(Bild: rbb/Gordon Muehle)
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Tatort: Am Tag der wandernden Seelen - Mai-Phuong Kollath, Hanh Mai Thi Tran und Trang Le Hong über Kultur und Geschichte des Films

Der "Tatort: Am Tag der wandernden Seelen" verhandelt viele Aspekte der Kultur und der Lebenswelt von in Berlin lebenden Vietnamesinnen und Vietnamesen. Was war Ihnen wichtig an dieser Geschichte? Was ist für Sie das Erzählenswerteste daran?

(Bild: rbb/Britta Krehl)
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Mai-Phuong Kollath: Die Vietnamesen in Berlin teilten mit den Deutschen die historische Erfahrung von Trennung und Vereinigung ihres Landes. Mit dem Ende des Vietnamkrieges gab es zwei Migrationsbewegungen nach Deutschland. In die damalige DDR kamen Vietnamesen (vorwiegend aus dem Norden) als Vertragsarbeiter, nach Westdeutschland überwiegend Menschen auf der Flucht aus Südvietnam ("Boatpeople"). Nach dem Mauerfall fanden sie sich in einem geeinten Land bzw. geeinten Berlin wieder, oft auch konfrontiert mit Vorurteilen und alten Verletzungen resultierend aus dem Krieg zwischen Nord- und Südvietnam. Gemeinsam war diesen beiden Gruppen jedoch die Diskriminierungserfahrung in der neuen Heimat. Als ehemalige Vertragsarbeiterin in der DDR und als Zeitzeugin der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen kann ich ein nachhaltiges Kunstwerk in der "Tatort"-Produktion erkennen. Wir haben diese Themen wieder in dem Film, dennoch ist sie keine reine Wiederholung der Geschichte, sondern eine Story, die aus der Realität stammt. Meine größte Hoffnung ist, dass diese Geschichte bei den Zuschauern noch lange nachwirkt und die Lebensleistungen der Vietnamesen im vereinigten Deutschland gesehen und gewürdigt werden.

Trang Le Hong: Für mich war wichtig, dass wir kulturell nichts Falsches erzählen und dem Ganzen einen gewissen Respekt erweisen. Unsere Geschichte im "Tatort" handelt zwar von der vietnamesischen Community, aber es hätte auch eine andere Kultur sein können. Es geht um die Geschichten der Menschen dahinter und deren Leben und Gefühle. Durch die vietnamesische Lebenswelt bekommt der Film seine besonderen Farben und Nuancen – was ihn für mich noch schöner und interessanter macht. Das Erzählenswerteste daran war, dass es um die Geschichte dreier starker vietnamesischer Frauen geht.

Hanh Mai Thi Tran: Das Wichtigste an dieser Arbeit war für mich, gemeinsam mit meinen deutsch-vietnamesischen Kolleg*innen über das Narrativ der Community bestimmen zu können, um ein Bewusstsein für eine intersektionale Sichtweise auf das Leben vietnamesischer Menschen in Deutschland zu schaffen. Als Kunstschaffende müssen wir uns im Klaren sein, welche Macht das Medium Film hat und welche Verantwortung wir tragen, um Sehgewohnheiten zu brechen. Es dürfen keine eindimensionalen rassistischen Denkmuster und Bilder reproduziert werden. Dieser "Tatort" soll empowern und starke vietnamesische Frauen darstellen, die sich aus ihrer Opferrolle befreien und sich das zurückerobern, was ihnen zusteht: Selbstbestimmtheit.

"Am Tag der wandernden Seelen" ist der Titel des aktuellen Berliner "Tatorts". Er bezieht sich auf den gleichnamigen vietnamesischen Festtag – Was sind für Sie die wichtigsten Zeremonien und welche Werte stehen dahinter?

(Bild: rbb/Gordon Muehle)
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Trang Le Hong: Für mich ist Tet, das Neujahrsfest, der wichtigste vietnamesische Festtag, den wir mit Familie und Freunden zelebrieren. Ich bin nicht unbedingt der gläubigste Mensch, aber ich finde es immer schön, diese Traditionen und Bräuche zu leben. Es sind vor allem diese kleinen Besonderheiten, die es in der deutschen Kultur nicht gibt: z.B. an Neujahr im Tempel beten, und sich eine Jahresprophezeihung holen, "Li Xi" Geldgeschenke in roten Umschlägen für die Kinder oder gemeinsames "Banh Trung" (Klebreiskuchen) machen. Mit der Vorbereitung auf diese "Tatort"-Folge habe ich auch das Vu Lan Fest wirklich kennen und lieben gelernt, ein Tag zu Ehren der Mutter.

Mai-Phuong Kollath: Die Ahnenverehrung hat einen hohen Stellenwert. Wir verehren und kommunizieren mit unseren verstorbenen Eltern und Familienangehörigen so, als würden sie noch am Leben sein.

Hanh Mai Thi Tran: Ehrlich gesagt, war meine Familie nie eine Familie, die großartig Festtage gefeiert hat. Meine Familie war damit beschäftigt hart zu arbeiten und sich erfolgreich assimilieren zu müssen. Wir haben eher westliche Feste wie Weihnachten gefeiert oder Geburtstage, die in Vietnam keine Bedeutung haben – wahrscheinlich der Grund, warum meine Mama regelmäßig ihren Geburtstag vergisst. Für mich bleibt vielmehr der Alltag in Erinnerung, der einen Hauch von Zeremonien und die damit verbundenen Wertvorstellungen in sich getragen hat, wie z.B. das Verschenken kleiner praktischer Dinge, die mein alltägliches Leben erleichtern sollten; das gemeinsame Fernsehschauen oder das miteinander Essen. Hauptsache man war zusammen, füreinander da: die Familie als Fels in der Brandung. Daher ist der Ahnenkult eine tiefverankerte Tradition in Vietnam, selbst wenn man nicht gläubig ist. Und Kultur verbindet, die Community als erweiterte Großfamilie, dieser Zusammenhalt, diese Wärme und Liebe macht jeden Tag für mich zu einem Fest.

Was halten sie für die größten Unterschiede im Umgang der deutschen und der vietnamesischen Kultur mit den Ahnen?

Mai-Phuon Kollath: Die Ahnenverehrung. Die Anbetung und Verehrung der Persönlichkeit der Verstorbenen ist mit der Seelenvorstellung der Menschen, dem Familienzusammenhalt und der Achtung vor dem Alter zu erklären. Sie ist in Vietnam weit verbreitet und wird von allen Vietnamesen sehr ernst genommen und treu praktiziert — konfessionsübergreifend. Die vietnamesische Familie besteht aus Lebenden und Verstorbenen. Denn die zwischenmenschlichen Beziehungen enden nicht mit dem Tod. Die einzige religiöse Bestätigung, die zu keiner Zeit problematisch war, ist verständlicherweise die Ahnenverehrung. Sie ist so tief in der vietnamesischen Seele verankert, dass niemand jemals auf den Gedanken gekommen wäre, sie zu bekämpfen. Es ist anzunehmen, dass fast alle in Deutschland lebenden Vietnamesen nach wie vor ihre Ahnen verehren. In jeder Wohnung findet man einen Ahnenaltar.

Pressedossier