Oksana Lyniv, Dirigentin © Oleh Pavliuchenkov/Bayreuther Festspiele / dpa
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Sa 1.4.2023, 20 Uhr | Live auf rbbKultur - Oksana Lynivs Debüt mit dem DSO: "Man erlebt auch in den Proben Gänsehautmomente"

Oksana Lyniv gehört zu den profiliertesten Dirigent:innen. Als erste Frau überhaupt hat sie 2021 in Bayreuth dirigiert. Derzeit leitet sie die Oper in Bologna und ist damit die erste Generalmusikdirektorin eines Opernhauses in Italien. Oskana Lyniv ist zugleich eine der bekanntesten Fürsprecher:innen der Ukraine, ihres Heimatlandes. Ihr Debüt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester übertragen wir am 1. April live auf rbbKultur. Ein Gespräch über ihre Vorreiterrolle für zukünftige Dirigentinnen und ihr Engagement für die Ukraine.

rbbKultur: Frau Lyniv, wie laufen die Proben mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin? Konnten sie die Musikerinnen und Musiker schon richtig kennenlernen?

Oksana Lyniv: Die Proben laufen wunderbar! Das ist auch ein wunderbares Programm: Dvořák, Stankowytsch, Rachmaninoff – alles slawische Komponisten. Es ist toll, mit dem DSO zu arbeiten. Es gibt sehr viele auch junge Musiker, junge Gesichter. Wir kommen gerade zusammen in unseren Ideen. Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit.

rbbKultur: Wie läuft denn eine allererste Zusammenarbeit mit einem Orchester? Wie lernen Sie die Musikerinnen und Musiker kennen?

Lyniv: Ich reise an, werde vorgestellt, sage Hallo - und dann beginnen wir zu spielen. Dann sieht man, wie die Musikerinnen und Musiker mich beobachten - und ein paar Minuten lang beobachte ich sie: Wie sie auf meine Gesten, meine Mimik und meine Ansagen reagieren.

Schon in den ersten Tagen sind wir ganz gut miteinander ausgekommen. Es ist einfach toll, wenn ich zum Beispiel meine Ideen zur Musik vorschlage und die Musiker dann entsprechend reagieren und kooperieren. Die Dirigentin/der Dirigent hat eine Idee zur Interpretation, kann sie aber nicht selbst spielen. Diesen Plan müssen die Musiker:innen spüren und entwickeln. Man erlebt auch in den Proben Gänsehautmomente.

rbbKultur: Auf dem Programm morgen steht u.a. das dritte Klavierkonzert von Rachmaninoff. Den Pianisten Mao Fujita kennen Sie bereits.

Lyniv: Wie hatten ein tolles Konzert zur Eröffnung der Tsinandali Festspiele. Das ist ein ziemlich junges Festival in Georgien. Dort haben wir Brahms‘ Klavierkonzert gespielt - und Mao Fujita ist ein fantastischer Pianist: sehr jung und vielversprechend. Ich freue mich sehr, ihn morgen zur Probe zu sehen.

rbbKultur: Neben der achten Sinfonie von Antonin Dvořák steht morgen Abend auch ein Werk des ukrainischen Komponisten Jewhen Stankowytsch auf dem Programm. War das Ihr Wunsch oder die Idee des DSO??

Lyniv: Das habe ich relativ kurzfristig vorgeschlagen angesichts der politischen Situation in der Ukraine, dem andauernden Krieg. Ich dachte, ich muss auch etwas Symbolisches mitbringen. Es ist ein kurzes Stück, nur für Streicher, aber wunderschön. Der Komponist Jewhen Stankowytsch ist heutzutage der Patriarch der ukrainischen Musik. Er ist 81 Jahre alt und lebt in Kyiv. Ich habe ihn vor dem Konzert kontaktiert und auch schon vorher oft mit ihm kooperiert.

Eine besondere Zusammenarbeit war sein Requiem "Babyn Jar", gewidmet den Opfern des dortigen Genozids. Wir haben es zusammen mit den Hamburger Symphonikern und dem Kyiver Nationalchor 2015 in der Oper in Kyiv aufgeführt. Das war ein unvergesslicher Abend für mich und der Komponist war im Saal.

rbbKultur: Stimmt es, dass Sie selbst bereits mit 14 Jahren studiert haben?

Lyniv: Ja, mein erstes Studium war auf dem sogenannten Musik-College. Dort hatte man zusätzlich zu den Grundschulfächern auch Musikkurse. Dort konnte ich auch das Dirigieren zum ersten Mal ausprobieren. Mit 16 habe ich bereits das Studentenorchester dirigiert.

rbbKultur: War das eine Prägung durch Ihre Eltern, die beide Lehrer und Musiker sind? Ihre Mutter ist Klavierlehrerin, Ihr Vater Chorleiter. War Ihr Weg vorgezeichnet?

Lyniv: Ja, schon vom Kindergarten an wusste ich, dass ich Musikerin werden möchte wie meine Eltern. Aber nicht, weil ich es musste - sondern, weil ich Musik geliebt habe. Nach der Grundschule habe ich immer eine Musikschule besucht und danach noch bei den Proben zugeschaut, die mein Vater dirigiert hat oder wie meine Mutter in seinem Chor gesungen hat.

Das war immer so: die Familie musiziert und ich wollte das auch. Ich habe gemerkt: die Kunst und die Musik machen glücklich.

rbbKultur: Wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, Dirigentin zu werden? Von Anfang an – oder erst später?

Lyniv: Das war später. Mit 16 habe ich schon mit Studenten und Orchestern gearbeitet. Mit 18 fragte mich ein Lehrer des Colleges: Hast Du nie daran gedacht, Dirigentin zu werden? Wahrscheinlich hat er bestimmte manuelle Voraussetzungen bei mir bemerkt, ein bestimmtes Talent und die Ausstrahlung, vor dem Orchester zu stehen – ganz genau weiß ich das nicht. Ich habe dann gesagt: Okay, vielleicht kann man das lernen. Aber das kam ziemlich überraschend und es gab damals an der Hochschule und in der Stadt keine einzige Dirigentin. Ich hatte keine Vorbilder, als ich angefangen habe.

rbbKultur: Haben Sie sich denn damals schon gefragt, wie Sie es als Frau rein in einen bis heute von Männern dominierten Beruf schaffen?

Lyniv: Vor 20 Jahren hat man viel häufiger Kommentare gehört wie: Warum machst Du das? Du wirst nie so erfolgreich wie die Männer werden – und selbst wenn Du dirigieren wirst, wird es ein Kinder- oder Kirchenchor sein. Was träumst Du?

Trotzdem weiterzumachen, war immer eine Herausforderung. Aber Gott sei Dank habe ich auch tolle Leute getroffen - wie zum Beispiel meinen Professor an der Musikhochschule Dresden, Ekkehard Klemm. Er sagte zu mir: Oksana, Du schaffst das - Du hast den nötigen Charakter dazu!

Und langsam, Schritt für Schritt, war ich da, wo ich jetzt bin.

rbbKultur: Was müsste denn verändert werden, damit Dirigentinnen solche Kommentare nicht mehr hören müssen?

Lyniv: Wir sehen schon sehr starke Veränderungen. Es gibt jetzt so viele junge, tolle Dirigentinnen, die bereits in jungem Alter, mit 20, 25 Jahren beschäftigt sind und überall hin eingeladen werden. Sie zögern und zweifeln nicht mehr, ob sie das denn überhaupt können. Ich glaube, das ist eine tolle Ermunterung.

Erst neulich sprach ich mit meinem Professor von der Dresdner Musikhochschule und er hat mir gesagt, dass in diesem Jahr zum ersten Mal mehr Frauen als Männer in seiner Klasse studieren. Das muss doch schon etwas heißen!

rbbKultur: Lassen Sie uns noch über das internationale Kulturfest sprechen, das Sie 2017 in Lwiw gegründet haben und auch leiten. Wie ich gelesen habe, wurde es sehr schnell zum größten Festival klassischer Musik in der Ukraine. Wie geht es mit dem Festival jetzt weiter? Wie kann es zurzeit damit überhaupt weitergehen?

Lyniv: Es ist zurzeit natürlich schwierig. In der Ukraine ist es noch zu gefährlich, um etwas so Großes zu veranstalten. Es hat mit allem zu tun: mit der Einreise, mit der Situation des Krieges – es gibt immer wieder Luftangriffe und Sicherheitswarnungen …

Deswegen konzentriere ich mich derzeit auf meine internationale Tätigkeit. Letztes Jahr, im ersten Sommer des Krieges, hatten wir ein sehr großes Kooperationsprojekt mit dem Mozarteum Salzburg. Entstanden ist ein dokumentarischer Musik-/Konzertfilm über meine Ausgrabungen und Recherchen über das Wirken des Mozart-Sohns Franz Xaver Mozart in der Ukraine.

Man kann den Film – "Mozart for Solidarity" auf unserem YouTube-Kanal finden. Alle beteiligten Künstler kommen aus der Ukraine und sind zurzeit Flüchtlinge in Europa. Sie erzählen über ihre fürchterlichen Kriegserfahrungen - wie sie unter lebensbedrohlichen Bedienungen evakuiert werden mussten. Wir trafen uns alle in Salzburg und spielen Mozart – aber den unbekannten Mozart. Das war ein sehr interessantes Projekt.

rbbKultur: Wollen Sie damit nicht vielleicht auch nach Berlin kommen?

Lyniv: Das war eine Filmproduktion. Als Kammerkonzert würde ich es natürlich auch gern weiter vorstellen wollen. Aber vielleicht lässt sich dieses Jahr auch noch etwas Größeres organisieren, denn der Fokus Ukraine bleibt immer noch. Aber ich möchte nicht bloß Solidaritätskonzerte spielen, sondern ich möchte zeigen, dass wir auch zu Europa, zur kulturellen europäischen Tradition gehören.

rbbKultur: Ist das auch der Hintergrund für Ihr Engagement für das ukrainische Jugendsymphonieorchester, das Sie gegründet haben und als Chefdirigentin leiten?

Lyniv: Absolut. Wir waren sehr glücklich – und wir danken unserem Partner, dem Bundesjugendorchester. Das sind unsere Brüder und Schwestern, weil sie uns im ersten Kriegsjahr geholfen haben. Für diesen Sommer planen wir eine Tournee in Deutschland und Italien. Wir haben viele Anfragen und wir bereiten tolle Konzerte vor. Und wie immer sind in unseren Programmen nicht nur weltbekannte klassische Meisterwerke, sondern auch beauftragte neue Werke von ukrainischen Komponisten.

Das ist für mich auch eine Mission: Dass die ukrainischen Künstler und Komponisten in den Kriegsgebieten die Chance bekommen, dass ihre Stimmen gehört werden.

rbbKultur: Und wie geht es jetzt für Sie persönlich weiter? Arbeiten Sie weiter als freischaffende Dirigentin – oder möchten Sie wieder fest zurück an ein Haus, wie während Ihrer Zeit an der Oper Graz? Es gäbe zum Beispiel in Berlin eine reizvolle Aufgabe an der Staatsoper …

Lyniv: Zuzeit bin ich die erste Musikdirektorin in Italien am Teatro Comunale di Bologna. Das ist eine sehr tolle Aufgabe für mich. Wir sprachen ja bereits über Dirigentinnen: Stellen Sie sich vor: in Italien, der Heimat der Opernkunst, gibt es Opernhäuser seit dem 17. Jahrhundert. Ich bin die erste Frau in dieser Position! (...)

Aber ich bin auch viel international unterwegs: Gestern bin ich aus den USA zurückgekehrt – dort hatte ich mein Debüt mit dem Baltimore Symphony Orchestra. Jetzt bin ich in Berlin – und dann geht es wieder weiter.

rbbKultur: Das heißt, Sie hätten gar keine Zeit für die Staatskapellen-Nachfolge von Daniel Barenboim … Sie wurden von unserem Musik- und Opernkritiker Kai Luehrs-Kaiser vorgeschlagen!

Lyniv: Das habe ich gehört! Wenn es zu Gesprächen kommen sollte, wird diskutiert … Aber ich freue mich sehr auf "Medea" in der Staatsoper im Juli!

Das Gespräch führte Frank Schmid, rbbKultur. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Gespräch in voller Länge können Sie als Audio nachhören.

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