Jubiläum - Die Geschichte der Film- und Medienstadt Babelsberg

Do 14.11.13 | 10:43 Uhr | Von Knut Elstermann
Kulisse Babelsberg: Dreharbeiten zu "Inglorious Basterds" 2008 (Quelle: Studio Babelsberg)

Potsdam blickt auf eine mehr als einhundertjährige Filmtradition zurück: 1911 wurde in Babelsberg der Grundstein für das erste Filmstudio gelegt. Knut Elstermann über die Ufa, die Defa und einen Stummfilmstar, der einen wahren Hype losgetreten hat.

Als die Schauspielerin Asta Nielsen 1912 ihren Film „Der Totentanz“ in einem ehemaligen Fabrikgebäude drehte, das sie ein Jahr zuvor extra zu diesem Zweck gekauft hatte, hätte sie wohl nicht geglaubt, dass sie damit den Grundstein für das größte Filmstudio Deutschlands legte. Doch die Film- und Medienstadt Babelsberg ist heute mehr als ein Produktionsstandort. Neben dem Studio Babelsberg, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg und dem Deutschen Rundfunkarchiv haben sich auch die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf hier angesiedelt, das Deutsche Filmorchester ist zurückgekehrt und es kann schon einmal passieren, dass man in der Kantine auf Filmstars aus Hollywood trifft.

Film ist nicht mehr als ein Streifen Zelluloid, kleine Bilder, die durch Licht sichtbar werden. Alle Anstrengungen vor dem Drehen, im Studio und danach laufen nur auf diesen Augenblick hinaus: auf den Moment, wenn im Kinosaal die Lichter ausgehen und die projizierten Bilder auf der Leinwand lebendig werden. Darum kann ein Besuch im Filmstudio zunächst ernüchternd sein, weil die Zweckmäßigkeit der Hallen und die Effektivität der Arbeit kaum Spuren hinterlassen. Außer eben in dem Film, auf den es ankommt. Babelsberg macht da keine Ausnahme.

"Totentanz" mit Asta Nielsen machte den Anfang

Das älteste Filmstudio der Welt, das fünf politische Systeme erlebte, ist ein noch immer funktionierender Organismus zur Herstellung von Filmen, kein Museum. Wer über das heute 420.000 Quadratmeter große Gelände wandert, braucht eine gewisse Vorstellungskraft, um die Geister derer zu sehen, die hier arbeiteten, um die Schichten der Filmgeschichte wahrzunehmen, die hier übereinander liegen. Diese Art von Archäologie braucht Fantasie, doch die Bauwerke kommen ihr zur Hilfe.

Ein mit Efeu bewachsenes Backsteinhaus mit malerischen Zinnen etwa erinnert an die Gründung 1911 und die Ahnherrin von Babelsberg: Asta Nielsen. Die große dänische Künstlerin zog mit ihrer Firma Bioscop und dem Filmpionier Guido Seeber vor die Tore der Stadt Berlin, in der bis dahin viel gedreht wurde. Sie kauften das heute vom RBB genutzte Gebäude, das bis dahin als Fabrik für Kunstblumen diente – ein schönes Symbol für den ebenfalls trügerischen Schein der Filmkunst. Es ist viel zu wenig bekannt, dass es eine bedeutende Frau war, die zum Gründungsmythos von Babelsberg gehört. An die alte Fabrik wurde ein Glasstudio gebaut und dort entstand 1912 der erste Film "Der Totentanz". Während vieles, was in der Stummfilmzeit in Babelsberg entstand, heute vergessen ist, sind Asta Nielsens Filme noch immer sehenswert, auch heutige Zuschauer sind von ihrer geheimnisvollen Aura fasziniert.

Was mit Asta Nielsen begann, wurde schon bald zu einem legendären Ort der Träume und Sehnsüchte, zur wichtigsten deutschen Filmproduktions-Stätte. Teile des Science-Fiction-Klassikers "Metropolis" entstanden hier, im so genannten "Tonkreuz", dem seinerzeit modernsten Soundstudio der Welt, lernten die deutschen Filme das Sprechen. Große Erfindungen wurden hier gemacht, beeindruckende Tricktechniken wurden hier entwickelt.

Eine Traumfabrik und ein Ort für üble Propaganda

In der Großen Halle saß Marlene Dietrich im "Blauen Engel" auf der Tonne und schuf jene Legende, von der das Studio noch heute zehrt. Inzwischen trägt die Halle ihren Namen.

Jeden Morgen zogen Hunderte Menschen von der S-Bahnstation Griebnitzsee, die damals tatsächlich UFA-Filmstadt hieß, in das Studio: Kleindarsteller und Sekretärinnen, Kostümschneider und Kamera-Assistenten, das Fußvolk der Traumfabrik. Stars lebten in den in der Umgebung liegenden Villen.Viele der Schauspieler ließen sich vom Nazi-Regime, das hier etwa 1000 Filme produzierte, korrumpieren mit Vollbeschäftigung und hohen Gagen, sie stellten sich in den Dienst von seichter, ablenkender Unterhaltung oder übler Propaganda, die für immer zu den Schandflecken Babelsbergs gehören wird.

Sowjetische Funktionäre und deutsche Kommunisten

Am längsten jedoch nutze die DEFA das Studio, schon 1946 begann sie ihren Betrieb. Etwa 700 Filme entstanden bis zur Abwicklung 1992. Die volkseigene DEFA war ein hundertprozentiger sozialistischer Großbetrieb mit Tausenden Mitarbeitern, Planzielen und Rechenschaftsberichten. Zu den Besonderheiten ihrer Geschichte gehört, dass die Dreharbeiten zu ihrem ersten Film schon einige Tage vor der eigentlichen Gründung begannen. Während die Amerikaner glaubten, in Deutschland würden auf lange Sicht keine Filme entstehen und auf die Verbreitung der eigen Produktionen setzen, kurbelten die sowjetischen Kulturoffiziere das Entstehen einer eigenen Filmindustrie an. Im ersten DEFA-Vorstand saßen sowjetische Funktionäre und deutsche Kommunisten. Als am 17. Mai in den Potsdamer Althoff-Studios die Gründung der DEFA gefeiert wurde, drehte Wolfgang Staudte bereits auf den Straßen des zerstörten Berlin die erste deutsche Nachkriegsproduktion: "Die Mörder sind unter uns". Der Film, der schonungslos nach deutscher Schuld und Verantwortung fragte, wurde ein internationaler Erfolg und zeigte weltweit, dass in Deutschland ein neuer Geist herrschte.

Der DDR-Filmbetrieb funktionierte nach dem klassischen Studioprinzip. Mit großen Abteilungen für die einzelnen Gewerke, darunter viele hervorragende Handwerker, festangestellte Autoren und Dramaturgen für die Stoffentwicklungen sowie Regisseuren. Den Mitarbeitern versprach dieses System Sicherheit und Stabilität, für die Kunst bedeutete aber auch Stillstand, Enge und Trägheit. Sichtbares Zeugnis der glänzenden Handwerkerarbeit ist bis heute der riesige Fundus mit Kostümen und Requisiten aller Art.

Die Medienstadt heute: Mehr als ein Produktionsstandort

Nach der Wende, als sich hier der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg, später der RBB, niederließ, wurden historische Gebäude restauriert, neue errichtet. Unzweckmäßige Zeugnisse der Geschichte verschwanden. Besitzer wechselten und lange Zeit erschien es völlig unklar, ob Babelsberg überhaupt zu retten sei. Wenn sich das Studio heute mit preisgekrönten internationalen Werken wie "Der Pianist" oder "Stauffenberg" schmückt, dann ist es weniger der alte Mythos, der hier lebendig ist, sondern eher das Know-How eines verlässlichen Dienstleisters, zu dem Babelsberg inzwischen geworden ist. Die "Berliner Straße", eine der größten Außendekorationen Deutschlands, kann heute von Besuchern besichtigt werden, ebenso wie der Filmpark, in dem viele Erinnerungen an die Babelsberger Glanzzeit wach gehalten werden.

Das Studio ist inzwischen mehr als ein Produktionsstandort – die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf hat sich hier angesiedelt, das Deutsche Filmorchester ist zurückgekehrt und es kann schon passieren, dass man in der Kantine auf Gerard Depardieu oder Roman Polanski trifft, und das sind dann definitiv keine Gespenster.

Film- und Medienstadt Babelsberg

Beitrag von Knut Elstermann

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