Die Debatte mit Natascha Freundel, Katja Makhotina und Grzegorz Rossoliński-Liebe -
"In Russland gibt es keine faschistische Kultur" Katja Makhotina
"Russland hat sich unter Putin zu einem klassischen faschistischen Staat entwickelt", schreibt der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew. "Putinismus ist kein purer Autoritarismus, er ist purer Faschismus", erklärt der US-amerikanische Russland-Historiker Michael Khodarkovsky. "Ein Faschist, der jemand anderen als Faschisten bezeichnet, ist umso mehr ein Faschist", so der US-amerikanische Osteuropa-Forscher Timothy Snyder. Spätestens seit Russlands Totalangriff auf die Ukraine steht ein Begriff zur Debatte, der für das 20. Jahrhundert reserviert schien. Hilft der Faschismus-Begriff, Putins Politik zu analysieren oder verstellt er den Blick? Was heißt "Nie wieder Faschismus" heute, gerade in Deutschland? Hält die Geschichte des Faschismus Lehren für die Gegenwart parat, für ein Ende des russischen Kriegs gegen die Ukraine?

Dr. Katja Makhotina, geboren 1982 in Sankt Petersburg, ist Osteuropahistorikerin und vertritt derzeit die Professur für Osteuropäische Geschichte an der Universität Bonn. Sie studierte Geschichte und Bohemistik in Sankt Petersburg, Karlsruhe, Regensburg und München. Von 2011 bis 2016 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Erinnerungskulturen in Russland und Ostmitteleuropa, die Geschichte Litauens im 20. Jahrhundert sowie Sozialgeschichte und Geschichte der Strafpraxis im frühneuzeitlichen Russland. Sie leitete mehrere internationale Projekte zu Erinnerungskulturen, u.a. mit der Gesellschaft "Memorial" und zur lokalen Erinnerung an die Opfer der NS-Gewalt in Deutschland. Kürzlich ist von ihr und Franziska Davies erschienen: "Offene Wunden Osteuropas. Reisen zu den Erinnerungsorten des Zweiten Weltkriegs" (wbg Theiss)
Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, geboren 1979 in Zabrze (Polen), ist Alfred Landecker Lecturer an der Freien Universität Berlin. Er hat an der Europa-Universität Viadrina studiert und an der Universität Hamburg promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Holocaust, ostmitteleuropäische Geschichte sowie die Geschichte des Antisemitismus, der Gewalt und des transnationalen Faschismus. Er war u.a. Stipendiat der Fondation pour la Mémoire de la Shoah, des Deutschen Historischen Instituts Warschau, des United States Holocaust Memorial Museum, des Yad Vashem International Institute for Holocaust Research und Honorary Research Fellow der Alexander von Humboldt Stiftung am Polnischen Zentrum für Holocaustforschung. 2014 erschient von ihm die erste wissenschaftliche Biographie des ukrainischen Politikers Stepan Bandera: "The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist: Fascism, Genocide, and Cult" (Ibidem-Verlag/Columbia University Press). 2021 ist sie in Kiew auf Ukrainisch und Russisch erschienen.
2 Kommentare
Vielen Dank für Ihre Frage!
Sicher haben Sie in der Sendung gehört, dass beide Experten meiner Aussage zustimmen, die heutige Ukraine habe nichts mit der Ukraine zu tun, die sich Banderas OUN vorgestellt hat. Gern füge ich ein Zitat aus einem Interview mit Grzegorz Rossolinski-Liebe hinzu: "Die Ukraine hat weder eine faschistische Regierung, noch bekennen sich die meisten Ukrainer zum Faschismus. Die Ukraine hat ein ähnliches Problem mit rechtsradikalen und neofaschistischen Gruppen und Parteien wie andere europäische Länder." (Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Das-Tragische-am-Bandera-Kult-ist-dass-Ukrainer-oft-nicht-wissen-wen-sie-eigentlich-verehren-6670655.html?seite=all)
Beste Grüße aus der Redaktion,
Natascha Freundel
Wie passt denn die Diagnose, dass der unaufgearbeitete Bandera-Kult der West-Ukraine die einzige faschistische Strömung der Ukraine sei, zu der Behauptung in sozialen Medien, die Asow-Bewegung im Osten sei faschistisch? Danke.