 bis 70.000 Bücher erscheinen allein in Deutschland jährlich. Welche aber waren die besten und bemerkenswertesten? Und an wen gingen die großen Literaturpreise? Ein Rückblick von unserer Literaturredakteurin Anne-Dore Krohn.

Das Literaturjahr stand im Zeichen des Krieges – und immer noch beeinträchtigt Corona das Kulturleben.

Nur eine deutsche Buchmesse

Die Leipziger Buchmesse ist 2022 im dritten Jahr in Folge abgesagt worden – nur wenige Veranstaltungen wie die Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse und eine selbstorganisierte kleine Pop-Up Buchmesse fanden dennoch statt. Die Frankfurter Buchmesse immerhin konnte wieder die Tore öffnen, wenn auch noch nicht mit so vielen Ausstellern wie in Vor-Corona-Zeiten.

Ingeborg Bachmann, Max Frisch: Wir haben es nicht gut gemacht; Montage: rbbKultur
Bild: Suhrkamp

Literarische Höhepunkte

Zu den literarischen Höhepunkten des Jahres gehörten neue Titel von u.a. Edouard Louis, Abdulrazak Gurnah, Ian McEwan, Yasmina Reza, Michel Houellebecq, Nicole Krauss und Péter Nádas und im deutschsprachigen Raum u.a. von Feridun Zaimoglu, Dörte Hansen, Karen Duve, Bernhard Schlink, Monika Helfer, Nino Haratischwili, Lucy Fricke, Katerina Poladjan und Martin Kordić. Und natürlich der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, der – nachdem die Erben die Briefe freigegeben haben – bei Suhrkamp erschienen ist und viele neue Facetten auf ihr Schreiben und Lieben aufzeigt.

Serhij Zhadan, ukrainischer Schriftsteller und Musiker
Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Literatur im Zeichen des Krieges

Natürlich hat die Literaturwelt im Jahr des Angriffskrieges auf die Ukraine mit besonderem Interesse auf die Bücher von russischen und insbesondere ukrainischen Autor:innen geschaut. Serhij Zhadan bekam im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, neue Bücher von Oksana Sabuschko, Juri Andruchwicz oder Andrej Kurkow erschienen, auch eine Biografie des ukrainischen Präsidenten Selenskyj.

Abschied von Mitgutsch, Enzensberger, Mariás und Delius

Gestorben sind u.a. der Bilderbuchautor und Illustrator Ali Mitgutsch, bekannt vor allem für seine Wimmelbücher. Hans Magnus Enzensberger starb Ende November mit 93 Jahren, der spanische Schriftsteller Javier Mariás wurde nur 61 Jahre alt und F.C. Delius wäre im Februar 80 Jahre alt geworden. Sein letztes Buch erscheint im Januar: "Darling, it’s Delius" wird es heißen, eine Autobiografie in Stichworten, eine persönliche Chronik.

Die türkischstämmige Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar foto: dpa/Fredrik von Erichsen
Bild: dpa/Fredrik von Erichsen

Büchnerpreis für Emine Sevgi Özdamar

Der Büchnerpreis ging dieses Jahr an Emine Sevgi Özdamar. Mit 75 Jahren gewann die türkisch-deutsche Schriftstellerin den renommiertesten Preis im deutschsprachigen Literaturraum. In ihrem letzten Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum" erzählt sie über Jahrzehnte hinweg vom Leben zwischen verschiedenen Kulturen und verwendet beeindruckende Stilmittel, indem sie zum Beispiel türkische Redewendungen ins Deutsche überträgt.

Sprachlichen Mut zeigte auch der Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik: Der israelisch-deutsche Schriftsteller Tomer Gardi verwendet in seinem Buch "Eine runde Sache" sogenanntes "Broken German". Den Sachbuch-Preis gewann die Berliner Lyrikerin und Übersetzerin Uljana Wolf für "Etymologischer Gossip", in der Kategorie Übersetzung war Anne Weber mit der Übertragung von Cécile Wajsbrods Roman "Nevermore" die Favoritin.

Kim de l'Horizon: Blutbuch © Dumont
Bild: Dumont

Doppelt ausgezeichnet: Das "Blutbuch" von Kim de l’Horizon

Bemerkenswert in diesem Jahr auch der Deutsche Buchpreis: Kim de l’Horizon wurde als erste non-binäre Person mit diesem Preis ausgezeichnet. In "Blutbuch" erzählt de l’Horizon von der Auflösung von Geschlechter- und Klassengrenzen – ein Debüt, das gleich doppelt gewann: Nach dem Deutschen auch noch den Schweizer Buchpreis.

Annie Ernaux, französische Schriftstellerin u. Gewinnerin des Literaturnobelpreises 2022 © TT News Agency / dpa
Annie Ernaux | Bild: TT News Agency / dpa

Annie Ernaux - Literaturnobelpreisträgerin und Vorbild

Vielen galt sie schon lange als Favoritin für den Literaturnobelpreis: Die französische Autorin Annie Ernaux, die über Klasse und Körper schreibt, gleichzeitig persönlich und universell, privat und hochpolitisch. Im Herbst erschien von Sonja Finck übersetzt "Das andere Mädchen", im Januar 2023 wird "Der junge Mann" herauskommen.

Wenn es um autofiktionales Schreiben und Schreiben über Klasse geht, ist Ernaux massstabgebend, bei Autor:innen wir Didier Eribon oder Edouard Louis sowieso, aber auch bei deutschsprachigen Schreibenden wie zum Beispiel Daniela Dröscher, Andreas Schaefer, Monika Helfer, Julia Schoch oder Julia Franck, die sich an ihrem Schreiben orientieren.

Internationale Auszeichnungen für Giraud, Karunatilaka und Cohen

Den wichtigsten Literaturpreis in Frankreich, den Prix Goncourt, bekam Brigitte Giraud für "Vivre vite", ein Roman, in dem sie den Tod ihres Mannes beschreibt, der bei einem Motorradunfall verunglückte. Auf Deutsch ist das Buch noch nicht erschienen, wird aber sicherlich wie auch "The Seven Moons Of Maali Almeida" von Shehan Karunatilaka bald erscheinen: Karunatilaka setzte sich beim renommierten britischen Booker Prize durch.

Den US-amerikanischen Pulitzer Prize, den u.a. schon Hemingway und Faulkner bekamen, hat dieses Jahr Joshua Cohen erhalten für "Die Netanjahus". Dieses Buch, ein Campusroman über jüdische Identitäten, wurde aus dem Englischen von Ingo Herzke übersetzt und erscheint im Januar bei Schöffling.

Anne-Dore Krohn, rbbKultur

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