Konzertkritik | Cymande in Berlin - Großartig zeitlose Funk-Bretter mit Karibik-Flair

Di 16.04.24 | 08:20 Uhr | Von Bruno Dietel
Archivbild:Cymande bei einem Auftritt am 28.07.2019.(Quelle:picture alliance/Photoshot)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.04.2024 | Bruno Dietel | Bild: picture alliance/Photoshot

Funk mit Calypso-Klängen: Der Sound von Cymande hat so einige Hip-Hop-Größen inspiriert. Dabei löste sich die Band vor 50 Jahren wegen Erfolglosigkeit auf. Nun ist sie auf Europatour und spielte am Montag im ausverkauften Metropol. Von Bruno Dietel

Vielleicht sind ist sich die Band ihres Legendenstatus ein Stück bewusst. Die Bandmitglieder von Cymande kosten es fast schon bisschen aus, wie sehr die Menschen auf den vollen Rängen im ausverkauften Schöneberger Metropol auf sie warten. Bassist Steve Scipio stimmt sein Instrument in aller Seelenruhe - aber diese Zeit darf man sich nach mehr als vier Jahrzehnten Leben mit und von der Musik nehmen.

Pioniere schwarzer Musik in Großbritannien

"Man braucht Türöffner, damit eine Bewegung entstehen kann, sie waren definitiv ein wichtiger", hat BBC-Moderator und Radio-Ikone Gilles Peterson über Cymandes Sound gesagt. Cymande sind Pioniere der schwarzen britischen Musik - gegründet wurden sie 1970 von neun afro-karibischen Musikern in London. Sie kommen aus Jamaika, St. Vincent, Guyana, leben im Süd-Londoner Bezirk Belham. "Cymande" ist ein Begriff aus der karibischen Kalypso-Musik, steht für "Taube" – die Friedenstaube ist ganz bewusst als Bandsymbol gewählt.

Die Geschichte von Cymande gleicht einem Rausch: Bei einer Show in einem Keller im New Yorker Stadtteil Soho werden sie von einem amerikanischen Produzenten entdeckt. Sowohl die erste Single als auch das erste Album landen in den US-Charts. Cymande geht als Support mit Al Green auf Tour. Schnell erspielen sich die Band eine feste Rolle im US-Funk und eine ebenso große Fangemeinde.

Zurück in der britischen Heimat will allerdings niemand etwas von Cymande wissen. Die weiße Musikindustrie lässt schwarzer Musik dort keinen Platz. Nach nur drei Alben brechen die Musiker 1974 auseinander wegen mangelnder Aufmerksamkeit und medialer Ignoranz in ihrer britischen Wahlheimat.

Der Hip-Hop schenkt Cymande eine zweite Karriere

Nach der Auflösung gehen Teile von Cymande zurück in die Karibik, andere bleiben in London: Der Saxophonist wird Elektriker, zwei andere werden Anwälte. Mit dem Aufkeimen des Hip-Hop wird Cymande wiederentdeckt - und von Größen wie Grandmaster Flash, De La Soul, dem Wu-Tang Clan und den Fugees gesampled.

Cymande gilt als eine der meistgesampelten Bands überhaupt. Die beiden Anwälte der Band fordern unter anderem erfolgreich von den Fugees Tantiemen ein – in der Anfangszeit des Hip-Hop hat sich noch niemand Gedanken gemacht, die Künstler und Komponisten der Originale nach Erlaubnis für Samples zu fragen.

Erst 2006 findet Cymande für ein einzelnes Konzert wieder zusammen, seit 2012 wieder dauerhaft. Jetzt spielen sie, 50 Jahre nach ihrer großen Trennung und weitestgehend in Originalbesetzung, eine ausverkaufte Europa-Tour. Das Berlin-Konzert war der Auftakt, es folgen Shows unter anderem in Paris, Brüssel, Amsterdam und ein Heimspiel in London. Im Februar ist außerdem der Dokumentarfilm "Getting It Back: The Story of Cymande" in die Kinos gekommen.

Zeitlose Funk-Bretter

Nur wenige Anwesende im Metropol werden behaupten können, dass das hier ja die Musik ihrer Jugend gewesen sei, die Mitglieder von Cymande sind allesamt um die 70, das internationale Berliner Publikum weitaus jünger. Der Live-Sound von Cymande ist beeindruckend: Eine Wand aus drei Bläsern - Saxophon, Trompete, Querflöte, dazu ein Drummer und Percussionist mit großen Bongos. Allesamt spielen sie sich gegenseitig wahnsinnige Soli zu.

Neun Musiker sind insgesamt auf der vergleichsweise kleinen Bühne, Steve Scipios lässig knarzender Bass, dann noch ein alles überstrahlendes Keyboard - und der warme Gesang von Ray King. Im Gesamtsound ist da vielleicht nicht immer 100 Prozent Druck dahinter - aber allein die Mischung aus karibischem Calypso, ausschweifenden Jazz-Instrumentals und auf den Punkt genagelten Funk-Brettern ist großartig zeitlos. 1974 haben die Cymande-Mitglieder bei ihrer Auflösung von einem "unfinished business" gesprochen - und es ist ihnen sehr zu wünschen, dass dieser späte Erfolg so schnell nicht endet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.04.2024, 6:55 Uhr

Beitrag von Bruno Dietel

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