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Der Literaturpodcast von rbbKultur und dem Literarischen Colloquium Berlin
Am Mikrofon: Anne-Dore Krohn

Es war dieser eine Satz, mit dem die amerikanische Autorin Sigrid Nunez ihr Debüt begann: "Zum ersten Mal hörte ich meinen Vater in Coney Island Chinesisch sprechen." Der chinesisch-panamaische Vater, über den sie so wenig wusste, der zuhause meistens schwieg, unterhielt sich auf einmal angeregt mit einigen anderen Chinesen. Und die Tochter stand dabei und staunte.
Sigrid Nunez, geboren 1951 in New York City, hatte schon viele Jahre geschrieben, als ihr DebÜt "A breath on the feather of god" 1995 herauskam, da war die Autorin über 40. Es war wichtig, erzählt sie, zuerst über ihre Eltern zu schreiben, sie habe erst ein gewisses Maß an emotionalem Gepäck verarbeiten müssen, bevor sie sich anderen Themen zuwenden konnte. Als Dozentin für Kreatives Schreiben unterrichtet sie inzwischen am liebsten ein Seminar mit dem Titel "Leben und Geschichte", in dem sie den Studierenden die vielen Möglichkeiten des autobiografischen Schreibens aufzeige.
"Die Studierenden haben oft den falschen Eindruck: Sie denken, sie müssten Memoiren oder eine Autobiographie schreiben, wenn sie über ihre Familie oder ein bestimmtes Erlebnis schreiben wollen, obwohl es so viele Möglichkeiten gibt, wie Menschen ihre Lebensgeschichte oder einen Teil ihrer Lebenserfahrungen in ihr Werk einfließen lassen können."
Mit ihren Büchern über Susan Sontag ("Sempre Susan"), "Der Freund" und "Was fehlt Dir?" wurde Sigrid Nunez international bekannt, "Der Freund" wurde in 30 Sprache übersetzt. Dennoch hat sich ihr Leben seither nicht dramatisch verändert, auch nicht seitdem "National Book Award", den sie 2018 für "Der Freund" bekam. "Ich denke, wenn man so viel älter ist und bereits publiziert hat, ist es kein so großer Einschnitt", sagt sie.
Ihr Debüt "Eine Feder auf dem Atem Gottes" wurde nun von Anette Grube erneut ins Deutsche übertragen. Sigrid Nunez hat die Übersetzung auf Deutsch Korrektur gelesen. Deutsch hat sie erst als Erwachsene gelernt, obwohl ihre Mutter, auch darüber schreibt sie in ihrem Debüt, eine Schwäbin war. Als der Vater 1945 als Soldat nach Deutschland kam, lernten sie sich kennen. Eine ominöse Liebesgeschichte, denn eine gemeinsam gesprochene Sprache hatten sie nicht: Er, der Sohn eines Chinesen und einer Panamaerin, konnte nur sehr gebrochen Englisch, und sie hatte nur sehr wenig Englisch in der Schule gelernt. Sie ging mit ihm in die USA, das Paar bekam drei Kinder. Doch sie vermisste Deutschland, und auch die Ehe war keine gute.
"Ich glaube, als ich jünger war, wollte ich nicht über sie und ihre Ehe nachdenken", sagt Sigrid Nunez, "weil es eine gescheiterte, unglückliche Ehe war". Erst später kam das Bedürfnis, den Leben ihrer Eltern nachzuspüren und über sie schreiben. Über den schweigenden Vater, der schwer arbeitete und sich zuhause aus allem heraushielt. Und über die Mutter, die im Buch "Christa" heißt, die hervorragend Englisch lernte, aber Deutsch für die schönere Sprache hielt - ihren Kindern aber dennoch kein Deutsch beibrachte.
"Ich bin zu einem Viertel Chinesin und zur Hälfte Deutsche, aber unser Haushalt war ein komplett deutscher Haushalt. Meine Mutter wollte das Deutsche nicht aufgeben, obwohl sie in New York City lebte. Sie mochte die Amerikaner nicht. Sie mochte ihre Art nicht, sie mochte eigentlich niemanden außer den Deutschen. Sie wollte, dass wir deutsche Manieren lernen. Aber sie hat uns die Sprache nicht beigebracht!"
Sogar die ersten Bücher, die Sigrid Nunez als Kind von ihrer Mutter vorgelesen bekam, waren deutsche Bücher: Grimms Märchen, aber auf Englisch. "Eine Feder auf dem Atem Gottes" beschreibt solche Szenen aus Nunez Kindheit. Sie erzählt, wie sie sich als junges Mädchen vollkommen dem Ballett verschrieb, und zeichnet eine prägende Liebesgeschichte mit einem russischen Einwanderer nach, dessen Englischlehrerin sie war. Es ist eine kluge literarische Spurensuche, die sich mit Schweigen und Verschweigen, Sprechen und Sprache beschäftigt. Und auch wenn vieles literarisiert ist, zeigt dieses Debut doch die Anfänge dieser Autorin und lässt einen nachvollziehen, wie sie zu der wurde, die sie heute ist.
Anne-Dore Krohn, rbbKultur
Anne-Dore Krohn hat Sigrid Nunez diesen Sommer in New York getroffen und für "weiter lesen" mit ihr über ihr Schreiben, ihre Familie und das Leben in New York gesprochen.