Konzertkritik | Depeche Mode - Für dich soll’s schwarze Rosen regnen

Mi 14.02.24 | 07:46 Uhr | Von Jakob Bauer
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Martin L. Gore und Dave Gahan von Depeche Mode beim Konzert in der Berliner Mercedes Benz Arena im Februar 2024. (Bild: dpa/ Pic One/ Christian Ender)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.02.2023 | Jakob Bauer | Bild: dpa/ Pic One/ Christian Ender

Weitermachen - trotz des Todes von Depeche Mode-Gründungsmitglied Andrew Fletcher vor zwei Jahren. Am Dienstag haben die britischen Synthie-Pop-Legenden in Berlin gespielt, voller Melancholie, Düsternis und Lebensfreude. Von Jakob Bauer

Eine wogende Welle aus Klang wälzt sich von der dunklen Bühne in den vollen Zuschauerraum der Berliner Mercedes-Benz Arena. Bedrohlich, düster, im kalten, blauen Licht betreten Depeche Mode die Bühne.

Obwohl: Frontmann und Lead-Sänger Dave Gahan sprintet eher auf die Bühne. Er läuft nach vorne, geht tief nach unten in die Knie, hält die Position, wie bei einer Fitness-Übung. Dann blickt er aufgeputscht und fordernd in die Menge. Zwei Dinge kann man da herauslesen: Erstens: Ich hab’s mit 61 immer noch drauf. Und zweitens: In der Melancholie, in der Düsternis, die die Heimat von Depeche Mode sind, liegt auch immer eine Lebensfreude.

Depeche Mode: Den Totenköpfen zum Trotz

Oder: Die wiedergewonnene Lebensfreude. Memento Mori, sei dir deiner Sterblichkeit bewusst, so heißt das aktuelle Album. Veröffentlicht hat die Band es nach dem überraschenden Tod von Gründungsmitglied Andrew Fletcher vor zwei Jahren, nachdem die Band mehrmals fast zerbrochen ist, nachdem Dave Gahan mehrmals fast am Drogenmissbrauch verstorben war.

Aber nichts davon ist heute auf der Bühne zu spüren, wenn natürlich auch in der Musik und in den Texten zu hören. Depeche Mode schaffen es den ganzen Abend, einen Spagat hinzulegen: Da sind auf der einen Seite die düsteren Lichtstimmungen, der düstere Style, kühle Synthies, Totenköpfe auf der Leinwand. Trotzdem ist alles warm, alles freundschaftlich, Publikum und Band genießen gemeinschaftlich, denn: der nächste hymnische Refrain ist ja nur ein abstraktes elektronisches Sample entfernt.

Die Pirouetten-drehende Ball-Königin aus den 20ern, oder: Der sterbende Schwan

Da hilft vor allem, dass die Musik von Depeche Mode auf Platte seit jeher tatsächlich ein bisschen unnahbar, new-wave-gothic-mäßig-kühl daher kommt. Aber live ist da deutlich mehr Wumms dahinter.

Die Beats kommen alle vom Live-Schlagzeuger und nicht aus der Maschine, die Keyboards setzen ihre feinen, eingängigen kleinen Melodielinien und Dave Gahan singt als wäre er halb so alt. Der Typ ist phänomenal. Mit seiner ausdrucksstarken Gestik und Mimik, den dunkel-geschminkten Augen und den nach hinten gegelten, grauen Haaren wirkt er mal wie ein Pantomime-Künstler aus den 20ern, dann dreht er Pirouetten wie eine Ball-Königin, mal ist er britische Eleganz, mal sterbender Schwan. Gahan fühlt jeden Moment seiner Musik er beherrscht sie förmlich mit seinem mächtigen Bariton.

Ganz anders ist da Martin Gore. Als der Haupt-Songwriter und Keyboarder, der meistens nur zweite Stimme singt, für zwei Songs die Bühne ganz für sich hat, da ist das ganz anders. Gore umschmeichelt, er ehrt die Töne, ist ein vorsichtiger, zerbrechlicher, aber ebenso fantastischer Sänger wie Gahan.

Gore und Gahan: Man tätschelt wieder

"Die wunderschöne, engelsgleiche Stimme", so nennt es Kollege Gahan einmal. Es ist nicht die einzige wertschätzende Geste zwischen den beiden. Das ist besonders schön zu sehen, weil die Band mehrmals fast an kreativen Differenzen zerbrochen ist und der verstorbene Andrew Fletcher als eine Art Mediator galt.

Aber Gahan tätschelt Gore einmal fast liebevoll den Rücken, bei den Zugaben umarmen sich die beiden nach einem Song und wenn sie beim allerletzten Lied des Abends, dem legendären "Personal Jesus, immer wieder gemeinsam die bekannte Hook wiederholen – 'Reach Out, Touch Faith' – fehlt eigentlich nur noch, dass es schwarze Rosen auf das beseelte Publikum und Depeche Mode herabregnet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 14.02.2024, 6:13 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

20 Kommentare

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  1. 19.

    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag , DM Fan seit 1983 und es wird sich nie ändern.

  2. 18.

    Gut, dass Sie Ihre schlechte Laune mal rauslassen durften. Und keinen hat es gestört. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie viele tolle Events und Konzerte es täglich in Berlin gibt? Und das bei weitem die wenigstens eine Nachricht wert sind?

  3. 17.

    wo ist eigentlich die Konzertkritik von OMD vom Montag? Ist rbb24 offenbar keine Mühe wert. Habe nichts anderes erwartet. Könnt den Kommentar von mir aus auch gerne hinten runterfallen lassen. Kenne ich auch schon. So sieht eben Meinungsfreiheit und Umgang mit Kritik aus.
    Schönen Abend noch...

  4. 16.

    Danke für diesen Kommentar, Sie haben es auf den Punkt gebracht......so toll die Stimmung heute sein mag, abgefeiert wird bei den alten Songs. Ich sage nur "Never let me down again oder Personal Jesus" dann ist richtig Party Stimmung.
    Alles erlebt bei meinen Konzerten..

  5. 15.

    Für mich war 1995 mit Alan's Flucht vor Gore and Fletch Faulheit das Ende der "Band".
    Eigentlich war 1988 Ende und Einleitung des Größenwahns mit der Amerika-Tour 1988. Sie dachten sie seinen von da an Rocker. Daves bewegungsreiche Nachgeäffe Mick Jaggers nervt.
    Ok - alte Männer halt.

  6. 14.

    Ein „Bravo“ für den Author dieser Kritik

  7. 13.

    Danke für diese so passenden Worte. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Wir waren jetzt auf vier Konzerten der Tour ( Düsseldorf, München, Mailand, Amsterdam) und jedesmal ist es ein Fest. Eine Mischung aus tiefster Dankbarkeit für die Energie und die Liebe für die Musik der Band, aus Lebensfreude und purer Emotion bei "Before we drown" oder "Sometimes" Und Musik ist die Sprache der Welt, egal woher die Fans kommen, die Emotionen waren die gleichen.

  8. 12.

    Eine wunderbare Kritik! So wunderbar wie dieses fantastische Konzert!

  9. 10.

    Als Gleichaltrige erwarte ich natürlich mehr aus den 80ern ;-) von wegen "als wir jung UND schwarz waren" aber egal, die Message ist, WIR sind nicht tot oder Grufties, wir hören und sehen immer noch und noch immer g..e Musick! Danke auch für die schöne Konzertkritik :-)

  10. 8.

    Auf den Punkt, danke! Mein...ich weiß nicht, wievieltes...Depeche Mode-Konzert und es ist jedesmal ein Erlebnis.

  11. 7.

    Und wenn dann noch dieses lästige mitfilmen sein gelassen würde.
    Ich bezahle ne Menge Geld für ne geniale Show und nicht um in drölfzig Handydisplays gucken zu müssen weil mir diese die Sicht auf die Bühne versperren. Macht mal ein Foto, genießt und ERLEBT die Show statt das halbe Konzert abzufilmen!

  12. 6.

    Tolle Kritik, schön zu lesen.
    DM hat auch einige Titel gespielt, die nicht in der Sommertournee dabei waren.
    Police of Truth und Condomnation haben mir sehr gut gefallen.
    Sehr schöne Stimmung in der Halle, noch besser als letztes Jahr im Olympiastadion.

  13. 5.

    Sehr gute Kritik! Aber nicht zu vergessen das spontane Geburtstagsständchen für „Malcolm“ aus der Frontrow. Ich hatte zwar Margot verstanden, aber ok :) Es war ein großartiges Publikum, beste Fans, damit steht und fällt auch ja alles. So eine wahnsinnige Stimmung! Ich glaube, dass Dave und Martin diese Show gefeiert haben, sie lieben es wirklich, hier in Berlin zu sein! Und dann so ein Abend! Das ist auch für die Musiker immer noch etwas ganz besonderes xxx

  14. 4.

    Sehr gute Kritik und besser hätte man es nicht schreiben können. Und ja, sie haben es immer noch drauf und hoffentlich war es nicht die letzte Tour.

  15. 3.

    Schöner Fanboy-Bericht.

  16. 2.

    Man wartet wie seit Jahren auf die alten Stücke....:-)

  17. 1.

    genau SO und nicht anders - es war war einfach wunderbar!!!!

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