Blick in den leeren im Plenarsaal im Bundestag. Die Ampelkoalitionen will mit einer Wahlrechtsreform das Parlament künftige mit einer Höchstzahl an Abgeordneten in seiner Größe beschränken. © dpa/Michael Kappeler
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Silke Ruth Laskowski und Robert Vehrkamp - Wahlrecht – frei und gleich?

"Die Politik hat immer dann Angst vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn sie Angst haben will." Silke Ruth Laskowski

"Wir werden innerhalb des ersten Jahres das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das
Anwachsen des Bundestages zu verhindern." Das Versprechen im Koalitionsvertrag der Ampelregierung von 2021 soll nun eingelöst werden. Besser spät als nie, gilt doch der Bundestag heute als größtes frei gewähltes Parlament der Welt; somit als besonders teuer und besonders handlungsunfähig. Seit Jahren wird über eine Wahlrechtsreform debattiert, jetzt soll es ganz schnell gehen: der Gesetzentwurf der Regierungsparteien wurde am Montag dieser Woche vorgelegt und soll am Freitag abgestimmt werden. Union und Linke drohen mit Verfassungsklagen. Ein Aspekt des Wahlrechts, von dem im Koalitionsvertrag auch die Rede ist, gerät dabei völlig aus dem Blick: "die paritätische Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament".

Wir brauchen dringend eine paritätische Ergänzung, die dafür sorgt, dass die gleichmäßige Besetzung des Deutschen Bundestages mit Frauen und Männern erreicht werden kann. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge, die in der Reformkommission eingebracht und diskutiert wurden. Die Vorschläge, die effektiv das Ziel erreicht hätten, wurden regelmäßig pauschal mit dem Einwand vom Tisch gefegt, das sei alles verfassungswidrig, und man wolle nicht riskieren, dann in Karlsruhe zu unterliegen. Erstaunlicherweise, bei dem jetzt vorliegenden Entwurf zur Reduktion der Mandate des Bundestages, hat sie überhaupt keine Angst, dass hier eine Klage in Karlsruhe eingereicht wird. Die Politik hat immer dann Angst vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn sie Angst haben will. Aber das ist auch in Bezug auf die Parität nicht begründet.

Silke Ruth Laskowski

Ich würde uns allen dringend raten, rhetorisch wieder abzurüsten und auf diese Terminologie von 'Wahlbetrug' und 'Attacke auf die Demokratie' zu verzichten. Das ist absurd und beschädigt die Demokratie mehr als alles andere. Man kann ja über Wahlrecht streiten, aber man sollte sich an ein paar Spielregeln halten. Das gilt auch für die CSU, die über Jahre hinweg eine effiziente, wirksame Wahlrechtsreform verhindert hat. Die immer wieder Vorschläge gemacht hat, die einseitig die eigene Partei bevorzugt hätte. Der ursprünglich vorgelegte Entwurf der Ampelkoalition ist effizient, gerecht und fair. Er beteiligt alle Parteien in genau dem selben Verhältnis an der Reduktion der Mandate im Deutschen Bundestag. Die Grundmandatsklausel halte ich aber auch für sehr unglücklich und glaube nicht, dass da schon das letzte Wort gesprochen ist.

Robert Vehrkamp
Silke Ruth Laskowski (© privat) und Robert Vehrkamp (© Thomas Kunsch)
Silke Ruth Laskowski und Robert Vehrkamp | Bild: privat | Thomas Kunsch

Gäste

Silke Ruth Laskowski, Jahrgang 1965, ist seit 2009 Professorin für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Universität Kassel. Zu ihren Schwerpunkten zählt neben dem Umweltrecht das Gleichstellungsrecht und das Wahlrecht. 2021 wurde sie Sachverständige und Mitglied der Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit (für den 19., nun für den 20. Deutschen Bundestag). Sie war Prozessvertreterin in Verfahren zum paritätischen Wahlrecht vor den Verfassungsgerichten in Bayern (2016/2018) und Thüringen (2020) sowie dem Bundesverfassungsgericht (2019/2020). Sie ist Verfahrensbevollmächtigte der Wählerinnen und Wähler, die wegen der Unterrepräsentanz von Parlamentarierinnen im Deutschen Bundestag gegen die Bundestagswahlen 2017 und 2021 Einspruch eingelegt haben.

Robert Vehrkamp, Jahrgang 1964, ist Senior Advisor im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung, und war Gastwissenschaftler der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Derzeit ist er Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft an der Leuphana Universität in Lüneburg. Davor forschte und lehrte er u.a. an der Universität Witten/Herdecke und an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Wahlforschung, besonders die soziale Selektivität der Wahlbeteiligung. Er ist Mitautor mehrerer Stiftungsstudien, u.a. „Populismusbarometer“ (2018 und 2020), “Besser als ihr Ruf” (2019), „Europa hat die Wahl“ (2019). Von Dezember 2021 bis Juli 2022 war er als Experte in der Kommission Wahlen in Berlin tätig. Seit April 2022 ist er Sachverständiger der Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit.

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Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier geht es um alles, was unser Miteinander betrifft: Bildung, Demokratie, Freiheit, Klima, Städtebau - Themen und Fragen unserer Zeit. rbbKultur-Redakteurin Natascha Freundel spricht mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch und persönlich. Kritisch und konstruktiv. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.