Theaterkritik "Zähne und Krallen" - Tierischer Tatort

Sa 13.04.24 | 12:14 Uhr | Von Barbara Behrendt
Bühnenaufnahme von "Zähne und Krallen mit Rene Schwittay, Bettina Riebesel und Laura Maria Hänsel.(Quelle: Hans Otto Theater/Thomas M. Jauk)
Bild: Hans Otto Theater/Thomas M. Jauk

Rassismus, Klassismus, Kolonialismus und ein zerstörtes Kunstwerk – an einer Hochschule für Tiere. Peter Thiers‘ Theaterstück "Zähne und Krallen" verhandelt aktuelle Debatten in einer Fabel. Das schärft den Blick, kommt aber schnell an Grenzen.

Tatort: die Universität. Bei der Einweihung eines provokanten Kunstwerks an einer Hochschule gibt es Ausschreitungen, ein Polizist kommt ums Leben, die Bildungsministerin lässt die Uni schließen. Das ist die Ausgangslage des Theaterstücks "Zähne und Krallen" von Peter Thiers, das die Intendantin Bettina Jahnke am Hans Otto Theater in Potsdam inszeniert hat.

Der animalische Titel hat seinen Grund: Alle Charaktere im Stück stammen aus dem Tierreich. Sind aber ganz unterschiedlicher Herkunft. Der Polizist: ein strammes Polizeipferd namens Vollblut. Der Hochschulleiter: ein bräsiger Kater, Professor Niedlich. Die Bildungsministerin: Frau Greif, ein machtgeiler Adler. Die Künstlerin: eine Feldmaus namens Steinbeiß. Die Studierenden: Ezra Kranstöver, eine Elefantin, die sich für die Rechte aller Minderheiten einsetzt, und Zweihorn, ein Eichhörnchen aus prekären Verhältnissen. Als die Bildungsministerin die Stipendien streicht, steht es vor dem Aus seines Studiums.

Mit einer Fabel sieht man manches klarer

Das klingt reichlich albern – doch die Form der Fabel (ein ungewöhnliches Theatergenre) erlaubt nun mal, mit einer leichten Verfremdung auf unseren Alltag zu schauen. Klar: Wir Menschen sind gemeint und im Idealfall lässt die Fabel manche Strukturen klarer erkennen. Über Tiere können Vorurteile verdeutlicht werden, ohne, dass man dafür Menschen in Klischees pressen müsste.

Und in Klischees verfällt man bei den Themen, die hier verhandelt werden, leicht: Klassismus, Rassismus, Gleichberechtigung. Ein Grundkonflikt stellt die Kluft zwischen den angeblich zivilisierteren Stadt- oder Haustieren dar und solchen, die aus der Savanne stammen oder aus dem Wald. Die Elefantin Ezra etwa ist eine Minderheit an der Hochschule. In ihr, sagt sie, sähen alle nichts als nur "die Elefantin". Das Eichhörnchen hat ebenfalls keinen hohen Stand, wird über Stipendien eher geduldet als respektiert. Ezra versucht nun, aus der Hackordnung auszubrechen – interpretiert jede Handlung eines Mit-Tieres allerdings sofort als Diskriminierung.

Stein des Anstoßes: Eine Skulptur aus Elfenbein

Über ihre Figur wird auch das Thema Kolonialismus verhandelt, stellt die provokante millionenschwere Skulptur, die zerstört worden ist, doch einen Elefanten aus Elfenbein dar. Das sei, so verteidigt sich die Feldmaus, alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Der Schulleiter ist ziemlich genervt von Ezras Aktivismus: "Frau Kranstöver ist auf dem Campus dafür bekannt, Unruhe zu stiften. Jede Woche eine frische Agenda: Das Wintersemester könnte Studierende benachteiligen, die Winterschlaf halten. Es gebe auf den Gängen nicht genügend Wasserspender für Amphibien. Der Speiseplan der Cafeteria würde sich zu sehr an Karnivoren richten."

Zum Glück: keine Fellkostüme

Das alles bedeutet zum Glück nicht, dass das Ensemble in Fellanzügen auf der Bühne steht. Die Schauspieler:innen zeigen Menschen mit tierischem Tick, die durch bestimmte Kostümmerkmale gekennzeichnet sind. Die starken Polizeipferde tragen schwarze Lederstiefel und räkeln sich zuweilen auf allen Vieren. Die Elefantin trägt beige weite Hosen, fette Daunenjacke und bewegt sich äußerst schwerfällig. Frau Greif reißt die Augen auf und lässt das schwarze Cape mit Federkragen auf ihren Schultern flattern. Das Eichhörnchen trippelt in orangenem Overall und struppiger Mähne über die Bühne. Ein schönes Ensemblespiel.

Weil das allerdings zu Beginn nicht leicht zuzuordnen ist, zeigen Bildschirme über der Bühne gestochen scharfe Nahaufnahmen von Pferdenüstern oder Vogelaugen. Das ist wenig elegant, aber zielführend.

Die Fabel befördert Thesentheater

Schwieriger gestalten sich die Rückblenden, in denen sich die Kriminalgeschichte aufspannt. Die Handlung spielt sich im Polizeipräsidium ab, auf der Bühne ein eiskalter Betonbunker. Hier werden die Verdächtigen befragt, die den Aufruhr angezettelt haben sollen. Ihre Aussagen werden in Szenen aus der Vergangenheit nachgespielt – es braucht eine Weile, bis sich diese Zeitsprünge erklären.

Der Kriminalfall kann zuletzt zwar gelöst werden, allerdings doch reichlich simpel und mit einer allzu populistischen Aussage. Ohne zu viel zu verraten: Die korrupte Politik ist an allem Schuld.

Kann man Rassismus über Tiere verhandeln?

Tja. Mit Tier-Schablonen gelangt man nun einmal doch zu schnell an die Grenzen der Differenzierbarkeit und bleibt allzu leicht bei Thesentheater und Klischees stehen. Zudem ist fraglich, ob der Tiervergleich ausgerechnet beim Thema Rassismus angemessen ist. Denn Tiere kann man durchaus in Rassen und Arten unterteilen – Menschen eben gerade nicht. Die aktuelle Diskussion um den Rasse-Begriff im Grundgesetz zeigt genau das. Der Aufklärung erweist man hier eher einen Bärendienst.

Doch obwohl das Stück nicht allzu weit trägt, ist es doch schön und ungewöhnlich, dass Bettina Jahnke einem jungen Autor die große Bühne freiräumt – für einen unterhaltsamen Abend, der zumindest zum Nachdenken über unsere Strukturen anregt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.04.2024, 09:54 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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