Flüchtlinge an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien © picture alliance/ ZUMA Press/ Michael Bunel
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Wiebke Judith und Ruud Koopman - EU-Asylpolitik: Realität und Reform

"Wir müssen Migration neu denken." (Wiebke Judith)

"Wir helfen allen, die es über die europäischen Grenzen schaffen." Wir helfen niemandem, der es nicht nach Europa schafft, "ganz unabhängig davon, ob er Schutz benötigt oder nicht". Das nennt Ruud Koopmans "die Asyl-Lotterie" und "das tödlichste Migrationssystem der Welt". Der Berliner Migrationsforscher schlägt eine grundlegende Reform vor, die über das geplante Migrations- und Asylpaket der EU hinausgeht: "ungewollte, ungesteuerte Zuwanderung" durch "gewollte, gesteuerte Zuwanderung" zu ersetzen.

Eine "Koalition der willigen" EU-Staaten solle Asyl-Kontingente für die Schutzbedürftigsten einrichten. Weitere Asylanträge und -verfahren blieben Drittländern überlassen: nähme etwa Senegal Asylbewerber auf, die in der EU abgelehnt wurden, würde die EU dafür Senegalesen als Arbeitsmigranten aufnehmen. - Eine "realistische Utopie" oder eine "Gefahr völkerrechtswidriger Abschiebungen", wie PRO ASYL warnt? Deren rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith erklärt, dass die EU-Asylgesetze nicht geändert, sondern Menschenrechte eingehalten werden müssten.

Was ich vorschlage, ist eine 'Koalition der Willigen' innerhalb der EU. Diese müsste aus den Ländern bestehen, wo die meisten Flüchtlinge hinwollen und auch meistens hingehen. Deutschland vor allem, aber auch die skandinavischen Länder, Niederlande, Österreich. Natürlich müsste man auch möglichst die drei großen Mittelmeer-Anrainerstaaten einbeziehen. Zumindest Italien, momentan das wichtigste Ankunftsland von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen. Die zentrale Mittelmeerroute ist auch die tödlichste. Und diese 'Koalition der Willigen' sollte dann mit verschiedenen Drittstaaten sprechen, über die Durchführung von Asylverfahren. Über Kontingentaufnahmen, über Arbeitsmarktkontingente und so weiter. Man muss dafür sorgen, dass man zwei, drei, vier von solchen Drittstaaten hat, mit denen man kooperiert, sodass man nicht von einem abhängig ist.

Ruud Koopmans

Ich finde, das ist eine super problematische Scheinlösung, als müssten wir uns gar nicht mehr einigen. Aber wir müssen uns einigen. Und Europa muss auch zu seinen Werten zurückzufinden. Denn das, was an den Grenzen passiert, da geht es nicht nur um Flüchtlinge, da geht es auch um uns. Und ehrlich gesagt: Es ist wirklich schlecht bestellt um europäische Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte oder überhaupt noch Menschenwürde. Das ist der Kampf, den müssen wir führen, der ist nicht einfach, da ist natürlich auch die gesamte europäische Zivilgesellschaft gefragt und ist da dran. Aber es ist nicht dadurch getan, dass wir sagen, andere Drittstaaten sollen 'die Drecksarbeit' für uns machen.

Wiebke Judith
Wiebke Judith (© PRO ASYL) und Ruud Koopmans (© David Ausserhofer)
Wiebke Judith und Ruud Koopmans | Bild: PRO ASYL | David Ausserhofer

Gäste

Wiebke Judith ist Rechtspolitische Sprecherin und Teamleiterin Recht & Advocacy bei PRO ASYL. Sie arbeitet in dieser Aufgabe zum deutschen und europäischen Asylrecht. Zu ihrer Arbeit gehört die Analyse und Kommentierung der Gesetzgebung, aktueller flüchtlingspolitischer Entwicklungen und neuer Rechtsprechung. Von 2015 bis 2017 arbeitete sie als Referentin für Asylpolitik bei Amnesty International. Sie hat in Leiden und Bremen Rechtswissenschaften mit einem Fokus auf europäische und internationale Menschenrechte studiert.

Ruud Koopmans, 1961 in Uithoorn/Niederlande geboren, ist Direktor der Forschungsabteilung "Migration, Integration und Transnationalisierung" am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung und Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2003 bis 2010 war er Professor für Soziologie an der Freien Universität von Amsterdam (VUA). 2019 erschien sein Buch "Das verfallene Haus des Islam". Sein neuestes Buch heißt "Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukrainekrieg" (beide C.H. Beck).

 

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