Haus der Kulturen der Welt - Wie eine Ausstellung das Leben der Vertragsarbeiter in der DDR aufarbeitet

Sa 02.03.24 | 08:09 Uhr | Von Marie Kaiser
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Demonstration der Vietnamesen "Gegen den Polizeiterror" in Berlin-Marzahn am 07.08.93. (Quelle: HKW/Jose Giribas)
Bild: HKW/Jose Giribas

Hunderttausende kamen aus Chile, Kuba oder Mosambik in die DDR, um zu arbeiten, zu studieren, politisches Asyl zu finden. Doch oftmals war die Realität anders als die Erwartungen. "Echos der Bruderländer" will ihre Geschichte erzählen. Von Marie Kaiser

Hinter einem zarten rosafarbenen Vorhang plätschert es. Auf einem Holztisch steht ein kleiner Brunnen aus Porzellan und Keramik – mit der Porzellanfigur eines Kindes an seiner Spitze. Sie stammt vom Künstler Minh Duc Pham, der 1991 als Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter in Sachsen auf die Welt kam. In seiner Installation "Fountains of a high mountain and a sweet dream" greift er die Geschichte seiner Mutter auf. Sie musste in ihrer Zeit als Vertragsarbeiterin in der DDR ein Kind abtreiben. Denn in der DDR war es diesen Arbeiterinnen aus dem Ausland verboten, Kinder zu bekommen. Wer nicht abtrieb, wurde zurück in die Heimat geschickt, das war vertraglich festgeschrieben. "Minh Duc Pham hat diese Installation als eine Hommage an diesen Bruder oder diese Schwester gemacht, die nie auf die Welt gekommen ist", sagt die Kuratorin der Ausstellung, Paz Guevera. "Es ist ein ganz intimer Raum. Wir können uns auf einen der Stühle setzen und ein Gespräch mit diesem Bruder oder dieser Schwester führen."

Ausstellung

"Wie hoch sind die Kosten der Amnesie?"

Schon an dieser Arbeit wird klar, wie wenig präsent die Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter:innen ist, wie wenig wir über ihre Lebensbedingungen wissen, wie viel vergessen wurde. Hunderttausende Menschen kamen zwischen 1949 und 1990 aus verbündeten Staaten wie Algerien, Angola, Chile, Kuba, Mosambik oder Vietnam in die DDR – um dort zu arbeiten, zu studieren oder politisches Asyl zu finden. "Was ist der Preis der Erinnerung und wie hoch sind die Kosten der Amnesie?" lautet der etwas sperrige Untertitel dieser "Ausstellung und Recherche", wie es in der Ankündigung heißt.

Manche warten bis heute auf den versprochenen Lohn

Wie viel Recherche in der Ausstellung steckt, wird schnell deutlich. Sie basiert auf einem dreijährigen Forschungsprojekt. Im Vorfeld wurden Workshops veranstaltet und Interviews geführt mit den Menschen, die damals oft mit großen Hoffnungen in die DDR gekommen waren. Mancher kam für ein Sportstipendium oder ein Studium, musste dann aber im Schlachthof arbeiten. Oder bekam als Vertragsarbeiter aus Mosambik nie den versprochenen Lohn ausgezahlt.

In einer Videoarbeit sehen wir eine Demonstration in Maputo, wo bis heute an jedem Mittwoch die "Madgermanes" protestieren. "Madgermanes – das kommt von 'Made in Germany', so werden die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter in Mosambik genannt", erklärt Paz Guevera. "Sie haben in der DDR nur 40 Prozent ihres Lohns ausgezahlt bekommen. Die restlichen 60 Prozent sollten sie bekommen, wenn sie zurück in Mosambik sind. So wurde es ihnen versprochen. Aber das ist bis heute nicht passiert."

Grenzen der Brüderlichkeit

Die Ausstellung ist darum bemüht, beide Seiten zu zeigen: Die Freundschaften, die zwischen den Menschen in der DDR und den Menschen aus den sogenannten "sozialistischen Bruderländern" entstanden sind. Aber auch die Grenzen der "Brüderlichkeit". So waren die Vertragsarbeiter stets in eigenen Wohnanlagen und damit getrennt vom Rest der DDR-Bevölkerung untergebracht. Auch die Probleme, die oft bis heute bestehen, werden angesprochen. Dazu gehört der Rassismus, den die Menschen hier erfahren haben.

Ein gebürtiger Angolaner berichtet im Videointerview, wie er im November 1989 bei einer Straßenbahnfahrt mit einer Bierflasche von Neonazis angegriffen wird. Und dass die Polizei nicht die Angreifer, sondern ihn gewaltsam festhält und sein Gesicht auf den Streifenwagen drückt. Auf einer Reihe von Fotos wird an einen Fall rassistischer Gewalt in der DDR erinnert, der dem kollektiven Vergessen anheimgefallen ist: An die Tötung der beiden kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Paret, die am 12. August 1979 bei einer Hetzjagd in Merseburg ums Leben kamen. Heute bemüht sich eine Initiative um einen Gedenkort für die beiden Männer.

Visionen und Illusionen antiimperialistischer Solidarität, Haus der Kulturen der Welt (HKW) 2024. (Quelle: HKW/Hannes Wiedemann)
Ausstellungsansicht "Echos der Bruderländer".Bild: HKW/Hannes Wiedemann

Plötzlich mussten sie das Land verlassen

Auch das Ende der DDR wird thematisiert, das nicht nur für die DDR-Bürgerinnen und Bürger ein radikaler Umbruch war. Viele Vertragsarbeiter:innen mussten sofort das Land verlassen und hatten keinen sicheren Aufenthaltsstatus mehr, erläutert Kuratorin Paz Guevera. "Zum Beispiel die Mosambikaner, aber auch die Bürger aus Kuba."

In einem Interview in der Ausstellung erzählt die kubanische Künstlerin Teresa Casanueva, dass auch sie nach der Wende sofort zurückkehren sollte, obwohl sie ihr Kunststudium in Halle noch gar nicht abgeschlossen hatte. Die Künstlerin hat dafür gekämpft, ihr Studium beenden zu können und lebt heute in Berlin. Auf einem Bild von 1992 sind ehemalige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam bei einer Demo in Berlin zu sehen. Erst 1997, nach jahrelangen Kämpfen, bekamen sie eine ständige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.

Visionen und Illusionen antiimperialistischer Solidarität, Haus der Kulturen der Welt (HKW) 2024. (Quelle: HKW/Hannes Wiedemann)
Bild: HKW/Hannes Wiedemann

Knoblauchknollen, Chilischoten und Granatäpfel

Wer aus "Echos der Bruderländer" etwas mitnehmen möchte, muss sich viel Zeit nehmen, die Interviews an einer der vielen Audiostationen anhören, sich Einlesen. Die Ausstellung erschließt sich nicht intuitiv beim schnellen Betrachten. Vieles bleibt ohne einen Blick in das Handbuch zur Ausstellung unverständlich.

Warum liegen auf den royalblauen Tischen im Foyer knallrote Knoblauchknollen, Chilischoten und Granatäpfel? Das Begleitheft verrät, dass es sich bei den künstlichen Früchten um Kochzutaten handelt, die den südostasiatischen Migrant:innen in der DDR oft fehlten, weil sie dort nicht zu kaufen waren und manchmal heimlich ins Land gebracht wurden. Von der Decke hängt eine kambodschanische Geige (eine Tro), auf den Tischen darunter liegen Dokumente aus wie Briefe, Fotos, Zeugnisse. Es sind persönliche Erinnerungsstücke von Menschen, die damals aus den sogenannten "Bruderländern" in die DDR gekommen sind, und deren Geschichten nun endlich erzählt werden sollen. Denn auch für die nachfolgende Generation ist dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 01.03.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

32 Kommentare

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  1. 32.

    Vielen Dank für diesen Kommentar.
    Leider zeigt dieser erneut wie sich der rbb durch die Möglichkeit der Kommentierung zum Narren machen lässt.
    Die Komentarfunktion sollte zukünftig unterbleiben - Nachrichten sind Nachrichten- Pseudoexperten können sich heutzutage über verschiedenste Kanäle austauschen.
    Danke an den rbb im Voraus.
    Mal sehen ob derartige Kritik auch veröffentlicht wird.

  2. 31.

    @ KaDe, zur Hälfte gebe ich Ihnen Recht. Die AfD ist eine politische Kraft, die bewusst die Gesellschaft spaltet. Die zweite Hälfte bedarf in meiner Wahrnehmung eine Richtigstellung. Rassisten gibt es in jeder Gesellschaft und in jeder gesellschaftlichen Ebene. Und somit auch in der 'sozialistischen' DDR. Aber es gab keinen staatlich verordneten Rassismus.

  3. 30.

    Die bei Vodafon reden viel wenn der Tag lang ist.
    Wie wärs vielleicht mal mit erst durch Leistung überzeugen?

  4. 29.

    Meines Wissens wurden die "ausstehenden " Löhne von unseren an die Institutionen der Heimatländer überwiesen. Sie sollten die Wiedereingliederung der Arbeiter und die Wirtschaft der Länder unterstützen. Auch das war mit den Arbeitern vertraglich vereinbart. Wenn die Gelder dort nicht bei den Einzelnen ankamen, dann sind sie vermutlich in dubiosen Taschen verschwunden, die es auch heute noch in verschiedenen Entwicklungsländern gibt.

  5. 28.

    Kontakte waren unerwünscht, weil sie aus befreundeten Ländern kamen? Diese Formulierung hinkt gewaltig!
    In welchem Zeitraum haben Sie mit Vertragsarbeitern zusammen gearbeitet und aus welchem Land kamen diese?

  6. 27.

    Das Verhalten der einfachen DDR-Bürger war nicht anders als das Verhalten der westdeutschen Gesellschaft gegenüber den Gastarbeitern! Unterschied, darüber durfte nicht berichtigt werden. Diese Vorbehalte hatten auch ökonomische Gründe, z.B. gab es keinen Reis und Fahrräder wo die Vietnamesen wohnten und die Polen haben ihre Warenengpässe über die DDR gedeckt.
    Meine Cousine hatte einen Studenten aus Benin geheiratet. Dadurch hatten auch ihr Bruder und ihre Eltern Ärger mit den DDR-Behörden. Ihre Kinder haben nach der Wende ihr Studium in Deutschland mit Bravour abgeschlossen, leben und arbeiten zwischen Deutschland und Afrika. Von den abfällig, rassistischen Bemerkungen der Eltern- und Großelterngeneration will keiner mehr was hören.

  7. 26.

    Aus meiner Lehrzeit erinnere ich mich an vier Vertragsarbeiter aus Vietnam. An irgendwelche private Kontakte kann ich mich nicht erinnern. Aber an Zusammenarbeit und berufliche Kontakte. Private Kontakte waren wohl wirklich nicht erwünscht.
    Aber liebe @Dagmar, staatlich verordneter Rassismus ist wohl doch ziemlich starker Tobak. Den gab es nicht. Versuche, den eigenen, persönlichen Rassismus als staatlich verordnet zu entschuldigen, ist schon erbärmlich.

  8. 25.

    Unsere Vertragsarbeiter aus Afrika und aus Vietnam hat man so gut wie garnicht bemerkt im negativen Sinn.Im Gegensatz zu den Leute aus Nordafrika diewirklich übel waren.

  9. 24.

    Was wollen die Austeller erreichen? Legen wir mal die (vertraglichen)Bedingungen in der DDR bei Seite. Was bleibt sind die Forderungen nach Ausgleich der nicht erhaltenen Lohnbestandteile duch das heutige Deutschland. Genauso wie die Proteste gegen die deutsche Kolonialzeit. Letztendlich will man Geld. Genauso wie die Rückübertragung der Bronze Büsten, diese landeten anstatt im Museum in der Schatzkammer des Königs. Rassismus als Keule gegen den "weißen Mann", aber das Geld nimmt man schon.

  10. 23.

    Es gab wenig (! nicht gar keiner) Rassismus. Dieser wurde nämlich verfolgt. Es gab Freundschaften. Die ganze Atmosphäre war, nach eigenem Erleben, anders, natürlicher, freundlicher als im Artikel suggeriert. Es gab die Liebe, mit viel Problemen dann, die nicht politisch waren. Es gab Knoblauch zu kaufen. Chili auch. Wer hat ein Interesse daran Einzelfälle gegen das allgemeine Klima damals so aufzubauschen, dass es umgedreht und als schlimme Zeit gesehen werden soll? Noch dazu im falschen Deutsch? Das wurde richtig gelehrt und gelernt.

  11. 22.

    In der DDR gab es auch Menschen aus der ehemaligen französischen Kolonie Benin (Westafrika). Benin war seit 1975 ein freies Land und hat junge Leute zum Kennenlernen der Wirtschaft in die DDR geschickt. Diese Leute haben dann auch in Fabriken der DDR gearbeitet. Sie sind aber auch wieder zurückgekehrt und haben das erworbene Wissen an ihr Land weiter gegeben. Ich hatte einen persönlichen Kontakt zu einem jungen "Studenten" aus Benin, weil er in der Fabrik gearbeitet hat, wo auch meine Mutter gearbeitet hat. Das fand ich sehr interessant. Wir haben auch zusammen gekocht und ich habe viel über gesundes Essen ohne Fleisch erfahren.

  12. 21.

    Das erinnert mich daran, dass wir einmal in unserer Schule (in der damaligen DDR) jemand aus Nordvietnam in der Klasse zum Gespräch hatten. Dieser Mann hat darüber gesprochen, dass die USA sein Land überfallen haben. Sein Land hätte trotzdem den Krieg gewonnen, obwohl die USA mit ihren Flugzeugen versucht hätte, das Land mit einem chemischen Mittel zu vergiften. Außerdem hat er noch erzählt, dass in Hanoi, wo er sonst wohnt, fast alle Menschen mit dem Fahrrad fahren, damit es keine Staus gibt und die Luft sauber bleibt.

  13. 20.

    In der DDR gab es sehr viel Alltagsrassismus, das scheinen nicht wenige hier bei ihrer Schönmalerei verdrängt zu haben. Waren Vertragsarbeiter am Arbeitsplatz weitestgehend akzeptiert und entwickelten sich dort sogar Sympathien füreinander, ließ man sich abseits dessen lieber nicht mit Dunkelhäutigen oder Asiaten sehen, da man dann schnell in "Verruf" geriet - was besonders für Frauen galt, die dann als H*ren angesehen wurden. Ein normales, ziviles Zusammenleben abseits der Werktätigkeit gab es praktisch nicht oder nur in sehr seltenen Fällen.

    Ich erinnere mich bspw. noch daran, dass, wenn Afrikaner eine Kneipe zum Feierabendbier betraten man nicht mal bis 3 zählen musste bis die ersten Pöbeleien der Einheimischen losgingen und der Abend nicht selten in Schlägereien endete.

  14. 19.

    Diese Vertragsarbeiter kamen aus mit der DDR befreundeten außereuropäischen Ländern, und deswegen waren Kontakte mit der heimischen Bevölkerung unerwünscht, für Tschechen, Polen etc. galt solche Ausgrenzung nicht.
    Sie wurden planmäßig ausgegrenzt, und das nennt man Rassismus.

  15. 18.

    Es gab keinen staatlich verordneten Rassismus! Der Staat war darauf bedacht, Auslandskontakte so weit wie möglich zu unterbinden und die Funktionäre in den Betrieben sollten das durchsetzen. Freundschaften entstanden trotzdem. Die Gastarbeiter haben die in den Verträgen festgeschriebenen Bedingungen anerkannt, sich überwiegend an unsere Lebensgewohnheiten gehalten und unsere Regeln geachtet. Ihre Wohnsituationen waren ähnlich denen in Wohnheimen für Studenten, Krankenschwestern usw. Das alles hatte nichts mit Rassismus zu tun.

  16. 16.

    In jedem Land auf der Erde gibt es Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die nicht miteinander klarkommen.
    Es gibt Vorurteile, Ablehnung und Gewalt.
    Vor allem auch in der so hoch gebildeten westdeutschen Vorzeigegesellschaft.
    Da ist es doch schön, wenn man Rassismus und Primitivität schön in der ehemaligen DDR abladen kann - so wie damals den Westmüll.
    Einfach bei den Nachbarn abkippen. Da ist man dann schön fein raus.

  17. 15.

    "Wir hatten Alle Arbeit , mehr oder weniger Geld. KEIN ANGOLANER ,KEIN MOSAMBIKAMER hat UNS irgendetwas weggenommen.".
    Komisch wie sich die Ansichten nach der Wende dann schnell verändert haben.
    Da kann man mal sehen wie gut der Apparat der DDR funktioniert hat.
    Die fehlende Aufarbeitung des dritten Reiches durch die DDR muss ja offensichtlich auch jetzt erst stattfinden.

  18. 14.

    In der DDR gab es einen staatlich verordneten Rassismus, und ich wüsste nicht in welchen mittelel -und westeuropäischen Land es das auch gab.
    Wegen der Geschichte 1933 - 1945 ist besonders verweflich, das dies einer der deutschen Staaten praktizierte.

  19. 13.

    Die Vertragsarbeiter kamen zu bestimmten Bedingungen in die DDR, die sie akzeptierten. Was ist jetzt daran verwerflich, wenn auf die Einhaltung dieser Abmahnung bestanden wurde und bei Nichteinhaltung Konsequenzen folgten?

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