Holly-Jane Rahlens; © Heike Barndt
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Mitten ins Ohr (4/10) - Stimmen der Radiogeschichte: Holly-Jane Rahlens

Wenn sie im Radio zu hören waren, blieb nichts als hinzuhören. Eindringlich waren sie: ob samten, rauh, mit rollendem R, melancholisch warm oder heiser – diese Stimmen prägten das Radio. Sie kamen aus dem Feature und aus dem Feuilleton, aus dem Jazz, dem Jugend- und dem Frauenfunk und sie kommentierten das Zeitgeschehen. Michaela Gericke erinnert heute an Holly-Jane Rahlens.

"Unzufriedenheit war in den 60er Jahren die emotinale Grundstimmung einer ziemlich großen Minorität der amerikanischen Jugend. Man merkte, was faul war in der amerikanischen Gesellschaft. Rassendiskriminierung war nur ein Beispiel. Die Bürgerrechtsbewegung hat den Protestsängern viele Impulse gegeben."

Diese Stimme, dieser Akzent

Diese Stimme, dieser Akzent in der Sendereihe "Poesie des Rock". Auf der Straße vor unserem Haus in Berlin-Lichterfelde rannten jeden Morgen singend Truppen amerikanischer Soldaten der McNair-Kaserne vorbei. Und dann: Holly-Jane Rahlens im RIAS, also dem Rundfunk im amerikanischen Sektor. Sie beamte mich ins Land meiner Sehnsucht, dem ich zugleich sehr skeptisch gegenüberstand: Der Vietnamkrieg war noch nicht vorbei.

Holly-Jane Rahlens gehörte zu den kritischen Amerikanerinnen, machte 1974 Sendungen über Protestsongs, über Joan Baez, Bob Dylan und etliche andere, die mit ihrer Musik Frieden forderten.

Von New York zum RIAS

Holly-Jane Rahlens war der Liebe wegen 1971 in Berlin gelandet. Hier jobbte sie schon bald beim RIAS, wie sie sich 52 Jahre später erinnert:

"Im Schallplattenarchiv von 'RIAS Treffpunkt' habe ich angefangen – im Dezember '72. Die haben gedacht: eine Amerikanerin muss sich doch auskennen mit Rockmusik, die kann unsere Bibliothek betreuen. Ein Jahr später fing ich an, Interviews auf Englisch zu machen – und dann bin ich peu à peu Journalistin geworden."

In New York hatte sie Schauspiel und Literatur studiert. Nur ein Jahr später war sie schon im RIAS zu hören.

Holly-Jane Rahlens – ein Kind ihrer Zeit, sagt sie heute noch. Und ihr manches Mal voraus: 1976 zum Beispiel stellte sie in der Sendung "Die besondere Schallplatte" Buffy Sainte-Marie vor, Native American und Liedermacherin:

"... Buffy singt in 'Sweet America': 'Ich liebe Kalifornien, aber ich muss ansehen, wie es stirbt.'"

Eine weibliche unter vielen männlichen Radio-Stimmen

Fans hatte Holly-Jane Rahlens auch in Ost-Berlin. Dort gründete sich sogar eine Bürgerinitiative, die in einem Brief forderte, die Moderatorin weiter auf dem beliebtesten Sendeplatz am Sonnabend zu hören.

In den 70er Jahren arbeitet Holly-Jane Rahlens auch im Bildungsprogramm, sie ist eine gefragte Journalistin, die offenbar ganz leicht und ohne langen Vorlauf lauter bedeutende Leute vor ihr Mikrofon bekommt: Leonard Bernstein, Laurie Anderson, Shirley MacLaine, Patricia Highsmith. Und sie ist in dieser Zeit eine weibliche unter vielen männlichen Stimmen:

"Damals, als man auf die Idee gekommen ist, dass ich Moderatorin sein kann, war ich tatsächlich die Einzige. Da waren sonst vielleicht acht junge Männer, die moderiert haben."

Ich war sehr 'Frauen bewegt' - ich bin es immer noch! Aber ich war nicht die Einzige. Wir waren viele, die mit Energie im Hörfunk aktiv waren.

Aktivitstin der zweiten Frauenbewegung

Der Blick ins Archiv zeigt: in ihren Sendungen stellte sie vor allem Frauen vor. Es war die Zeit der zweiten Frauenbewegung, die in den USA begann und mit der Studentenrevolte auch in Europa angekommen ist:

"Frauen, das war immer mein Ding. Literatur - zum Beispiel Margret Atwood - und Musik: Patti Smith, Tina Turner - ich hab sie alle interviewt! Das war schon ziemlich irre."

Und sie hat sich mit der jüngeren deutschen Vergangenheit beschäftigt, mit Menschen, die den Terror des Nationalsozialismus erlebt hatten. Dass sie selbst Jüdin ist, spielte für Holly-Jane Rahlens in Amerika kaum eine Rolle - in Berlin wurde ihr das plötzlich viel mehr bewusst:

"In dem Moment bist Du Jüdin in Berlin oder in Deutschland. Du machst Dir Gedanken darüber. Da habe ich eine Sendung über die Dichterin Selma Merbaum-Eisinger gemacht, deren Gedichte erst Ende der 70er Jahre erschienen sind. Ich war sehr 'Frauen bewegt' - ich bin es immer noch, aber ich war nicht die Einzige. Wir waren viele, die mit Energie im Hörfunk aktiv waren."

Von der "Radio-Frau" zur erfolgreichen Schriftstellerin

Holly Jane Rahlens hat mit dem Beginn des Frauenmagazins "Zeitpunkte" 1979 im SFB auch für diese, am längsten bestehende, feministische Sendung innerhalb der ARD gearbeitet. Dann schrieb sie Hörspiele und Radioessays und ging schließlich zum Fernsehen.

Mittlerweile ist sie eine mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin. Heute sagt sie über ihre Radiozeit:

"Was ich gut fand: Alle haben Radio gehört. Radio war ein Medium, das unheimlich wichtig war. Ich vermisse es ehrlichgesagt manchmal, wenn ich Radio war und der Fleischer zu mir sagte: 'Ach, Frau Rahlens, ich hab' Sie heute Nachmittag gehört!'. Und irgendjemand, ein komplett fremder Taxifahrer hat mir gesagt: 'Sagen Sie mal, sind Sie das, diese Frau im Radio?'"

Michaela Gericke, rbbKultur

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