Konzertkritik | Start der MaerzMusik - Klangbaden im Lautsprecherorchester

Sa 16.03.24 | 12:07 Uhr | Von Jens Lehmann
Das Acousmonium beim Festival Présences électronique. (Quelle: D. Allard/ INA grm)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.03.2024 | Jens Lehmann | Bild: D. Allard/ INA grm

MaerzMusik heißt das Festival für Zeitgenössische Musik und Performance der Berliner Festspiele. Bis Freitagabend wusste unser Autor in den letzten Jahren nicht so ganz, wofür das Festival stehen soll – seit Freitagabend weiß er: Es ist der perfekte Ort für Klangexperimente. Von Jens Lehmann

Zum Auftakt geht es zum "Acousmonium". Das was?! Na, das Acousmonium! Akousma heißt im Griechischen so viel wie "auditive Wahrnehmung" – perfekt für ein Lautsprecherorchester, das einen ganzen Saal in Klänge hüllen kann. Vor genau 50 Jahren haben sich die Künstler der Groupe de Recherches Musicales aus Paris ihre eigene Klangorgel aus rund 60 Highend-Lautsprechern gebastelt – und bauen sie seitdem in Konzertsälen auf der ganzen Welt um das Publikum herum auf.

Bewusstes Hören bei "MaerzMusik" im Mittelpunkt

Jetzt also auch bei der MaerzMusik im Haus der Festspiele in Berlin-Wilmersdorf. Dort will man in diesem Jahr das "bewusste Hören" in den Mittelpunkt stellen – und fängt damit schon im Foyer an. Dort ist eine Klanginstallation von Christina Kubisch aufgebaut. Der Name "Kupfergarten" ist Programm: Dicke Kupferdrähte liegen auf dem Boden, sind wie die Saiten einer Harfe bis zur Decke gespannt - während man mit einem Kopfhörer samt Kupferspule an ihnen vorbeiläuft – und auch dort nur Kupfer auf die Ohren bekommt: Geräusche einer Kupfermine, aus der Natur um die Mine, elektromagnetische Felder, hörbare Datenströme, wie sie durch Kupferleitungen fließen. Das sirrt und wummert nur so in einem.

Das "Orchester" wartet schon

Etwas Ähnliches habe ich mir auch vom Eröffnungskonzert mit dem Acousmonium versprochen. Und schon beim Reinkommen in den Saal freue ich mich wie ein kleines Kind. Denn auf der Bühne wartet das "Orchester" schon.

Von den 60 Lautsprechern stehen alleine 30 in allen Formen und Farben auf der Bühne. Kleine, große, breite, schmale, eckige, runde, mit Stange, ohne Stange - im Zuschauerraum des Festspielhauses dann ganze Lautsprecherbäume, deren Äste ins Publikum ragen, aus deren Enden immer wieder Klänge herausregnen. Mit jedem neuen Werk wechselt das Licht – mal drohen die Membranen wie rote Augen, mal ist die Szenerie in gespenstisch flirrendes Blau getaucht.

Und zur Einstimmung gibt’s Beatriz Ferreyras Werk "L’Orvietan" auf die Ohren. Musik aus dem Jahr 1970. Elektropulse jagen im Surroundsound durch den Saal, mal klingt es nach den Effekten eines alten Science-Fiction-Films, mal wandern verzerrte Stimmen um die Zuhörerinnen und Zuhörer herum, Cluster türmen sich auf, als wäre es ein Stück von Ligeti, fallen wieder in sich zusammen, weichen elektronischem Gezwitscher. Plötzlich klagt und maunzt eine Katze, dann noch eine, dann noch eine, ihre Stimmen vereinen sich, werden verfremdet.

Archivbild: Jahrespressekonferenz Berliner Festspiele im Haus der Berliner Festspiele. (Quelle: imago images/Gambarini)
Bild: imago images/Gambarini

Ich merke: Noch bin ich skeptisch. Werden das jetzt zwei Stunden Katzenjammer? Aber da reißt mich schon das nächste Stück aus meinen Gedanken. Es stammt von Joseph Kamaru, der ist ganze 60 Jahre jünger als die Klangpionierin Ferreyra – und er schichtet eine Wall of Sound nach der anderen auf. Wie im schönsten Postrock von Bands wie Mogwai. Fast genauso berauschend klingt auch "Rhapsodia" von Michèle Bokanowski.

Auch ihre Musik klingt wie eine Mischung aus Postrock und Trance, rhythmisch pulst es durch die Reihen – und erntet laute Buhs.

Buhs bei "Mainstream-Verdacht"

Merke: Bei der MaerzMusik ist ein Werk, dass so auch in der Columbiahalle bejubelt werden könnte, offensichtlich nicht statthaft. Man möchte wohl intellektuell gefordert, nicht von Klängen umschmeichelt oder gar angeheizt werden.

Unfreiwillig komisch ist das schon, denn als die Lautsprechermusik erfunden wurde, war sie selbst noch ein Affront für den klassischen Konzertbetrieb. Danach verliefen die Gräben nicht nur zwischen Lautsprechermusikern und Mainstream-Publikum, sondern auch zwischen den Anhängern der musique concrète mit ihren Klangcollagen von Alltagsgeräuschen und den Vertretern der elektronischen Musik. (Dabei klingt das Ergebnis doch oft so ähnlich. Aber pssst.)

Bei Luc Ferrari sind tatsächlich viele Geräusche im Original zu vernehmen. Es ist wie ein sommerlicher Spaziergang inmitten des Konzertsaals. Donnergrollen, Vogelgezwitscher, Musique concrète, wie sie im Buche steht… nur um kurz darauf in metallisches Stampfen und Industriegeräusche überzugehen – in dieser Musik trifft auch mal das Kreatürliche auf das Maschinelle.

Lautsprecher mit Persönlichkeit

Und dabei schaut man die ganze Zeit auf die Lautsprecher auf der Bühne – und die Klänge verwirren mir zunehmend die Sinne. Ich könnte schwören, einer der Lautsprecher hat gerade ein Gesicht bekommen. Im Laufe der Aufführung meint man, sie bekämen eine Persönlichkeit.

Vielleicht geht das auch nur mir so. Einige im Publikum halten sich ab Minute eins die Ohren zu. Andere drehen ständig den Kopf hin und her, sehen sich um, wie um in jeder Sekunde zu begreifen, woher dieser oder jener Klang kommt – Acousmonium verspricht nicht umsonst ein räumliches Musikerlebnis. Wieder andere schließen die Augen, lassen den Kopf auf die Lehne vor sich sinken und verlieren sich in den Klängen. Da ist sie, die vielbeschworene Immersion.

Und wie könnte man sich nicht fallen lassen in diesen herrlichen, satten, oft so warmen Sound. Ein Sound, der durch die Entwicklung der elektronischen Musik sattsam bekannt ist. Künstler wie Matthew Herbert haben auch die musique concrète im Pop salonfähig gemacht. Was hier zu hören ist, ist nicht mehr neu, ist nicht mehr revolutionär. Die Künstler von GRM, die mit heiligem Ernst an ihrem riesigen Mischpult stehen, sind quasi Meister der historischen Aufführungspraxis.

Nur einer von ihnen deutet dabei auf die eigentlichen Protagonisten des Abends, auf die Lautsprecher, die jetzt, ihrer Bestimmung wie auch der dramatischen Ausleuchtung beraubt, traurig im Putzlicht auf ihren Abbau warten. Vorbei der Zauber. Schade.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.03.2024, 9.30 Uhr

Beitrag von Jens Lehmann

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