Zukunft Einheit: Innerdeutsche Perspektiven mit Steffen Mau, Katja Hoyer, Dirk Oschmann und Natascha Freundel © Charlotte Kunstmann
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Katja Hoyer, Steffen Mau und Dirk Oschmann - Zukunft Einheit: Innerdeutsche Perspektiven

Koproduktion mit dem 23. Internationalen Literaturfestival Berlin

"Der Osten, eine westdeutsche Erfindung", "Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR" und "Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft" – um diese Bestseller und ihre Wirkung ging es am 11. September beim 23. Internationalen Literaturfestival Berlin. Der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann, die Historikerin Katja Hoyer und der Soziologe Steffen Mau saßen zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Im großen, fast ausverkauften Saal im Haus der Berliner Festspiele. Wir haben das Streitgespräch für den "Zweiten Gedanken" aufgezeichnet.

Wenn der Westen sich selber kontinuierlich als Norm begreift und den Osten als Abweichung oder als etwas, was gar nicht vorzukommen hat, dann ist es ein dauerhaftes Problem für das gesellschaftliche Selbstverständnis und für den Zusammenhalt in der Demokratie.

Dirk Oschmann

Ich habe schon versucht, zwischen verschiedenen Zeiträumen, verschiedenen Themen und Aspekten des Lebens in der DDR auszubalancieren. Und ich wollte nicht hinter jedem Satz ein 'aber' setzen, ob der erste Teilsatz positiv oder negativ war, um das dann wieder auszubalancieren.

Katja Hoyer

Ich glaube, eine kritische Sicht auf die DDR durch ehemalige DDR-Bürger selbst ist eigentlich das, was noch überhaupt nicht existiert. Es gibt ja die These, die viele Leute teilen, dass unserer Aufarbeitung so etwas fehlt wie ein 68. Wo man mit einer bestimmten historischen Distanz auch noch mal die Eltern und die Großeltern befragt: Was habt ihr eigentlich gemacht? So eine inner-ostdeutsche Verständigung hat nicht stattgefunden.

Steffen Mau
23. ilb | Zukunft Einheit: Innerdeutsche Perspektiven mit Steffen Mau, Katja Hoyer, Dirk Oschmann und Natascha Freundel © Charlotte Kunstmann
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Gäste

Steffen Mau, geboren 1968 in Rostock, ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt sind von ihm erschienen: "Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen" (2017) und „Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“ (2019). In seinem Buch "Sortiermaschinen“ beschreibt er die Filterfunktion von Grenzen im Zeitalter der Globalisierung. Mau wurde 2021 mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat für Migration und Jurymitglied zur Standortentscheidung des Zentrums für Deutsche Einheit und Europäische Integration. Demnächst erscheint sein neues Buch: "Triggerpunkte - Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft" bei Suhrkamp (mit Thomas Lux und Linus Westheimer).

Katja Hoyer, geboren 1985 in Guben und aufgewachsen in Strausberg, ist Fellow für German Studies am King’s College in London und Fellow der Royal History Society. Sie hat Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena studiert und kommentiert das Zeitgeschehen und die Geschichte regelmäßig für die Washington Post, die BBC, den Telegraph und den Spectator. Ihr erstes Buch, "Blood and Iron - The Rise and Fall of the German Empire 1871 - 1918", erschien 2021 und wird derzeit ins Deutsche übersetzt. Ihr Buch "Beyond the Wall - East Germany 1949 - 1990" erschien im Mai in der deutschen Übersetzung von Henning Dedekind und Franka Reinhart mit dem Titel „Diesseits der Mauer - Eine neue Geschichte der DDR 1949 – 1990“ (Hoffmann und Campe).

Dirk Oschmann, geboren 1967 in Gotha, ist seit 2011 Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Leipzig. Er studierte in Jena Germanistik, Anglistik und Amerikanistik auf Lehramt, hat über Siegfried Kracauer promoviert und sich mit einer Arbeit über Lessing, Schiller und Kleist habilitiert. Forschungsreisen und Gastprofessuren führten ihn an Universitäten in den USA und Großbritannien. Sein Bestseller „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ (Ullstein 2023) geht auf seinen Artikel in der FAZ "Wie sich der Westen den Osten erfindet" (4.2.2022) und die darauffolgenden Reaktionen zurück.

Kommentar

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7 Kommentare

  1. 7.

    Vielen Dank für Ihren Kommentar, Herr Jeske! Es wäre sicherlich besser gewesen, zunächst über den jeweils im Titel formulierten Anspruch und den Inhalt der Bücher zu sprechen.

  2. 6.

    Die Moderatorin hat beide Herren gebeten, das Buch von Frau Hoyer zu beurteilen (im Falle von Herrn Mau offenbar unter möglichst häufiger Verwendung des Wortes "Diskurs") und dieses auch selbst beurteilt. Den Teil, in dem Frau Hoyer im Gegenzug die Arbeit der Herren beurteilen soll bzw. darf, oder die Arbeit der Moderatorin, den habe ich wohl überhört. Wobei sie es natürlich auch gar nicht nötig hat, die Arbeit anderer "kritisch zu dekonstruieren."

    Schön wäre es, wenn insbesondere Mau sich (und anderen) eingestehen könnte, dass Hoyer genau einen solchen Beitrag zu einer vielfältigen, vielstimmigen Auseinandersetzung geschrieben hat, der er sich wünscht. Zu keinem Zeitpunkt beansprucht Hoyer, die endgültige oder alleinseligmachende DDR Geschichte verfasst zu haben - im Gegenteil, sie regt ausdrücklich weitere Auseinandersetzungen an. In diesem Sinne kann man den "kritischen Stimmen" nur zurufen: Mach mit, mach's nach, mach's besser.

  3. 4.

    Nun höre ich auf, denn die Diskussion ist auch zuende:

    Aber ja, Frau Freundel,
    eine Wahrheits- und Versöhnungskommission würde ich auch für eine sehr gute Idee halten. Denn auch, wenn die sozialen Verhältnisse in Südafrika, dem Vorbild dafür, sich leider heute nicht verbessert haben, so war es doch immens wichtig, dass Verbrechen ans Licht kamen und ehemalige Feinde und Gegner einander zuhörten. Sonst hätte man vielleicht gar nicht mehr miteinander in der Zivilgesellschaft des Landes Südafrika Leben können.

    In Deutschland wurde seit langem viel zu Vieles unter Teppiche gekehrt. Unsere Zivilgesellschaft droht darüber wohl auch oft auseinanderzubrechen, ebenso wie über der "Unfähigkeit zu trauern" (Margarethe Mitscherlich). Es sind schreckliche Dinge geschehen, und vielleicht führt nur der Weg, sie zu betrauern, auch dazu, eigene Verantwortung eingestehen zu können und irgendwie doch wenigstens wieder miteinander reden zu können.

  4. 3.

    Danke, Steffen Mau, für fachlich fundierte Beiträge und differenzierte Sicht!
    Danke, Frau Freundel, für das stetige und souveräne Nachfragen unter Nennen von Fakten!

  5. 2.

    Nochmals möchte ich auf die erste wichtige Stimme der " Ost-68iger" hinweisen:
    Anne Rabe, "Die Möglichkeit von Glück", auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

    Dieser Roman stellt die wichtigen Fragen schonungslos, leider hat das ilb aber Anne Rabe ignoriert.

    Ich habe nichts mit dem Literaturbetrieb und auch gar nichts mit Frau Rabe zu tun, sondern bin in den 70ern und 80ern in einer mittelgroßen Stadt der DDR aufgewachsen.

  6. 1.

    Die erste wichtige Stimme der " Ostdeutschen 68er", die ihre Eltern und Großeltern zu ihrer Rolle in der DDR befragt, ist der für den Deutschen Buchpreis 2023 auf der Longlist nominierte Roman "Die Möglichkeit von Glück" von Anne Rabe. Hätte man diese Autorin nicht schlicht ignoriert, sondern eingeladen, hätte man sich diese ganze Diskussion sparen können bzw. wäre überhaupt erst in einen fruchtbaren Austausch eingetreten.

    Die Bücher von Oschmann und Hoyer hingegen sind beide mehr als einseitig in ihrer DDR-Nostalgie und bringen keinen Erkenntnisgewinn. Dafür muss man schon dahin, wo es wirklich wehtut, und das wollen die in der DDR privilegiert Gewesenen genauso wenig wie die Privilegierten und Täter anderer historischer Zeiten in Deutschland.