Sybill Klotz tritt nicht mehr an - "Man muss am Ende des Tages in den Spiegel gucken können"

So 18.09.16 | 08:44 Uhr
Sibyll Klotz (Quelle: rbb Abendschau/ Bernd von Jutrczenka)
Audio: Inforadio | Di 13.09.2016 | Vis à vis | Bild: rbb Abendschau/ Bernd von Jutrczenka

Sibyll Klotz war Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Fraktionsvorsitzende und in den letzten zehn Jahren als Stadträtin in der Bezirkspolitik aktiv. Ende des Jahres hört sie auf, zur Wahl tritt sie nicht mehr an. Von Politikverdrossenheit hört man im Interview keine Spur.

Frau Klotz, Sie kamen im Ostteil Berlins auf die Welt, fünf Monate nach ihrer Geburt wurde die Mauer gebaut. Ihr Vater war kommunistischer Widerstandskämpfer, von Beruf Chemiker, ihre Mutter hatte eine kleine Kneipe. Was haben Ihnen Ihre Eltern mitgegeben?

Meine Eltern haben nicht zusammengelebt, deshalb habe ich meinen Vater wenig gesehen. Er war Kommunist, war im Konzentrationslager Sachsenhausen, später im Strafbataillon 999, war in amerikanischer Gefangenschaft. Als er nach Ost-Berlin zurückkam, fiel er unter die sowjetische Richtlinie, dass diejenigen, die zurück aus westlicher Gefangenschaft kamen, keine leitenden Positionen besetzen durften.

Meine Mutter war eine Geschäftsfrau, hatte sehr unterschiedliche Kneipen und ich habe im zarten Alter von sechs, sieben Jahren schon mal kurz hinter dem Tresen im Cafe Nord in der Schönhauser Allee gestanden.  Da habe ich vieles erlebt, nicht nur Angenehmes.

[…] Meine Mutter hat mir mitgegeben, selbst Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, außerdem einen Drang nach Bildung und den Satz: 'Sei nie von einem Mann abhängig'. Das sind schon wichtige Botschaften gewesen. Von meinem Vater habe ich - obwohl wir uns nicht so viel gesehen haben - das Thema soziale Gerechtigkeit  und die Überzeugung, Chance haben zu müssen. Jeder soll das Recht haben, etwas zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen.

Sie sind jetzt seit fast 26 Jahren in der Politik - erst im Abgeordnetenhaus, dann im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Mich hat erstaunt, dass Sie eine Frau ohne erkennbaren Machtinstinkt sind, die nie erkennbar zu den Klüngeln in Ihrer Partei, den Grünen, gehört hat. War Ihr Weg dadurch schwieriger?

Das weiß ich nicht. Ich finde, man muss am Ende des Tages - das war meine Haltung zu DDR-Zeiten und ist sie noch bis heute - in den Spiegel gucken können und mit dem, was man gemacht hat, okay sein. Das ist mein Lebensmotto. Ich habe noch ein paar andere wie 'Augen zu und durch'. Ich mache den Job ja nicht für mich, sondern bin entsendet für eine befristete Zeit von fünf Jahren einer Legislaturperiode. In dieser Zeit soll ich das Gemeinwesen politisch mit gestalten. Das unterscheidet sich von einem anderen Job. Diese Selbstdarstellungsgeschichten finde ich zum Teil auch abstoßend. Keinen Machtinstinkt zu haben ist mir zum Teil negativ ausgelegt worden. Das ist das Verrückte: Einerseits wird beklagt, dass die Politik oberflächlich ist und Politiker nur an sich selbst denken und Show machen. Wenn man anders organisiert ist, heißt es: 'Schade, die hat ja gar keinen Machtinstinkt'. Was denn nun?

In Ihrer Zeit im Abgeordnetenhaus waren sie immer in der Opposition, schmerzt das noch wie eine verpasste Goldmedaille?

Es gab zweimal eine rot-grüne Mehrheit, die die SPD nicht wollte. Daran muss man gerade jetzt, wo Michael Müller so tut als ob er der größte Fan von Rot-Grün sei, noch mal erinnern. Er war jedes Mal daran beteiligt, sich gegen eine rot-grüne Landesregierung zu entscheiden. Was heißen Schmerzen? Ich glaube, es hätte der Stadt und den Grünen gut getan. Die Vorschläge und Energien der Grünen sind für eine Metropole für Berlin vielleicht ganz nützlich, wenn man sich anguckt, wo wir im Moment stehen. Dass diese Ideen in die Umsetzung gekommen wären, das wäre schon gut gewesen.

Seit zehn Jahren können Sie als Stadträtin im Rathaus von Tempelhof-Schöneberg im Bezirk etwas bestimmen. Wie sieht das Gestalten konkret aus, wenn die Bezirkskasse nicht gut gefüllt ist und es zwischen Senat und Bezirken immer wieder Streitigkeiten gibt?

Ich gestalte mit einer kompletten Verantwortung für bestimmte inhaltliche Felder. Bei mir ist es das Gesundheitsamt, das Sozialamt und das Stadtentwicklungsamt. Ich trage auch für Personalentscheidungen die Verantwortung, damit setze ich die Linien im Rahmen der Ermessungsspielräume. Die Höhe der Sozialhilfe kann ich damit als Stadträtin nicht beeinflussen, aber ob und was wir für die Senioren oder für die Öffnung der Nachbarschaftszentren tun. Dazu gehören auch Entscheidungen im Rahmen des Baurechts: Wo wird Neubau realisiert, wo nicht? Da hat man doch schon einen Einfluss. Das ist eine komplett andere Nummer als im Abgeordnetenhaus auf der Oppositionsbank zu sitzen.

Wie geht es weiter in Ihrem Leben? Bleiben Sie der Politik treu?

Mein Plan ist es, Ende des Jahres aufzuhören, dann werde ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin ein Vierteljahr in die USA fahren und dort endlich richtig Englisch lernen.  Wir werden uns wieder auf die Schulbank setzen und uns ein paar Wochen das Land angucken. Mitte nächsten Jahres werde ich mir eine Aufgabe suchen, eine Arbeit suchen - und werde natürlich der Politik in der einen oder anderen Art und Weise erhalten bleiben. Das ist doch keine Frage…

Das Gespräch mit Sibyll Klotz führte Wolf Siebert für Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des vollständigen Interiews, das Sie oben im Beitrag im Audio hören können.

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