Gilt seit 1. Januar - Viele Unternehmen schlecht auf Lieferkettengesetz vorbereitet

Mo 16.01.23 | 06:26 Uhr | Von Jan Wiese
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Symbolbild. (Bild: Markus Scholz/dpa)
Bild: Markus Scholz/dpa

Ausbeutung, Kinderarbeit, Umweltsünden: Immer wieder kommt es zu Skandalen bei Zulieferern deutscher Unternehmen. Seit 1. Januar gilt ein neues Gesetz, das Missstände verhindern soll - bislang mit wenig Erfolg. Von Jan Wiese

Für etwa 50 Firmen in Brandenburg und Berlin gilt es bereits: das erste deutsche Lieferkettengesetz. Und stellt, so die IHK Potsdam auf Anfrage des rbb, die Unternehmen "vor immense bürokratische Herausforderungen".

Denn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wie es ganz genau heißt, verpflichtet große Unternehmen, Maßnahmen bei sich und ihren Lieferanten zu ergreifen, deren Erfüllung dann als sorgfältiger Umgang mit den Rechten von Menschen und Umwelt gilt. Maßnahmen, die mit großem Aufwand einhergehen: Regelmäßige Risikoanalysen aller direkten Zulieferer, die Einrichtung von Beschwerdemöglichkeiten sowie Präventivmaßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt etwa zählen dazu.

Viele Unternehmen fühlen sich nicht gut aufgestellt

Wie eine aktuelle Studie zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes in deutschen Unternehmen jetzt zeigt, fühlen sich die meisten Unternehmen noch nicht gut aufgestellt. Obwohl das Gesetz seit Jahresbeginn in Kraft ist, gaben nur etwa vier Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie auf der organisatorischen Ebene sehr gut darauf vorbereitet seien, 70 Prozent dagegen sehen sich mittelmäßig bis sehr schlecht aufgestellt.

Durchgeführt haben die Studie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und das Risikomanagement-Unternehmen Integrity Next. Zum BME zählen fast 10.000 Mitglieder aus allen Branchen, darunter alle 30 DAX-Konzerne. Knapp 250 Mitgliedsunternehmen haben sich an der Umfrage beteiligt, vom Kleinunternehmen bis zum Konzern mit mehr als 50.000 Mitarbeitern. Angesichts der Studienergebnisse urteilt die Hauptgeschäftsführerin des BME, Dr. Helena Melnikov: "Es ist höchste Zeit für die deutsche Wirtschaft zu handeln und die Einhaltung von Standards bei sozialen Rahmenbedingungen und Umweltaspekten entlang der globalen Wertschöpfungsketten proaktiv anzugehen. Dazu müssten sie sich aber zunächst mit zentralen Themen wie Lieferanten-Monitoring und Risikomanagement auseinandersetzen."

Zwar fallen gegenwärtig nicht alle der befragten Unternehmen unter das Gesetz: Es gilt vorerst nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern. Ab dem 1.1.2024 ist es dann auch für Firmen ab 1.000 Mitarbeiter verbindlich. Doch die Tendenz, die sich in der Studie abzeichnet, ist eindeutig.

Wenig Transparenz bei direkten Zulieferern

Die Antwort auf die Frage, inwieweit die Unternehmen Klarheit über ihre direkten Lieferanten haben, fällt ernüchternd aus: nur 13 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern haben volle Transparenz, wenn es um Risiken wie mögliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren unmittelbaren Geschäftspartnern geht.

"Das mag man kaum glauben, denn mit denen macht man ja das Geschäft", sagt dann auch Nick Heine, Mitgründer von Integrity Next. Das Unternehmen ist eines von mehreren am Markt, das als Nachhaltigkeits-Dienstleister den Firmen mithilfe digitaler Werkzeuge wie Online-Plattformen oder Social-Media-Analysen Unterstützung anbietet, wenn es um die Umsetzung des Lieferkettengesetzes geht. Werkzeuge, die dringend notwendig sind, denn die Kunden von Integrity Next kommen auf durchschnittlich 6.000 direkte Lieferanten, die es jetzt zu prüfen gilt. Bei größeren Unternehmen geht deren Anzahl in die zehntausende. Eine Berücksichtigung von Menschenrechten und Umweltaspekten fällt da bislang in der Einkaufspraxis häufig hinten runter.

"Es ist tatsächlich so, dass da oft eingekauft wird, ohne dass irgendeine Strategie- oder Nachhaltigkeitsabteilung das sieht und weiß. Und sehr viele, das Gros der Lieferketten, sind tatsächlich im Nebel", so Heine.

Kontrollbehörde zu langsam

Was die Studie auch zeigt: viele Unternehmen stehen den vom Gesetz geforderten Maßnahmen noch weitgehend ratlos gegenüber. Erst sechs Prozent fühlen sich zum Beispiel in Sachen Präventionsmaßnahmen sehr gut aufgestellt, weitere 22 Prozent bewerten sich selbst als "eher gut". Nur vier Prozent scheinen genau zu wissen, welche Abhilfemaßnahmen sie im Fall möglicher Verstöße und Risiken ergreifen sollen. Das könnte auch daran liegen, dass die zuständige Kontrollbehörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) – erst spät, ab August 2022 damit begonnen hat, eine erste Handreichung herauszugeben, und das auch nur für einen Einzelaspekt des Gesetzes: "Die Ansprüche der Kontrollbehörde an die praktische Umsetzung in den Unternehmen war lange unklar. Sie konnten sich also nur Schritt für Schritt anpassen und haben noch ein Stück Wegstrecke zu gehen", kritisiert deshalb Helena Melnikov vom BME das Bundesamt.

So wie die Unternehmen bei ihren Zulieferern oft im Dunkeln tappen, scheint auch das Bundesamt nicht so genau zu wissen, welche Firmen es eigentlich beaufsichtigen soll. Auf schriftliche Anfrage von rbb24 Recherche, wie viele Unternehmen gegenwärtig unter das Lieferkettengesetz fallen, antwortet es mit einer Schätzung: ca. 1.300. Genauere Zahlen oder gar eine regionale Verteilung dieser Unternehmen kennt das Amt nicht. Denn die Unternehmen, die das BAFA seit Anfang des Jahres eigentlich kontrollieren soll, müssen sich erstmal selbst beim Amt melden.

Gesetz als Startpunkt

Auch wenn die Ergebnisse der Studie zum Teil sehr ernüchternd sind, Nick Heine von Integrity Next sieht einen positiven Einfluss neuen Gesetzes auf die Unternehmen: "Die Unternehmen fangen an, gute Leute auf dieses Thema zu setzen. Das wird auf der Vorstandsetage diskutiert. Die Nachhaltigkeitsabteilung beschäftigt sich damit. Der Einkauf beschäftigt sich damit, die Compliance auch. Da ist viel Aufmerksamkeit drauf. Also ich denke, es ist ein guter Anfang."

Ohne das Gesetz – das macht die Studie auch klar – wäre die Lage sicherlich noch prekärer. Denn auf die Frage, was die Firmen überhaupt zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen und Umweltrisiken entlang ihrer Lieferketten motiviert, antworten mit 56 Prozent die meisten lediglich: die Einhaltung von Gesetzen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.01.2023, 8 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    Beim Fahrradsattel könnte man ja eine Ausnahme machen und das Lieferkettensorgfaltsgesetz aussetzen.
    Wenn man damit von Deutschland aus das CO2-Weltbevölkerungsgesamtsterben verhindern kann--kann man auf die paar Dampfverstrahltopfer hinwegsehen.

  2. 13.

    Genau so ist es. Dieses Gesetz ist nicht mehr, als eine Beruhigungspille für ein gutes Gewissen. In Wahrheit wissen alle, dass sich vor Ort nichts grundlegend ändert. Papier ist geduldig, die Bestätigung schnell ausgestellt, die Kontrollmöglichkeit deutscher Firmen eingeschränkt bis unmöglich. Ein Nachweis durch deutsche Strafverfolgungsbehörden ist genau so unrealistisch. Nur die Regierungen vor Ort können für bessere Verhältnisse und fairere Bedingungen sorgen. Ein Mindestlohn für Näherinnen in Bangladesch würde mehr bringen und vor allem den Richtigen zugute kommen. Zahlt eine deutsche Firma für angeblich höhere Standards höhere Preise, landen die mit Sicherheit nur in den Taschen der Unternehmer. Außerdem sind viele Lieferwege derart verworren, dass selbst Geldwäsche wie ein Kinderspiel erscheint. Wer will so was noch wirksam nachverfolgen? Statt das Übel an der Wurzel zu packen, versucht man es von der falschen Seite.

  3. 12.

    Wenn ein deutsches Unternehmen zur Herstellung eines Fahrradsattels bisher hervorragend gut verchromte Nippel aus China importiert hat, wie soll es nun herausfinden, wie dort die Bedingungen sind? Sind die Arbeiter dort in der Galvanisierung ausreichend vor Dämpfen geschützt? Hinreisen, sich durch den Betrieb führen lassen und auf schonungslose Ehrlichkeit hoffen? Hmmm... Also vielleicht doch woanders bestellen - und sei es nur, um nicht versehentlich gegen Gesetze zu verstoßen.

    Also weniger gut verchromte Nippel bei einem geprüften und zertifizierten Werk in den USA bestellen. In Europa werden Nippel wegen der hohen Energiekosten ja leider nicht mehr produziert. USA-Nippel kosten natürlich das Fünffache. Das macht den Ami froh, mich nicht, denn mein Sattel ist preislich nicht mehr konkurrenzfähig.

    Zeit vergeht. Entlassene Mitarbeiter stehen vor dem Amt. Die Galvanisierung in China produziert fröhlich weiter.

  4. 11.

    Ich bezweifel, dass sich mit diesem Gesetz irgendetwas an den Arbeitsbedingungen in der 2. und 3. Welt wesentlich für die Menschen vor Ort ändert.
    Mit solchen Schaufenster-Gesetzen kann man sich natürlich wunderbar moralisch reinwaschen, coole teure Nachhaltigkeits-Marketing-Kampagenen veranstalten und damit den Konsumenten einlullen.
    Gleichzeitig kann man alles mögliche noch teurer machen.
    Es ist ja für den guten Zweck.
    Und nach ein paar Jahren hat's dann wieder niemand ahnen können, dass das Gesetz seine Wirkung verfehlt hat.

  5. 10.

    Sie scheinen sich mehr Sorgen um ihr Bankkonto zu machen als darüber nachzudenken was Ausbeutung, Kinderarbeit, Umweltsünden für die Betroffenen bedeuten.

    "Das könnte auch daran liegen, dass die zuständige Kontrollbehörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) – erst spät, ab August 2022 damit begonnen hat, eine erste Handreichung herauszugeben, und das auch nur für einen Einzelaspekt des Gesetzes:"

    Das könnte auch daran liegen, dass die zuständige Kontrollbehörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) – von einem cDU Politiker geleitet wird, der noch von Altmaier eingesetzt wurde.

    Davor arbeitete Safarik in verschiedenen Funktionen bei der cSU-Landesgruppe innerhalb der cDU/cSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Er beriet unter anderem Peter Ramsauer (cSU), Alexander Dobrindt (cSU) sowie Georg Nüßlein (damals cSU).

  6. 8.

    Dieses Gesetz ist ein Alleingang Deutschlands.Und wird Deutschlands Firmen benachteiligen.

    Mit welchen Folgen...die Gedanken sind frei....

  7. 7.

    Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Mal wieder ein zusätzliches Bürokratiemonster als Gesetz. UmAufwand und Kosten auf allen Seiten zu erzeugen genau der richtige Weg. Die Verantwortung trägt der Unternehmer.
    Derartiges scheint die fast einzige Kompetenz der EU zu sein.

  8. 6.

    Das Gesetz soll ja auch nicht uns sondern den betroffenen Menschen vor Ort Vorteile bringen.

  9. 5.

    Gut geschriebene Gedanken. Um anzuknüpfen: Auf keinen Fall darf das "ein vor den Karren spannen" werden (wenn es nicht schon bereits ist). Unsere Interessen sind nicht Deckungsgleich mit Interessen die geographisch weit weg liegen. Gerade bei Kriegsfragen muss man nicht immer an "Freundschaften" glauben. Jedenfalls ist unsere Rolle des Nichtführungsanspruchs die Richtige und steht uns ganz gut. Da muss man sich nicht drängen lassen, wo man nicht weiß, warum wir gedrängt werden.

    P.S. Wenn die IHK Potsdam in dem Gesetz Kostentreiber sieht, dann ist es so. Da steckt was dahinter.

  10. 4.

    Gut geschriebene Gedanken. Um anzuknüpfen: Auf keinen Fall darf das "ein vor den Karren spannen" werden (wenn es nicht schon bereits ist). Unsere Interessen sind nicht Deckungsgleich mit Interessen die geographisch weit weg liegen. Gerade bei Kriegsfragen muss man nicht immer an "Freundschaften" glauben. Jedenfalls ist unsere Rolle des Nichtführungsanspruchs die Richtige und steht uns ganz gut. Da muss man sich nicht drängen lassen, wo man nicht weiß, warum wir gedrängt werden.

    P.S. Wenn die IHK Potsdam in dem Gesetz Kostentreiber sieht, dann ist es so. Da steckt was dahinter.

  11. 3.

    Das Gesetzt gilt ja "nur" für Firmen mit mind. 3000 Beschäftigten, die kleineren sind davon zunächst nicht betroffen.
    Ich habe allerdings ein anderes Problem mit dem Lieferkettengesetz, das aus meiner Sicht primär geschaffen wurde, um Europa die Geschäfte mit China zu erschweren oder zu verunmöglichen, als Teil der doppelmoralischen "Zeitenwende", wo wir alle wieder Freude an Konfrontation und sogar Krieg haben dürfen und vielleicht sogar sollen.

    Denn LNG von Katar geht beispielsweise natürlich prima. Halt immer so, wie man die Moral gerade braucht.

    Ich bin absolut NICHT dafür, z.B. bei Kinderarbeit wegzuschauen oder Umweltsünden zu tolerieren, so gesehen geht das schon in Ordnung. Ich vermute aber eine andere geopolitische Hauptmotivation hinter diesem Gesetz: Es soll den superharten Kurs der USA gegen China begleiten.

  12. 2.

    Letztendlich bedeutet das: Waren werden teurer in Deutschland. Hier wird mal wieder die Inflation befeuert ohne das es uns einen Vorteil bringt.

    Am Ende wird es darauf hinaus gehen das clevere Geschäftsleute in Entwicklungsländern herausfinden wie man diese Kontrollen täuscht. Somit setzen wir viel Geld in den Sand um unser Gewissen zu beruhigen... Und alle dürfen das bezahlen.

    Klasse!

  13. 1.

    Immer mehr Bürokratie, dank solcher Gesetze steigen die Preise zusätzlich. Politiker sind ja solche Überflieger. Anstatt zu wirtschaften machen unsere Politiker die kleinste Firma zu einer Behörde.

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