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"Es wird nichts so bleiben, wie es ist" - Wer ist Berlins neuer Kultursenator und was hat er vor?

Berlins Kulturetat ist mit rund 940 Millionen Euro gigantisch – doch auch die Baustellen in Berlins Kulturlandschaft sind enorm. Diese Herausforderung soll künftig der CDU-Politiker und neue Kultursenator Joe Chialo angehen. Wer er ist und was er vor hat, darüber wollen wir mit ihm jetzt sprechen auf rbbKultur.

rbbKultur: Herr Chialo, das klingt erstmal nach viel - Berlins Kulturetat beträgt 940 Millionen Euro. Aber wenn wir genau hinsehen, dann könnte man das Zittern kriegen: In der rbb Abendschau sagten Sie gestern Abend: Es wird nicht so bleiben, wie es ist - das sei klar. Sie verwiesen auf finanzielle Lücken. Zittern Sie?

Joe Chialo: Ich zittere nicht. Ganz und gar nicht. Ich habe immer gesagt, dass ich in meinem Amt versuchen werde, nachvollziehbar und ehrlich zu kommunizieren, was geht – und was eben nicht geht. Zur Kontextualisierung: Wir befinden uns in einer Situation, wo wir nicht nur die Folgen der Pandemie, des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die dadurch ausgelöste Wirtschafts- und Energiekrise und die Inflation spüren - und jetzt rennen wir in starke Migrationsbewegungen hinein. Das wird Auswirklungen für uns alle haben. Und das spiegelt sich natürlich in unserem Haushalt wider. Das betrifft nicht nur die Kultur. Es wird gerade singulär über Kultur gesprochen. Ich glaube, dass wir uns in den kommenden Wochen schon daran gewöhnen müssen, dass alle Ressorts versuchen werden, das Beste für die Menschen hier in Berlin umzusetzen.

Es ist keine katastrophale Situation, der wir entgegensteuern – das muss ich ganz klar sagen. Aber ich hatte an der einen oder anderen Stelle schon gelesen, dass man davon sprach, ob ich den Etat übertreffen könne. Ich finde so ein Erwartungsmanagement, Klarheit zu kommunizieren, für alle Beteiligen das Richtige. Keine Panik – aber eben auch einen gesunden Realismus.

rbbKultur: Gibt es Quellen außerhalb Berlins? Ich schiele da natürlich auf den Bund, ich schiele auf Claudia Roth, die Sie anzapfen könnten … Können Sie die nicht mal anrufen? Sie beide kommen schließlich aus der Welt der Musik - da muss es doch eine Möglichkeit geben?

Chialo: Auf jeden Fall! (lacht) Wir werden natürlich gucken, an welcher Stelle uns der Bund helfen kann. Aber ich bin hier ja für den Landesetat verantwortlich, und es liegt jetzt erstmal an mir, nicht nach Hilfe vom Bund zu schreien, sondern den Etat so sauber aufzustellen, dass sich die Künstlerinnen und Künstler hier in Berlin, die Einrichtungen, darauf verlassen können, dass sie in den nächsten Jahren stabil und gut durchkommen. Aber das eben mit einer klar kommunizierten und ehrlichen Erwartungshaltung.

rbbKultur: Sie kommen aus der Geschäftswelt der Musik. Jetzt gibt es Leute, die sagen: Joe Chialo wird natürlich vor allem die Musikszene unterstützen! Wie schaffen Sie es, dass da kein falsches Bild entsteht?

Chialo: Ich liebe die Kultur. Ich liebe die Kreativwirtschaft. Ich liebe die Künstlerinnen und Künstler in dem, was sie tun - so, wie sie sich durch ihre Kunst ausdrücken und uns unser Dasein erklären. Das braucht natürlich zum einen Rahmen. Das braucht Kulturorte. Ich glaube, wenn es darum geht, haben alle Künstlerinnen und Künstler und Akteure in Berlin relativ ähnliche Probleme. Wenn ich zum Beispiel auf die Künstlerkolonie der Uferhallen schaue, die jetzt bedroht ist, die sich nicht sicher ist, ob sie an diesem Standort bleiben kann, oder wenn ich zur Clubkultur gehe: Ja, alle kommen nach Berlin wegen Berghain, Sisyphos, Tresor, Watergate und so weiter … Es gibt halt viele Clubs, die sich Sorgen machen um ihren Standort für die Zukunft ... Auch da reden wir wieder über das Thema Standort. Es gibt halt diese Themen, die - unabhängig des Genres - alle verschiedenen kulturellen Bereiche verbinden. Da möchte ich dazu beitragen, dass diese Rahmenbedingungen für die Zukunft stabilisiert werden und wir gemeinsam mit den Akteuren daran arbeiten, passende und stabile Lösungen zu finden.

rbbKultur: In der Abendschau gestern haben Sie schon das Stichwort Ateliers gegeben. Können Sie da schon konkreter werden und sagen, was Sie vorhaben?

Chialo: Im Grunde genommen ist es so, dass mich ein Hilferuf der Künstler ereilt hat, relativ kurz nachdem ich mein Amt übernommen habe. Mein Blick und mein Interesse gilt den Künstlern. Ich will an der Seite der Künstlerinnen und Künstler stehen und ihnen dabei helfen, dass wir diesen Standort für sie erhalten können. Das bedarf der Gespräche auch mit den Kollegen vor Ort, die diese Grundstücke haben. Und das bedarf auch der Gespräche mit Partnern aus Politik und mit Kollegen vom Bezirk. Damit das auch zum Erfolg geführt werden kann, ist eine gewisse Diskretion zu diesem Zeitpunkt schon wichtig, aber - aus der Sicht der Künstler - natürlich auch eine gewisse Öffentlichkeit, denn es ist dringend, die Zeit rennt, und die Künstler haben echte Probleme. Ich freue mich, dass Sie das jetzt gerade ansprechen, denn wir müssen diese Künstler unterstützen, damit sie dort auch wirklich bleiben können.

rbbKultur: Sprechen Sie mit Ihrem Vorgänger Klaus Lederer, um sich vielleicht ein paar Tipps von "Klausi" zu holen?

Chialo: "Klausi" ... Ich höre da so eine gewisse Vertrautheit … (lacht)

rbbKultur: Das gebe ich zu: als künstlernaher und kunstverbundener Mensch haben ihn viele von uns in Berlin sehr geschätzt. Er hat sehr viel erreicht. Da ist eine Vertrautheit da, obwohl ich ihn persönlich so gut wie gar nicht kenne.

Chialo: Ich kann Ihnen versichern, dass ich Klaus Lederer bei meinem Übergang kennengelernt habe. Es war ein wirklich fairer Übergang. Wir haben uns sehr gut verstanden und wir sind auch weiterhin verbunden. Wir spielen in unterschiedlichen Teams, keine Frage, und er hat Entscheidungen getroffen, die ich möglicherweise jetzt anders treffen würde. Aber wir haben ein klares Grundverständnis: nämlich die Künstlerinnen und Künstlern in dieser Stadt zu unterstützen. Und ich denke, das wird auch in Zukunft etwas sein, worauf sich alle draußen verlassen können.

rbbKultur: Ein bisschen möchten wir Sie auch persönlich kennenlernen: Sie sind Jahrgang 1970 und stammen aus einer Diplomatenfamilie. Da blitzt vor mir sofort das Dollarzeichen auf: Ganz viel Geld, goldener Löffel im Popo – allerdings kommen Sie aus Bonn … Sie Armer! Eine Kindheit in Bonn - das stelle ich mir nicht so schön vor! (lacht)

Chialo: Ich sage es mal so: Erstens ist es eine Diplomatenfamilie aus Tansania - da geht es schon mal los. Da war nichts mit goldenem Löffel und gebratenen Tauben, die durch die Luft geflogen sind ... Ganz im Gegenteil: Es war eine sehr, sehr anspruchsvolle Kindheit, die ich hatte. Mit viel Verzicht. Mit neun Jahren bin ich ins Internat gekommen und habe seitdem nie wieder bei meiner Familie gelebt, sondern mein Leben dann mehr oder weniger mit Unterstützung der Salesianer Don Boscos, den Priestern, gestaltet und nach meinem Abitur mit 19 Jahren immer allein gelebt. Insofern hat mich das geprägt, und es hat auch so eine gewisse Resilienz in mir ausgelöst, von der ich heute noch zehren kann.

Aber (auf Kölsch): Bonn ist natürlich eine Stadt meines Herzens … (lacht)

rbbKultur: Sie waren auch Sänger der Band Blue Manner Haze. Die Sängerinnen und Sänger, die ich kenne, sind immer sehr kraftvolle Persönlichkeiten, die allerdings oft das Problem haben, dass sie sich nicht gern von anderen reinreden lassen. Sind Sie jemand, der von sich sagt, dass er teamfähig ist – oder mussten Sie sich das hart erarbeiten?

Chialo: Nein, überhaupt gar nicht. Ich schätze Teamfähigkeit. Ich habe sehr starke Kolleginnen und Kollegen. Ich habe eine Senatsverwaltung, die mich jetzt auch super intensiv einarbeitet. Wir besprechen die Themen miteinander im Dialog, klären und entwickeln neue Ideen. Und neben einem starken Stab habe ich natürlich auch zwei sehr starke Staatssekretäre: Sarah Wedl-Wilson, gebürtige Engländerin mit österreichischem Pass, die aus der Hochkultur kommt und dort sehr erfahren ist. Wir diskutieren jeden Tag die Themen, die hier auf dem Tisch kommen - von den verschiedenen Opernhäusern bis hin zu den Theatern. Und dann gibt es den anderen Kollegen, Oliver Friederici, der sich um gesellschaftlichen Zusammenhalt, also um Engagement und Demokratieförderung, kümmert und dort versucht, die Brücke zwischen Kultur und unserem gesellschaftlichen Engagement, was so wichtig ist, in einer Zeit, in der so vieles auseinanderdriftet, herzustellen. Das funktioniert nur mit einer guten Kommunikation. Das ist mir persönlich sehr wichtig.

rbbKultur: Sie haben mal gesagt, die Kultur sei der Kitt, der uns als Gesellschaft zusammenhält, sozusagen das moderne Lagerfeuer, um das wir uns versammeln, und haben ergänzt, dass es ja immer eine Stärke Berlins gewesen wäre, aus der Symbiose von scheinbar Gegensätzlichem etwas Neues zu entwickeln. Am Lagerfeuer sitzend: Was ist das erste Neue, was Sie uns bieten wollen?

Chialo: Ich bin nach zwei Wochen mitten im Prozess. Ich würde diesen Prozess gerne abwarten und abgestimmt mit den Kollegen, die mich in diesem Prozess begleiten, nach außen treten, um meine Schwerpunkte zu kommunizieren. Aber was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass es mir wahnsinnig wichtig ist, das Ganze, was hier in Berlin kulturell passiert, als Kulturnetzwerk zu denken. Indem wir nämlich die Außenbezirke und das, was in der Innenstadt passiert, nicht ausspielen und Gegensätze kreieren, sondern die Unterschiedlichkeit, die es auch in den Mentalitäten gibt, so sehen, wie sie sind und dort Brücken bauen zu den Menschen. Ich glaube, wenn es ein Ressort gibt, das das sehr gut und stabil umsetzen kann, dann ist es das Kulturressort. Dann geht es auch um das, was uns im Großen beschäftigt – um die Echokammern, die verhindern, dass Menschen zusammenkommen. Das können wir hier in Berlin im Kleinen umsetzen. Und daran zu arbeiten, habe ich eine unglaublich große Freude.

rbbKultur: Klingt so, als sei das für Sie der Traumjob, den Sie ergattert haben …

Chialo: Volles Rohr!

Das Gespräch führte Peter Claus, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte Fassung.