Herthas Niederlage gegen Hamburg in der Analyse - Rasentennis mit Frustpotential

So 04.02.24 | 09:28 Uhr
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Tennisbälle im Olympiastadion
Audio: rbb24 Inforadio | 03.02.2023 | Philipp Höppner | Bild: dpa/Eibner-Pressefoto/ Claudius Rauch

Es war ein Spiel, über das noch lange gesprochen werden wird. An den sportlichen Leistungen beider Mannschaften lag das jedoch weniger. An der von Hertha BSC sogar ganz bestimmt nicht. Für die Berliner könnte es deshalb gefährlich werden. Von Ilja Behnisch

"Leben, um davon zu erzählen", heißt ein Buch von Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez. "Fußball, um davon zu erzählen", wäre aber genauso gültig. Denn unter uns, wer erinnert sich schon an sonderlich viele Resultate? Im Fußball wie im Leben geht es um besondere Ereignisse und große Emotionen, mehr als um schnöde Arithmetik. Weshalb vom 2:1-Erfolg des Hamburger SV bei Hertha BSC noch lange erzählt werden dürfte.

Bezeichnend für die Situation der Berliner ist dabei, dass das Spiel wohl kaum wegen seiner ganz adretten Tore oder überhaupt wegen irgendetwas Sportlichem erinnert werden wird. Sondern einzig und allein für die mehr als 30-minütige Unterbrechung in der zweiten Halbzeit. Hervorgerufen durch immer noch ein paar Tennisbälle, die aus Fan-Wut über die DFL aus der Ostkurve des Olympiastadions auf den Rasen geworfen wurden.

In der ersten Halbzeit hatte bereits die Gästekurve für eine kurze Spielunterbrechung gesorgt. Allerdings gingen dem Hamburger Anhang die gelben Filzkugeln alsbald aus. Rund um jene 25. Minute ließ sich aus Hertha-Sicht immerhin einwandfrei konstatieren: Endlich mal was los im HSV-Strafraum. Womöglich war es gar die bis dato erstaunlichste sportliche Leistung des Abends überhaupt. Schließlich ist das Olympiastadion mit einer Rundum-Laufbahn gesegnet, die gut und gern als Start- und Landebahn für mindestens mal mittelgroße Flugzeuge dienen könnte. Die Speerwurf-Nation Deutschland durfte also stolz sein auf diesen Abend in Berlin. Offenbar verfügen viele deutsche Fußball-Fans über gehörig Armzug.

Wie Betriebsschluss in Sargleben

Ansonsten war der Strafraum des HSV aber augenscheinlich zur verbotenen Zone erklärt worden. Hertha jedenfalls näherte sich dem gegnerischen Tor allenfalls zaghaft. Torschussversuche blieben hingegen gänzlich aus. Weil die Berliner es gegen den Ball allerdings zugleich ordentlich machten, ergab sich ein Spiel, welches zumindest in der ersten Halbzeit ungefähr so unterhaltsam war, wie die Observation der Bushaltestelle Sargleben nach Betriebsschluss.

Pal Dardai hatte seine Mannschaft im Gegensatz zum enttäuschenden Pokal-Aus gegen den 1. FC Kaiserslautern wieder mit einer Viererkette auf das Feld geschickt. Interessanter Kniff dabei: Gegen den Ball rückte die hängende Spitze Florian Niederlechner auf die Sechser-Position, während der eigentliche Sechser Andreas Bouchalakis auf die Zehner-Position wechselte. In Tateinheit mit einer dichten Staffelung der einzelnen Ketten, die Pressing erst ab der Mittellinie vorsah, hielt die Hertha das Zentrum und damit die spielstarken, zentralen HSV-Akteure Laszlo Benes und Immanuel Pherai in Schach.

Großes Tennis geht anders

Mit Ball sollte das Wohl in schnellen Umschaltaktionen über die Außen gesucht werden. Dabei agierten die Flügelstürmer Palko Dardai und Marten Winkler invers, also seitenverkehrt zu ihrem eigentlich starken Fuß. Nach innen ziehen und abschließen blieb allerdings blau-graue Theorie. Nun steht der aktuelle HSV im Fußball-Lexikon nicht gerade unter Synonym für sattelfest, weshalb die Hertha, sobald sie einmal zwei Direktpässe auf außen aneinander reihen konnte, sofort mächtig Raumgewinn verzeichnen konnte. Das allerdings war exakt zweimal der Fall und ohne Folgen. Wie schon gegen Kaiserslautern blieb das Offensiv-Spiel der Berliner insgesamt eine Absichtserklärung, die in vielen, früh unterbundenen Einzelaktionen mündete.

So bleibt einmal mehr der Eindruck zurück, dass diese Hertha zwar sehr genau weiß, wie sie Tore verhindern soll. Aber nur so ungefähr, wie sie welche erzielen möchte. Dabei ist der Mannschaft in Sachen Einsatz kaum ein Vorwurf zu machen. Die Spieler scheinen allesamt sehr bemüht, sie werfen sich in die Zweikämpfe und wirken motiviert, mit Ball etwas zu gestalten. Kurzum: Sie spielt Fußball, wie Karsten Braasch, um im Thema des Abends zu bleiben, Tennis spielte. Ein irgendwie schrullig-sympathischer Typ, der gar nicht so leicht zu schlagen war, der aber über wenige Mittel verfügte, selbst zu siegen. Großes Tennis aber geht anders.

Hertha bietet zu wenig

Dabei haben sie ja einen ihren Reihen, der das mit dem großen Tennis ziemlich gut drauf hat. Einer, der sich schon in die Erinnerungen der Hertha-Fans gespielt haben dürfte. Und der auch gegen den HSV an seiner Legendenbildung weiterarbeitete. Fabian Reese, nach Corona-Erkrankung noch immer Teilzeit-Arbeiter, brachte nach seiner Einwechslung in der 60. Minute einmal mehr das große Staunen mit auf den Rasen.

Reese strahlte sofort und mit nahezu jeder Aktion Gefahr aus und bereitete - natürlich - den zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer von Haris Tabakovic vor. Es wäre an der Zeit, Berliner Universitäten mit Forschungsprojekten zur Reese-Wirkung zu betrauen. Denn es ist schlicht irr’, welch’ andere Energie dieser eine Fußballspieler seiner Mannschaft und mindestens mal einer Zweitliga-Begegnung geben kann.

Dass der HSV, nun immerhin Tabellen-Zweiter und nach wie vor mit einem überdurchschnittlichen Zweitliga-Kader ausgestattet, an diesem Abend zwei Tore für sich verbuchen konnte, kann passieren. Dass der Hertha nur eines gelang, ist das weitaus größere Problem. Mannschaft und Verein sollten schleunigst nach mehr Gefahr auch ohne Fabian Reese suchen. Ansonsten droht der Hertha etwas Schlimmeres als der wohl nun sicher verpasste Wieder-Aufstieg: Desinteresse. Denn Fußball, um davon zu erzählen, bietet Hertha derzeit viel zu wenig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.02.2024, 09:15 Uhr

27 Kommentare

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  1. 26.

    Offenbar haben Teile der Ostkurve kein Interesse daran, dass Hertha wieder aufsteigt. Spielunterbrechungen sind in jedem Fall kontraproduktiv und zerstören den Spielfluss, mit dem der Kader sowieso schon hadert. Ob Tennisbälle geeignet sind, den Profifußball zu beeinflussen, darf zumindest bezweifelt werden. Entsprechende Anträge auf Mitgliederversammlungen dürften eher helfen.

  2. 25.

    Wenn man sich die Namen der Trainer alle merken, die verschlissen, rausgeworfen, rausgeekelt wurden, merken, hätte man die Festplatte mit unnützen Wissen belegt.
    Wenn es nach den Ultras geht, die jetzt wieder an Oberwasser gewinnen, da ihr Fürsprecher weg ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Mannschaft ausgepfiffen, ausgebrüllt und der Kopf des Trainers gefordert wird. Denen ist es egal, ob der Dardei, Darday oder Dardai geschrieben wird.
    Auch hoffe ich, dass für das unwürdige Verhalten der simpel strukturierten Ultras vom BCC777 beim Spiel gegen den HSV der DFL eine empfindliche Strafe ausgesprochen wird. 3 Punkte Abzug wäre nach den Statuten eine denkbare Strafe.

  3. 24.

    Jepp, ich habe heute früh den Artikel gefeiert :-)
    Und mit (auch berechtigten) Protesten ist das so: erst findet man es gut, aber da ist ein GANZ schmaler Grat, wo es dann anfängt, zu nerven.... Das war gestern in greifbarer Nähe...
    Zur Leistung an sich: läuft gerade nicht so.. aber wie sagte schon Wegmann: Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Schäbbige Krankheitswelle, Kays Tod, alles blöd.

    Da ich als Armine durchaus Sympathien für den HSV hege (nur der HSV!) gehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die neue Woche. Es kommen auch wieder bessere Zeiten!

  4. 23.

    Bis gestern waren die Fans bundesligatauglich.
    Und Trotz einer Menge Bundesliga/2.Liga-Erfahrung geht's ganz schnell gegen dem Abstieg. Niederlage in Fürth und der Zug geht gen dritte Liga.

  5. 22.

    Es ist schon bedenklich, wenn Reese nach 6 wöchiger Krankenpause im Pokalspiel und auch gestern in nur 5 min. mehr Gefährlichkeit, Power und Willen ausstrahlt, als der gesamte Rest der Mannschaft in den letzten 4 Spielen. Dardai und seine Truppe ist gerade dabei, alles einzureißen, was sie sich im Herbst aufgebaut haben.

  6. 21.

    Protest schön und gut. Irgendwann ist dann auch mal gut. Das schadet dem Verein. Verein und Fans waren gerade vereint und wollen Kays Weg weitergehen. Jetzt sowas: das hat Konsequenzen. Finanzielle und es kann wieder eine Spaltung entstehen. Was glauben die Ultras denn was sie sind.....wie war das mit Demut und Zusammenhalt???

  7. 20.

    Der Aufstieg ist wieder in die Ferne gerückt. Und ich habe das Gefühl, dass Dardai mit einer verunsicherten Mannschaft experimentiert was einer Stabilisierung nicht zuträglich ist. Hertha hat momentan nur den einen Unterschiedsspieler.
    Proteste sind wichtig, aber sollten im Rahmen von Vernunft blieben. Aber man will auffallen. Das Werfen jeglicher Gestände sollte verboten werden. Und werden die TäterInnen nicht kurzzeitig ermittelt, sollte das Spiel nach 15 M abgebrochen werden.
    Eisernes HaHoHe

  8. 19.

    beschwer dich dann aber nicht, wenn keiner mehr für Stimmung sorgt. Wie das aussieht, hast du zB gegen Düsseldorf gesehen.

  9. 18.

    Sie haben mal so gar nichts verstanden.
    Das gestern war natürlich etwas überzogen.
    Trotzdem ist es richtig, sich zu positionieren.
    Hertha BSC hat ja auch gegen einen Investoreneinstieg in die DFL gestimmt.
    Jetzt kann man wenn man zu kurz denkt, sagen, Hertha und die meisten anderen Vereine haben ja schon Investoren.
    Nicht zu verwechseln mit Sponsoren oder Besitzern (RedBullLeipzig).
    Das liegt aber nicht immer an Fehlwirtschaft, wie bei Hertha, sondern ist bedingt durch den Investoreneinstieg und die Vereinseinnahmen
    z.B in der Englischen Wenn man da mithalten will, ist man gezwungen, mitzuspielen. Damit das nicht Überhand nimmt protestieren die Ultras. Tennisbälle sollen dabei Verletzungen vermeiden.
    Spielabbruch droht ab 30min. Unterbrechung. Das würde gestern eingehalten.

  10. 17.

    Ganz kurze, einfache Antwort:

    Die Ultras sind bestens vernetzt. Das Zeug kommt nicht durchs Osttor, sondern schon vorm Spieltag ;-)

  11. 16.

    Der Trainer heißt Dardai!
    Pal Dardai
    Mit einen 'i' am Ende
    Wer täglich so viel Negatives zu kommentieren hat sollte wenigstens wissen über wen er sich echauffiert.

  12. 15.

    Die Ultras in der OK haben eine sehr schlechte Figur abgegeben. Das schadete dem Spiel und dem Club finanziell.

  13. 14.

    Die Fans haben natürlich recht, das Mittel der Proteste den Sportlern gegenüber absolut schlecht gewählt und zu allem Überfluss wird dem Verein Hertha BSC ordentlich eins verpasst. Mann wird es nicht auf sich beruhen lassen und der Alten Dame eine nicht unerheblich finanzielle Auflage erteilen. Damit ist dann keinem geholfen. Soviel erstmal zu der Maßnahme dem Verein zu helfen.
    Was mich aber wirklich am meisten ärgert, ist die Berichterstattung auch auf dieser Plattform.

  14. 13.

    1.Kämpferich war nichts auszusetzen was die Spieler boten
    2. Warum besteht bei Hertha immer eine Kollektivinfektionswelle ( Noro, Corona , grippale Infekte)?
    3. In der Rückrunde incl.Traininglager haben sich immer noch nicht spielerische Automatismen eingestellt.
    Deshalb dieser unansehnliche Fußball der Hertha
    4.Und ich behaupte : Die Tennisballaktion hätte nicht so
    lange gedauet, wenn Hertha sportlich erfolgreicher wäre! Da spielen viel Frust eine Rollle
    5 Liebe Fans der Ostkurve: Viele müssen auch Samstag arbeiten

  15. 12.

    Die Ultras sollten mal lieber bei ihren eigenen Vereinen anfangen, zu protestieren. Die haben mehrheitlich dafür gestimmt, und Hertha ist ja inzwischen ein reiner Investoren Club. Sollen sie auf die Trainingsplätze gehen und da Tennisbälle werfen. Jetzt "scheiß DFL" zu schreien, ist nur peinlich. Ohne DFL und DFB würde hier gar kein Profifußball stattfinden, dann könnten sie irgendwo auf dem Bolzplatz rumpöbeln.

  16. 11.

    Behnischs Hertha-Artikel sind immer wieder eine höchst unterhaltsame Lektüre. Danke!

  17. 10.

    So ein Quatsch. Vielleicht sollte man mal bei seinen eigenen "Fußballgöttern", den Spielern, anfangen. Heutzutage ist ja schon fast jeder durchschnittliche Spieler Millionär. Die Personalkosten sind der Hauptkostenfaktor. Und Preise für Bratwurst und Trikots haben mit den Investoren mal so garnichts zu tun.
    Schwachsinnige Proteste. Wem das nicht gefällt, soll zuhause bleiben, aber nicht andere Fußballinterressierte nerven.
    Ich hoffe die Superfans stehen dann auch dazu, und kommen gemeinschaftlich für die hohen Strafen für ihren Verein auf. Aber da ducken sie sich ja dann wieder weg.

  18. 9.

    Eine Erkenntnis fehlt im Artikel. Coach Dardai (voller Respekt für den Mann!) schafft Ligaunabhängig immer einen soliden Platz im Mittelfeld.

  19. 8.

    Hallo Bertie,
    die Ultras stellen sich dabei gegen den Investoreneinstieg der DFL. Aktuell hebt sich die Bundesliga noch einigermaßen von anderen großen Ligen ab, wenn man den Ausverkauf berücksichtigt. Beispiel dafür sind die Anstoßzeiten im Vergleich zu England. Wenn das Rad immer weiter gesponnen werden soll, muss das auch jemand bezahlen. Die Investoren sind ja keine charity Unternehmen.
    Wer sich jetzt gegen den Protest stellt, darf sich in Zukunft nicht beschweren, wenn das Sky Abo 10€ mehr kosten und auch die Preise für Tickets, Trikots, Bier etc steigen. Ein Live-Spiel der 1. und 2. Bundesliga ist für viele Menschen schon ein teueres Event.

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