Zur rbbKultur-Lesung "Darling, it's Dilius!" -
Im vergangenen Jahr ist der Schriftsteller F. C. Delius im Alter von 79 Jahren gestorben. Und in diesen Wochen würdigen wir diesen wichtigen deutschen Gegenwartsschriftsteller nochmal ausführlich bei uns im Programm. Gerade senden wir in 24 Folgen seine Autobiografie "Darling, it's Dilius!". Aber wir wollen auch mit Freund*innen, Kolleg*innen und Fans von F. C. Delius sprechen. Heute mit der Schriftstellerin Ulrike Draesner.
rbbKultur: Frau Draesner, wie gut kannten Sie F. C. Delius?
Ulrike Draesner: Gut und schlecht in einem. Ich kannte ihn sehr lange, seit 1995. Wir sind uns immer wieder begegnet - bei Lesungen, Veranstaltungen, einmal auch in Rom. Wir waren nicht eng miteinander befreundet, haben uns aber regelmäßig über Literatur ausgetauscht.
rbbKultur: Wie haben Sie sich kennengelernt?
Draesner: Doppelt. Ich erinnere mich an meine allererste Buchmesse 1995. Da saß ich mit Durs Grünbein zusammen, und der sagte: "Oh, da kommt F. C. Delius vorbei! Den muss ich Dir vorstellen, der kümmert sich auch um jüngere Autorinnen!" Er hatte aber überhaupt keine Zeit, hat es sich aber trotzdem gemerkt. Das fand ich ganz erstaunlich, denn er meldete sich dann 1998 bei mir. Da war gerade mein erster Roman erschienen, und eine Tante hatte mich deswegen verklagt. Er arbeitete an einem Fall, nämlich an "Die Flatterzunge", wo es auch um Persönlichkeitsrechte gehen könnte, und fragte mich nach meinen Erfahrungen. Das war unser erster längerer literarischer Austausch.
rbbKultur: Konnte er Ihnen weiterhelfen mit seinen Erfahrungen?
Draesner: Es ging erstaunlicherweise andersherum. Ich musste ihn mit meinen rechtlichen Erfahrungen in dem Fall weiterhelfen ... (lacht) Er konnte das dann viel besser abwickeln als ich, die nichts geahnt hatte von diesen Persönlichkeitsgeschichten, die bei Autofiktion auftauchen. Aber ansonsten war es schon so, dass er natürlich der erfahrene Autor war und eben auch ein brillanter Leser. Ich habe das sehr schnell zu schätzen gelernt. Damals gab es noch Autorenversammlungen wie den 'Tunnel über der Spree' im LCB. Ich war damals neu in Berlin und lernte die Szene kennen. Da gab es die eher lauten Autoren wie Peter Schneider oder Hans Christoph Buch - und es gab es die sehr stillen, die dann einmal am Tag aufstanden und einen Satz sagen. Reinhard Lettau gehörte dazu, aber eben auch F. C. Delius - und dieser Satz saß einfach und war brillant und zugleich manchmal auch sehr komisch. Das mochte ich immer sehr.
rbbKultur: Kann ich daraus schließen, dass sich F. C. Delius gar nicht so gerne auf auf der Bühne des Literaturbetriebes bewegt hat, dass er es hingenommen hat, weil es zu seiner Arbeit gehörte?
Draesner: Das weiß ich nicht. Ich habe ihn sonst noch in der Akademie kennengelernt, und er war durchaus auch ein Vermittler: Er hat mitgelesen, sich getroffen, gesprochen - dort, wo er es für nötig hielt. Ich erinnere mich, dass er einmal eine Laudatio auf mich hielt, als ich den Nicolas-Born-Preis bekam – ein literarischer Kontext also, eine Preisverleihung - und da war ihm überhaupt gar nichts von "ich will hier nicht sein" und "ich mache das nicht mit" anzumerken. Ich habe das sozusagen im Wechselspiel der Spiegelung verstanden, die dann ja eintritt. Man braucht als Autor oder Autorin einfach auch Zeiten, in denen man sich zurückzieht und seine eigenen Dinge schreibt. Er war sehr produktiv, das hat mich immer beeindruckt. Er war einer der Autoren, die sich die Mühe machen, jedes Mal neu über die Form nachzudenken und jedes Mal wirklich auch Gedanken zu entwickeln und sich nicht einfach selbst zu wiederholen.
rbbKultur: Und einer, der diese Gedanken dann auch in einer unglaublichen Schärfe und Präzision formulieren konnte. Sie haben ihn vorhin als einen verlässlichen Menschen beschrieben. Er hat sich an Sie erinnert. Dann berichteten Sie über die Präzision, mit der er Ihre Texte gelesen und mit Ihnen darüber gesprochen hat. Ist das so etwas Typisches für ihn?
Draesner: Ja, das würde ich schon sagen. Einfach auch seine Präzision im Satzbau, in der Gedankenentwicklung, aber hinzu kommt noch die Musikalität seiner Sprache - der Rhythmus und der so schöne, feine, immer genau platzierte Spott, der nichts Vernichtendes hatte. Da funkelte neben der Schärfe auch so ein Stückchen Menschlichkeit mit auf.
rbbKultur: Frau Draesner, haben Sie einen Tipp für uns? Ein Werk von F. C. Delius, das Sie uns ans Herz legen möchten?
Draesner: Unter dem Aspekt der formalen Intelligenz und auch der der gelebten Zeitgenossenschaft, die ihn kennzeichnete, würde ich gerne empfehlen, noch mal einen Blick auf "Die Birnen von Ribbeck" zu werfen. Das ist so ein "doppelter Delius", wenn man so möchte: Er schaut in die Vergangenheit, bezieht sich auf ein anderes literarisches Werk, Fontanes Ballade, und zugleich schreibt er sehr früh, 1991, sehr präzise über die neuen, sich konstellierenden Ost-West-Fragen.
rbbKultur: Eigentlich sogar über Ost-West-Konflikte … Delius hat das kurz nach dem Mauerfall geschrieben. Die West-Berliner sind quasi eingefallen in das kleine Dorf Ribbeck im Havelland …
Draesner: Ich habe von "Fragen" gesprochen, denn "Konflikte" würde es schon wieder einordnen und etikettieren … Ich fand immer sehr schön an ihm, dass er das öffnet. Und es gibt eine Stelle, die ich sehr mag. Da sagt die Ich-Figur, die diesen Text spricht: "Deshalb sage ich alles, was ich weiß und was ich nicht weiß dazu, weil nichts gewiss ist, außer, dass alles weitergeht, anders, und ich ein anderer werde."
Das Gespräch führte Frank Schmid, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte Fassung.