60 Jahre Notaufnahmelager - Vom "Tor zur Freiheit" zum Erinnerungsort
Manche kamen ohne Gepäck, andere nur mit einem Koffer, doch alle wollten sie in ein neues Leben starten: Am 14. April 1953 eröffnete das Notaufnahmelager für Flüchtlinge aus der DDR in Berlin-Marienfelde - eine Chronologie der vergangenen 60 Jahre.
Am 14. April 1953 weiht der damalige Bundespräsident Theodor Heuss das zentrale Notaufnahmelager für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR ein: zehn Häuserblocks für etwa 2.000 Flüchtlinge. Das Lager an der Marienfelder Allee 66/80 ist eine Gründung aus der Not heraus: Tausende Menschen verlassen damals Monat für Monat die DDR in Richtung Westen.
West-Berlin trägt dabei die Hauptlast der Flüchtlingstroms, denn seit die DDR-Regierung begonnen hat, die innerdeutsche Grenze ab Mai 1952 abzuriegeln, konzentriert sich der Flüchtlingsstrom auf die geteilte Stadt. Hier sind die Sektorengrenzen zwischen Ost und West noch passierbar.
Noch 1951 wird fast zwei Drittel der Antragssteller im Notaufnahmeverfahren abgelehnt. Gerade in den ersten Nachkriegsjahren werden sie als Konkurrenten um die allseits knappen Güter Wohnraum, Lebensmittel und Arbeitsplätze angesehen. Ab Mitte der 1950er Jahre liegt die Ablehnungsquote dann allerdings nur noch bei einem Prozent.
Im Notaufnahmelager wird es damit bald eng: Bis 1961 wird es ständig ausgebaut - und ist dennoch fast immer überbelegt.
Mit dem Mauerbau 1961 reißt der Zustrom in das Notaufnahmelager Marienfelde ab, denn eine Flucht aus der DDR wird immer schwieriger. Einige der mehrgeschossigen Häuser gehen an eine Wohnungsbaugesellschaft. Für Flüchtlinge bleiben rund 800 Plätze.
Aussiedler aus Mittel- und Osteuropa kommen nach Marienfelde
Ab 1962 ist Marienfelde außerdem Aufnahmestelle für Aussiedler (ab 1993: Spätaussiedler), also Angehörige deutscher Minderheiten, die vor dem Ende des 2. Weltkriegs ihren Wohnsitz jenseits der heutigen Ostgrenzen Deutschlands hatten. Sie kommen aus Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarn oder Rumänien. Von 1962 bis 2010 nimmt Marienfelde rund 96.000 Aussiedler auf.
Fluchtwelle 1989/1990
Als Ende der 80er Jahre die Hoffnung auf Veränderung in der DDR endgültig stirbt, wird es im Notaufnahmelager für DDR-Flüchtlinge wieder voll: Insgesamt kommen 1989 knapp 350.000 Menschen, allein im November 1989 – dem Monat des Mauerfalls – sind es rund 135.000. In den Monaten Januar bis Juni 1990 folgten weitere 238.000.
Wiedervereinigung: Faktisches Ende der DDR-Flucht
Mit dem Tag der deutschen Währungs- und Wirtschaftsunion am 1. Juli 1990 erlischt Marienfeldes Funktion als Aufnahmestation für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR.
Aber auch nach dem Ende des Notaufnahmeverfahrens für DDR-Flüchtlinge und Übersiedler bleibt Marienfelde zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler, erst im Sommer 2010 wird diese aufgrund der geringen Zuwanderung geschlossen.
Im Dezember 2010 wird das Aufnahmelager Marienfelde als Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber reaktiviert. Es wird zur Wohnstätte für Flüchtlinge und Asylbewerber aus 20 Nationen, unter anderem Serbien, der Russischen Föderation, Afghanistan, Iran, Irak, Syrien, Somalia und dem Libanon.
Erinnerung an die Flucht
Bereits kurz nachdem die Aufnahme von Flüchtlingen und Übersiedlern aus der DDR im Juli 1990 endet, beginnen ehemalige Flüchtlinge, Mitarbeiter des Notaufnahmelagers und interessierte Wissenschaftler damit, Gegenstände, Dokumente und Informationen zum Leben und zur Arbeit in Marienfelde zu sammeln. Im Oktober 1993 gründen sie den Verein "Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde".
Die erste Ausstellung läuft von 1993 bis 2005 unter dem Titel "Nach der Flucht. Leben im Übergangswohnheim Marienfelder Allee". Seit 2005 gibt es die Dauerausstellung "Flucht im geteilten Deutschland". Pro Jahr kommen rund 15.000 Besucher, darunter viele Schulklassen.