trans Jugendliche und Selbstbestimmung - "Ich möchte richtig angesprochen werden"

Mi 23.08.23 | 12:15 Uhr | Von Naomi Donath
Lou ist 13 und lebt in Berlin. Sie möchte nicht erkannt werden. (Bild: rbb/Naomi Donath)
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Video: rbb|24 | 16.08.2023 | Naomi Donath | Bild: rbb/Naomi Donath

Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Damit könnten 14-Jährige ihren Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern - wenn die Eltern zustimmen. Doch es gibt Kritik. Von Naomi Donath

Als sich Lou (Name geändert) in der ersten Klasse beim Sportunterricht aufstellen soll, hier die Jungs, da die Mädchen, ist sie verwirrt. "Ich habe gewusst, dass irgendwas nicht richtig ist", erzählt sie, "dass ich nicht wirklich ein Junge bin". Heute ist sie 13. Als sie in ihre Berliner Grundschule eingeschult wurde, war sie sechs.

Bei der Geburt bekam Lou einen Jungennamen. Doch von kleinauf trägt sie zu Hause Kleider. Mit zehn Jahren hält Lou es nicht länger aus: Sie erzählt ihrer Mutter, dass sie ein Mädchen ist. "Ich hatte Angst davor, das zu sagen. Aber es war befreiend, weil man jahrelang eine Last mit sich trägt. Es fällt einem ein Stein vom Herzen."

Beim Arzt mit dem Deadname aufgerufen

Lous Eltern akzeptieren und unterstützen sie. Doch auf Lous Personalausweis und Gesundheitskarte steht noch ihr alter Name. "Ich werde beim Arzt immer noch mit meinem 'Deadname' [ihrem alten, nicht mehr verwendeten Vornamen, Anm.d.Red.] aufgerufen. Das ist nicht so schön. Ich würde gerne richtig angesprochen werden", erzählt Lou. "Das ist natürlich auch für die anderen Patienten verwirrend, wenn ein 13-jähriges Mädchen mit einem Jungennamen aufgerufen wird."

Auch in der Schule steht ihr alter Name noch im Klassenbuch. Unbedacht habe eine Lehrerin den Jungennamen vorgelesen und Lou damit vor ihren Mitschüler:innen geoutet. Seitdem mobben andere Kinder Lou und nennen sie mit ihrem Deadname.

Änderung aktuell ab 18 Jahren möglich

Lou möchte ihren Vornamen ändern, doch das ist momentan erst ab 18 Jahren über das Transsexuellengesetz möglich. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Entwurf zum "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG) [bmfsfj.de] beschlossen. Damit kann der Gesetzentwurf im Oktober in den Bundestag eingebracht werden.

Das Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Minderjährige ab 14 Jahren ihren Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern können. Dafür brauchen sie aber die Zustimmung ihrer Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten. Sobald ein Elternteil nicht zustimmt, dass das 14- bis 17-jährige Kind den Vornamen oder Geschlechtseintrag ändern will, soll ein Familiengericht entscheiden. Maßstab soll das Kindeswohl sein.

Übliche Praxis im Familienrecht

"Das Selbstbestimmungsgesetz folgt dem normalen Rahmen im Familienrecht: Die Selbstbestimmtheit ist mit 14 möglich, wenn die Eltern entsprechend zustimmen", sagt Jürgen Lenders, LSBTI-politischer Sprecher der FDP im Bundestag. "Die Eltern sind diejenigen, die das Kind am besten kennen. Das ist ein starkes Argument dafür, dass wir diesen Rechtsrahmen, den wir im Familienrecht kennen, nicht verlassen."

14-Jährige sollen selbst entscheiden dürfen

Tessa Ganserer, Bundestagsabgeordnete der Grünen, kritisiert diese Regelung. Sie möchte, dass trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Jugendliche ohne Zustimmung der Eltern entscheiden können. "14-Jährige sind sehr reflektiert und wissen über ihre Geschlechtlichkeit Bescheid", sagt Ganserer.

Sie verweist auf eine Studie des Deutschen Jugendinstitutes von 2015 [dji.de]. Demnach werden sich die meisten trans Kinder und Jugendlichen spätestens im Alter von 14 Jahren bewusst, dass das Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht für sie passt. Bis sie sich outen, vergehen oft mehrere Jahre - wie bei Lou. Sie haben Angst, von ihren Eltern abgelehnt und in der Schule gemobbt zu werden.

Einige Jugendliche bewerben sich im Alter zwischen 14 und 17 Jahren auf eine weiterführende Schule oder auf einen Ausbildungsplatz. "Da ist es ein großes Problem, wenn die amtlichen Dokumente nicht passen", sagt Ganserer. "Wenn endlich ihr richtiger Name auf ihrem Ausweis steht, können sie auch die richtigen Zeugnisse bei der Schule einfordern."

Lous Eltern möchten nicht erkannt werden. (Bild: rbb/Naomi Donath)
Lou und ihre Eltern leben in Berlin. Sie möchten nicht erkannt werden. | Bild: rbb/Naomi Donath

Selbstbestimmungsgesetz würde zum 1. November 2024 in Kraft treten

Das Selbstbestimmungsgesetz tritt, wenn es vom Bundestag verabschiedet wird, zum 1. November 2024 in Kraft. Lou wäre dann 14. Lous Eltern wollen beide zustimmen, dass Lou ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern kann. "Lou könnte sogar allein zum Standesamt gehen, und ich würde ihr eine gute Entscheidung zutrauen", sagt ihre Mutter.

Er finde die aktuell im SBGG vorgesehene Regelung in Ordnung, sagt Lous Vater. Er hätte "Bauchschmerzen", wenn 14-Jährige ohne die Zustimmung der Eltern aufs Standesamt gehen könnten. "Ich denke, dass Kindern mit 14 Jahren nicht dieses Instrument an die Hand gegeben werden sollte, ohne dass sie mal mit ihren Eltern darüber geredet haben. Das könnte in sowieso schon schwierige Familien einen mächtigen Keil treiben."

Jürgen Lenders, LSBTI-politischer Sprecher der FDP im Bundestag. (Bild: rbb/Naomi Donath)
Jürgen Lenders ist LSBTI-politischer Sprecher der FDP im Bundestag. | Bild: rbb/Naomi Donath

"Dann werden ja immer mehr Kinder trans"

Kritiker:innen des Gesetzes wie Sahra Wagenknecht (Die Linke) unterstellen, das Gesetz fördere "Geschlechtsumwandlungen" bei Kindern und Jugendlichen [spiegel.de]. Doch der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz regelt gar keine geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen.

"Es gibt die Gegner, die sagen: Dann werden ja immer mehr Kinder trans", sagt Jürgen Lenders, LSBTI-politischer Sprecher der FDP im Bundestag. "Dieses Vorurteil ist absurd." Lenders kritisiert die Debatte um das SBGG als unsachlich: "Es schwingt immer die Unterstellung mit, dass sich heterosexuelle cis Männer Vorteile dadurch verschaffen könnten, relativ einfach den Geschlechtseintrag ändern zu können. Indem sie sich Zutritt in Frauenschutzräume, beispielsweise in eine Frauensauna, verschaffen könnten", sagt Lenders. "Wer da mal mit gesundem Menschenverstand darüber nachdenkt, wird merken, wie absurd dieser Vorwurf ist. Wer das machen will, der braucht dafür nicht das Standesamt. Der hat das auch vorher schon gemacht."

Denn die Änderung des Geschlechtseintrags, so sieht es der Gesetzentwurf vor, bewirkt keinen rechtlichen Anspruch auf den Zugang zu Räumen, in denen auch jetzt schon das Hausrecht gilt - etwa zu geschlechtsspezifischen Toiletten und Umkleideräumen sowie zu geschlechtsspezifischen Saunen.

Transfeindliche Debatte um das Gesetz

Lous Vater kritisiert die Debatte um das SBGG als transfeindlich: "Ich mache mir Sorgen. Lou ist stark und kann eine Menge wegstecken. Aber sie will sich nicht immer damit beschäftigen, was andere in ihr sehen, sondern sie will einfach leben. Und durch diese transfeindlichen Diskussionen wird das eigene Sein jedes Mal wieder infrage gestellt. Man sieht den Menschen nicht. Das macht mich wütend."

Lou sagt, sie möchte gar keine geschlechtsspezifischen Umkleideräume oder Duschen nutzen. "Da würde ich mich unwohl fühlen, nicht so sicher." In der Schule geht Lou auf die Mädchentoilette. Sie sagt, damit gibt es keine Probleme. Zum Sportunterricht zieht sich Lou gleich morgens die Sportsachen an, damit sie sich nicht mit den anderen Kindern umziehen muss. Zur Klassenfahrt nutzt Lou die Einzelkabine der Betreuer:innen, dort gibt es eine eigene Toilette und eine eigene Dusche. Damit fühlt sie sich wohl, sagt Lou. "Mit einer offenen Dusche würde ich mich nicht so wohl fühlen, da könnte jeder reingucken."

Ihre Eltern sind glücklich, dass sich Lou ihnen gegenüber anvertraut hat. "Nach Lous Coming Out waren wir im Urlaub", erzählen sie. "Lou konnte sich das erste Mal als Mädchen anziehen und bewegen. Das war schon besonders: zu sehen, wie befreit und glücklich dieses Kind plötzlich ist."

Transparenzhinweis: Die Autor:in ist Mitglied bei TransInterQueer e.V.

Beitrag von Naomi Donath

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