(Bild: rbb/Gordon Muehle)
Bild: rbb/Gordon Muehle

Tatort: Am Tag der wandernden Seelen - Buch & Regie: Mira Thiel und Joesphine Scheffler im Interview

Von Ihnen stammt die Ursprungsidee, die Kommissare durch eine Leiche und einen verborgenen Keller auf die Spur einer Flüchtigen zu setzen und die Geschichte von einem Keller bis in eine Pagode zu führen, zur Zeit der Feierlichkeiten des vietnamesischen Geistermonats. Wie kam es zu dieser Idee?

Josephine Scheffler: Als ich nach Berlin zog, habe ich mich überraschenderweise sicherer gefühlt als vorher auf dem Land. Die Stadt schläft nicht. Es ist immer jemand da. Aber das ist auch die Kehrseite der Medaille — sie schläft nicht. Und es ist immer jemand da. Man versinkt in der Anonymität und wenn man verschwindet, wenn man zum Beispiel illegal da wäre, würde es jemand bemerken? Und wenn ja, wäre es dann vielleicht schon zu spät? Durch einen vietnamesischen Freund und Kollegen, der damals über Schleusungen nach Deutschland recherchierte, erfuhr ich später nicht nur von dem langen und harten Wege der vietnamesischen Zuwanderer hier her, sondern auch wie untrennbar die vietnamesische Zuwanderung mit der Berliner Ost- und Westgeschichte verknüpft ist. Eine Geschichte, die noch viel zu wenig erzählt wird.

Was war zuerst da, der Keller oder die Pagode?

Josephine Scheffler: Ich begann, mich mit der vietnamesischen Gemeinschaft in Berlin zu beschäftigen. Dabei traf ich auf faszinierende Menschen, ihre Gemeinschaft und Kultur, die mich zutiefst berührten. Diese Gemeinschaft ist für mich nicht zuletzt von einem immensen Hoffnungsgefühl geprägt, das sich auch durch ihren Ahnenkult und dem Tag der wandernden Seelen ausdrückt und auch über das irdische Leben hinausreicht. Ein Aspekt, der mich zutiefst beeindruckt hat und mich mit dem Gedanken, dass in jeder Finsternis auch Hoffnung zu finden ist, die Grundidee der Geschichte entwickeln ließ.

Im Film geht es um Gewalt gegen Frauen, Arbeitsmigration, die verschiedenen vietnamesischen Communities in Berlin und ihre historische Entwicklung. Wie haben Sie sich den Themen genähert?

Mira Thiel: Solchen komplexen Themen kann und will ich mich als Filmemacherin nur annähern durch sorgfältige Recherche, mit der Unterstützung von Fachexperten und im engen Austausch mit "Überlebenden". Bei diesem Film hatte ich das Glück, dass eine meiner Hauptdarstellerinnen Mai-Phuong Kollath ihre Biografie mit mir teilte. Vieles davon ist in ihre Figur geflossen.

Die Berliner Pagode spielt für die Geschichte eine wichtige Rolle. Was haben Sie erlebt und herausgefunden an diesem Ort?

Mira Thiel: Erst einmal kann ich mich nicht genug bei der Gemeinde bedanken. Nicht nur, dass ich so offenherzig mit all meinen Fragen aufgenommen wurde, sondern auch, weil wir an diesem friedlichen, spirituellen Zufluchtsort das Vu Lan Fest als Drehteam begleiten durften. Ich habe dabei viel herausgefunden, nicht ganz so viel wie Karow im Film, aber doch einiges.

(Bild: rbb/Britta Krehl)
Bild: rbb/Britta Krehl

Auf welche Weise sind Sie eingetaucht in die vietnamesische Lebenswelt in Berlin?

Mira Thiel: Da ich einen großen Wert auf eine respektvolle und nuancierte Darstellung der Hoffnung und Resilienz der vietnamesischen Gemeinschaften in Berlin lege, waren mir neben dem Erlernen der "Hardskills", also das Begreifen durch Literatur und Dokumentationen, vor allem die "Softskills", also der direkte Austausch wichtig. Dadurch kam ich auch auf das akute Problem, dass die buddhistische Gemeinde in Lichtenberg um den Erhalt ihrer Pagode bangt.

Im Film fallen die extremen Gegensätze von Spiritualität und Brutalität auf – war das von Anfang an Konzept oder hat sich das erst in der Arbeit ergeben?

Mira Thiel: In diesem Film hat mich von Anfang an der Wille zur Heilung angetrieben. Ein Trauma kann geheilt werden, wenn der Wille dazu da ist. Ich halte diesen Willen für spirituell. In einer Welt voller dystopischer Machismo-Kriege möchte ich wenigstens in meinen Filmen Raum zur Heilung geben. So liegt es nahe, dass der innere Motor von all den Figuren in diesem Film der Wille zur Heilung ist – Bonard, Karow, Dr. Müller, Vien, Mai, Barbie – sie alle wollen heilen. Es war eine bewusste Entscheidung, genau aus diesem Bedürfnis generiert sich die filmische Spannung für diesen "Tatort".

Pressedossier