Besucher befestigen auf der documenta fifteen vor dem Museum Fridericianum ein Plakat mit der Aufschrift "My Art My Choice"; © dpa/Swen Pförtner
rbbKultur
Bild: dpa/Swen Pförtner Download (mp3, 65 MB)

Die Debatte mit Natascha Freundel, Bazon Brock und Heinz Bude - Documenta 15: Das Ende der Kunst, wie wir sie kannten?

"Wir müssen den Streit führen." Bazon Brock

Die Kunst ist tot. Es lebe die Kunst! Bazon Brock, "Künstler ohne Werk" und emeritierter Professor für Ästhetik, und der Soziologe Heinz Bude, Gründungsdirektor des Documenta Instituts, debattieren über Kunst und die Welt am Beispiel der umstrittenen Documenta Fifteen. Wo bleibt der Individualismus, wenn die Kunst Kollektiven überlassen wird? Wie sollten wir mit dem globalen Antisemitismus umgehen? Holt die Kunst bloß nach, was in Wissenschaft und Gesellschaft längst Alltag ist? Wird alles totalitär? Brock redet sich in Rage; Bude kontert kühl; die Moderation scheitert, vielleicht produktiv. "Kulturalismus verhindert jede Art von Vernunft", sagt Brock. Doch wie vernünftig ist diese Art der Polemik? Mit der hitzigsten Folge von "Der zweite Gedanke" verabschiedet sich die Redaktion in die Sommerpause.

Bude: "Es geht hier um zwei wirklich interessante Punkte, nämlich einerseits um die Frage, ob wir hier eine andere Kunstauffassung haben, die sich dezidiert -"

Brock: "In den Ländern gibt’s keinen Kunstbegriff!"

Bude: "Warten Sie mal. Das ist die eine Frage, die wir stellen müssen. Daher geht es sehr um die Frage der exemplarischen Subjektivität der künstlerischen Person."

Brock: "Das gibt es in den Ländern, Kulturen nicht! Die Kulturen sind hoch entwickelt. Die Chinesen, die Ägypter, die Griechen, die Römer, alle waren hochleistungsfähige Kulturen. Und trotzdem kannten sie den Begriff Kunst und Künstler nicht."

Bude: "So ist es."

Brock: "Na eben! Und da muss man das anerkennen und sagen: Donnerwetter, wir lernen jetzt aus dem Westen eine Position, die wir jetzt auch alle erreichen wollen."

Heinz Bude (© Dawin Meckel) und Bazon Brock (© Norbert Miguletz)
Bild: Dawin Meckel | Norbert Miguletz

Gäste

Heinz Bude, geboren 1954 in Wuppertal, ist seit 2000 Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel und seit dem Oktober 2020 dort Gründungsdirektor des documenta-Instituts. Er hat zur Wirkungsgeschichte der Flakhelfer-Generation an der FU Berlin promoviert und sich 1994 mit einer Arbeit über die Herkunftsgeschichte der 68er Generation habilitiert. Von 1992 bis 2014 arbeitete er am Hamburger Institut für Sozialforschung und leitete den Arbeitsbereich "Die Gesellschaft der Bundesrepublik". Er hat u.a. über die „Generation Berlin“ geschrieben (Merve 2001), über „Die Gesellschaft der Angst" (Hamburger Edition 2014), über "Die Macht von Stimmungen" ("Das Gefühl der Welt, Hanser 2016) und über "Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee" (Hanser 2020). Mit Bettina Munk und Karin Wieland schrieb er den Roman "Aufprall" über West-Berlin in den 80er Jahren (Hanser 2020).

Bazon Brock, geb. 1936 in Stolp/Pommern, Denker im Dienst und Künstler ohne Werk, ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Universität Wuppertal. Er lehrte zuvor an der Universität für angewandte Kunst in Wien und der Hochschule für bildende Künste Hamburg. 1992 erhielt er die Ehrendoktorwürde der TH Zürich und 2012 die Ehrendoktorwürde der HfG Karlsruhe. In den 60er Jahren entwickelte er die Methode des "Action Teaching", bei dem der Seminarraum zur Bühne für Selbst- und Fremdinszenierungen wird. Von 1968 bis 1992 führte er in Kassel die von ihm begründeten documenta-Besucherschulen durch. Von 2010 bis 2013 leitete er das Studienangebot "Der professionalisierte Bürger" an der HfG Karlsruhe. Gemeinschaftsaktionen mit Joseph Beys, Nam June Paik u.a. gehören zu seinen rund 3000 Veranstaltungen und Aktionslehrstücken; zuletzt „Lustmarsch durchs Theoriegelände“ (2006, in elf Museen). Er repräsentiert das "Institut für theoretische Kunst, Universalpoesie und Prognostik" und ist Gründer der "Denkerei/ Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand" mit Sitz in Berlin.

Podcast abonnieren

Podcast | Der zweite Gedanke © rbbKultur
rbbKultur

Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier wird nicht nur debattiert, hier wird auch zusammen nachgedacht. Über alles, was unser Miteinander betrifft. Bildung, Digitalisierung, Demokratie, Einsamkeit, Freiheit, Klima, Kultur, Städtebau, Visionen - die Themen liegen in der Luft, nicht erst, aber besonders deutlich seit der Corona-Pandemie. Jede Folge widmet sich einer Frage unserer Zeit. rbbKultur-Redakteurin Natascha Freundel spricht jeweils mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch, aber nie abgehoben. Persönlich, aber nicht privat. Kritisch und konstruktiv. Hier soll es nicht knallen, sondern knistern. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Kommentarfunktion zum Kommentieren von Beiträgen.

4 Kommentare

  1. 4.

    Liebe Frau Kirchner, vielen Dank für Ihre Kommentare! Diese Folge von "Der zweite Gedanke" polarisiert wie keine andere bisher. Die Reaktionen - auch per Mail und über Social Media - zeigen, dass sowohl Bazon Brocks Äußerungen als auch meine Moderation heftige Zustimmung oder Ablehnung hervorrufen können. Die Debatte hat einige Unter- und Obertöne. Tatsächlich war ich dem rhetorischen Furor von Bazon Brock nicht ganz gewachsen. Doch ich hätte ihn nicht eingeladen, wenn ich seine Thesen nicht bemerkenswert fände. Wir wiederholen die Debatte am 22. September: Zum Abschluss der documenta15 noch einmal wichtige und wuchtige Einwürfe von Bazon Brock.

    Danke sehr, dass Sie uns gewogen bleiben!

    Herzliche Grüße,
    Natascha Freundel

  2. 3.

    Teil 2:
    Dann wurde Herr Brock auch noch von Frau Freundel falsch zitiert und paraphrasiert. Auch jemandem, der sich aufregt, kann man zuhören und ernst nehmen. Sie fühlt sich nicht ernst genommen, sagt die Moderatorin und fragt dann unmotiviert, was besonders auf der Documenta gefallen hat? Ich finde, Frau Freundel hätte besser zuhören, sich besser vorbereiten können, andere Sendungen waren durchaus besser. Ein Tipp: Niemals in die Opferrolle gehen und niemals einen Gast "auslächeln". Empfand dies sehr unangenehm beim Zuhören. Fand es toll, wie leidenschaftlich Herr Brock ist! Man muss ja nicht seine Meinung teilen. Finde es nicht so gut, dass die Moderatorin im Abspann am Ende das letzte Wort hatte und Herrn Brock so bezeichnete, wie sie ihn bezeichnete.
    Ich freue mich dennoch auf die kommenden Sendungen und werde weiterhin zuhören.

  3. 2.

    Nachdem ich vor kurzem auf der Documenta war und mir selbst eine Meinung bilden konnte, habe ich mir nun Ihre Sendung angehört. Es war meine zweite Documenta (nach 2017); die Geschichte der Documenta konnte ich sehr gut in Kassel in einer Sonderausstellung in der Neuen Galerie und (weniger gelungen) im DHM Berlin anschauen.

    Nun zu Ihrer Sendung: Sprechen zwei weiße alte Männer darüber, was Kunst und Documenta eines indonesisches Kuratorenkollektivs ausmachen. Schwer auszuhalten. Wieso schreit die Moderatorin dazwischen, wenn Herr Brock etwas sagt? Ist das ein neuer Moderatorinnenstil? Zuhören wäre angebracht! Dass Herr Brock unterbricht, geschenkt, aber bitte nicht seitens der Moderation. Wieso wird viele lange Minuten diskutiert, ob es Antisemitismus überhaupt noch gibt, dies empfinde ich unerträglich. Geschwafel ohne Ende. Herabfällig geht Frau Freundel auf Brock ein, arrogant aus- und weggelächelt. Obwohl Herr Bude ihm mehr Recht gab als sie vielleicht vermutete.

  4. 1.

    Liebe Moderation Natascha Freundel,
    NEIN, Sie sind nicht gescheitert. Es war fabelhaft, das Streitgespräch. Mehr davon. Und von Scheitern kann m.M. nach keine Rede sein. Wenn Sie vor hatten, einen gemütlichen Konsens mit Bazon Brock herbeizuführen, dann ja. Aber das kann doch wirklich nicht Ihre Absicht gewesen sein. Der Mann ist so wichtig für unsere Nabel-Zentriertheit. Er weist uns darauf hin, dass wir uns hier in Mitteleuropa (ja auch "meine" Schweiz gehört dazu) immer wieder gut fühlen wollen und alles tun, damit wir die offen sichtlichen Fehlentwicklungen nicht an uns heranlassen. Brock holt uns da raus.
    Eine Super-Sendung. DANKE dass Sie das augehalten haben. Sie sind nicht gescheitert!

Mehr

Podcast | Der zweite Gedanke © rbbKultur
rbbKultur

18. Juni - 25. September 2022 - documenta fifteen

Die documenta gilt als der wichtigste Gradmesser der Kunst weltweit. Erstmals seit ihren Anfängen 1955 wird die "Weltkunstausstellung" in diesem Jahr von einer Gruppe verantwortet: der Künstler:innengruppe Ruangrupa aus Indonesien. Dass sie vieles anders machen würden, zeichnete sich schon lange ab. Aber es gab auch schon lange Antisemitismus-Vorwürfe. Berichte und Interviews zur diesjährigen Kunstschau. Unsere Webdoku beleuchtet Nazi-Verstrickungen, Politik und Skandale der documenta seit 1955.